Arnold Zweig: Das Spiel vom Propheten Jona

Einen Dramatiker Arnold Zweig kennt „Reclams Schauspielführer“ ebenso wenig wie ihn Georg Hensel in seinem „Spielplan“ kennt. Und das, obwohl „Ritualmord in Ungarn“, später unter dem Titel „Die Sendung Semaels“ berühmt, Zweig immerhin den noch jungen, aber schon sehr angesehenen Kleist-Preis eintrug. Was Wunder, dass der Puppenspiel-Autor Arnold Zweig selbst ausgemachten Zweig-Freunden wenig sagt. Den Kleist-Preis 1915 bekam Zweig übrigens gemeinsam mit Robert Michel, der heute so unbekannt ist wie das Spiel, um das es hier gehen wird. Vertrauensperson war Paul Wiegler, dessen Name immerhin bis heute Dauerpräsenz hat, weil ihn jedes neue Heft der Zeitschrift „Sinn und Form“ als ihren Begründer nennt (gemeinsam mit Johannes R. Becher). Über „Das Spiel vom Propheten Jona“ besitze ich nur wenige Informationen: seine erste Fassung entstand 1936, etwa 1939 zählt Zweig es unter den Titeln aus seinen Schubladen auf, die er sofort in eine Ausgabe in seinem Exilland Palästina einbringen könnte, die leider nur auf dem Wege der Subskription zustande käme. „Diese Arbeiten sollten ein Jahr hindurch allmonatlich im Umfang von etwa 5 Boden (80) Seiten hergestellt und den Subskribenten zugesandt werden.“ Das Projekt wurde nie realisiert, das Spiel erschien gedruckt tatsächlich erst 1964 in Berlin.

Der Band, in dem es steht, ist Band XIV der manches ausklammernden Edition „Gesammelte Werke in Einzelausgaben“, einzeln sehr schwer zu bekommen, wie ich rasch feststellen musste, als ich ihn vor Jahren suchte zur Komplettierung meines sehr umfangreichen Zweig-Bestandes. Der Band „Dramen“ (= XIII) spekulierte zweifelsfrei auf noch etwas mehr Leser, obwohl ein Band „Soldatenspiele“ (auch Aufbau) in den Fünfzigern vorausgegangen war. Jetzt aber, 1964, rundete „Jahresringe. Gedichte und Spiele“ aus Verlagssicht das Bild des Mannes ab, dessen Name für seine Leser und Freunde vor allem mit seinen Romanen verbunden war, und da wieder in erster Linie mit „Der Streit um den Sergeanten Grischa“, der sich schließlich im Gesamtwerk als Band 4 des unvollendeten Zyklus „Der große Krieg der weißen Männer“ einordnete. „Jahresringe“ versammelte auf 350 Druckseiten Gedichte, schloss einige wenige Nachdichtungen an und endete mit zwei „Spielen“, eben mit dem „Spiel vom Propheten Jona“ und dazu mit „Das Spiel vom Herrn und vom Jockel“. Der Aufbau-Verlag hielt es damals nicht für nötig, irgendwelche zusätzlichen Informationen zu liefern, es gibt kein Vor-, kein Nachwort, nichts zu Entstehungszeiten oder Erstdrucken, man darf raten, ob Jahreszahlen, wo sie denn überhaupt stehen, das eine oder das andere bedeuten.

Dafür aber hat „Das Spiel vom Propheten Jona“ eine überraschende Qualität: Man kann es mit Vergnügen lesen, man kann es, weil es nicht mehr als dreißig Druckseiten umfasst mit seinen elf Szenen, in einem Zug lesen. Man wird mit einer subtilen Form von Humor konfrontiert, wie er mir als Kennzeichen Arnold Zweigs weder im ersten noch im zweiten Nachdenken als besonderes Kennzeichen seiner Autorschaft eingefallen wäre. Und, und das ist die größere Überraschung, man findet sich einem Spieltext konfrontiert, der auf eine beinahe verrückte Art aktuell ist, jedenfalls Anlass sein könnte zu Überlegungen beispielsweise in Sachen Klimawandel-Debatte, in Sachen Umgang der Religionen miteinander, in Sachen Exil, in Sachen Eitelkeiten der Schriftsteller. Und, ich jedenfalls, man kann kaum anders als zur Bibel zu greifen und in den „Prophetischen Büchern“ des Alten Testaments das neunte vorzunehmen, „Jona“, es umfasst nur vier Kapitel mit insgesamt 48 Versen, es folgt auf „Der Prophet Obadja“ und wird gefolgt von „Der Prophet Micha“. In all meiner ungetauften Naivität sage ich: sehr viele schönere Geschichten gibt es in der Bibel sicher nicht, vielleicht gar keine, und im weiten Meer der schönen Literatur wohl auch nicht. Und man kann kleinen Kindern beim Vorlesen immer sagen: Aber der Walfisch, der ist gar kein Fisch.

Bleiben wir noch ein Weilchen bei der Bibel und den vier Jona-Kapiteln. „Des Propheten Berufung, Ungehorsam und Strafe“, „Des Jona Gebet und Erlösung“, „Des Propheten fruchtbare Bußpredigt in Ninive“ und „Jona wegen seiner Unzufriedenheit über die Verschonung Ninives von Gott zurechtgewiesen“ - so sind die Kapitel-Inhalte vorab angegeben, die Geschichte ist rasch erzählt: Gott (Jahwe) fordert Jona, den Sohn Amitthais, auf, nach Ninive zu gehen und dort wider seine Bürger zu predigen, „denn ihre Bosheit ist heraufgekommen vor mich“. Jona aber hat keine Lust, er macht sich, wie man jetzt sagen würde, vom Acker, will mit einem Schiff gen Tharsis fahren. Gott, wen überrascht es, es ist der Gott des Alten Testamentes, findet diese Unfolgsamkeit wenig lustig, schon weil sie Schule machen könnte und das will kein Gott, nicht einmal ein ganz kleiner. Also macht er Sturm, denn das konnten nicht nur die Götter der griechisch-römischen Antike, das konnte auch Jahwe. Den Schiffsleuten ward Angst um ihr Leben und weil sie von der Annahme ausgingen, Sturm kommt nicht einfach so, sondern verfolge eine strafende Absicht, werfen sie, eine grandios-wunderbare Methode, ein Los, um zu erfahren, wessen Verfehlungen möglicherweise den Zorn Gottes und damit den Sturm hervorgerufen haben könnten. Das Los fällt, Überraschung, auf Jona.

Schon das ist genial erfunden. Wir können dem Autor, den die Forschung im dritten Jahrhundert vor Christus vermutet, nur dankbar sein. Es gibt Dramatiker und Romanciers, die eine halbe Regalwand vollschreiben und nie solch einen Einfall dabei haben. Jona also muss antworten und er, wieder eine Überraschung, braucht nicht lange zu grübeln: seine Sünde fällt ihm aus dem Stand ein: er hat Gottes Befehl missachtet. Nun jammert er nicht etwa lange herum, erfindet keine traumatische Kindheit, immerhin ist er ja Prophet, sondern bekennt. Und er bekennt nicht nur, er ist auch bußfertig: Man soll ihn ins Meer werfen, dann wird dies sich womöglich beruhigen, das Schiff wird an sein Ziel kommen. Was mit ihm selbst geschehen werde, liegt in Gottes Hand. Gott, der eben nicht viel mehr zu tun hat, als den Fall Jona im Wasser zu verfolgen, hat vorsorglich einen großen Fisch (der ein Säugetier ist, was Gott wohl in der Eile vergaß, obwohl er ja auch die Säugetiere und nicht nur die Fische erschaffen hatte) auf den Weg geschickt. Der Walfisch nun, das wissen selbst Menschen, die sonst nicht viel wissen, verschluckt Jona, um ihn später weisungsgemäß an Land zu speien, wo der Prophet dann reumütig seinen Bußprediger-Auftrag in Ninive erfüllt. Die boshaften Bürger fasten und hüllen sich in Sack mit und ohne Asche, selbst den König schüttelt die Reue.

Statt dass Jona nun beruhigt die Prophetenhände über seinem Bauch faltet, dem Herrn dankt und zufrieden ist, murrt er. Pech und Schwefel hätten seiner Überzeugung nach über Ninive kommen müssen, ein Strafgericht Marke Hardcore, Gott aber in seiner Unerforschlichkeit, von der nicht umsonst immer wieder die Rede ist, verschont Ninive nicht nur, er betrachtet es mit allerhöchstem Wohlwollen. Und als Jona zum zweiten Mal sagt, er wolle lieber sterben, als das mit ansehen, da rauscht es in den Sphären, so sehr schüttelt der Herr sein Haupt und mit ihm Haar und Bart und erinnert ihn an den Kürbis. Die Kürbisgeschichte steht im vierten Kapitel, der Kürbis wächst über Nacht, dass er Jona Schatten spende und als das klappt, ruft Gott einen Wurm, der den Kürbis sticht: wie gewachsen, so verdorrt, nun sticht die Sonne Jona auf den Kopf. Vielleicht will er nur deshalb nicht mehr leben, braucht aber für den Todeswunsch ein höheres Motiv: die Verschonung Ninives. Und Gott belehrt ihn: „Dich jammert des Kürbisses, daran du nicht gearbeitet hast, hast ihn auch nicht aufgezogen, welcher in einer Nacht ward und in einer Nacht verdarb; und mich sollte nicht jammern Ninives, solcher großen Stadt, in welcher sind mehr denn hundert und zwanzig tausend Menschen, die nicht wissen Unterschied, was recht oder link ist, dazu auch viele Tiere?“

Damit sind vier Kapitel abrupt zu Ende. Wir können unverzüglich zu Arnold Zweigs „Spiel vom Propheten Jona“ übergehen, der Erstfassung von 1936, überarbeitet 1963, ganz offenbar für die Werkausgabe. Was genau er da veränderte oder ob es nur sprachlich-stilistischer Feinschliff war, vermag ich nicht zu sagen. Der Geschichte aus dem Alten Testament folgt er einerseits sehr genau bis in Details, andererseits macht er sie gegenwärtig und er macht sie kindertauglich, denn der Untertitel lautet: „Für Puppenbühne oder Kindertheater“. Schon ein Blick ins Personenverzeichnis verspricht Spaß: neben Jona, der einfach als Jona da steht, treten auf: der Engel als Polizist, als Kapitän und als Chauffeur, der Billetverkäufer, der Walfisch, der König von Ninive, der Kikajon, die Mittelmeerfliege und der Chor der Fische. Wer je einen Blick auf Christian Morgensterns „Fisches Nachtgesang“ warf, wird den Chor der Fische mit besonderer Neugier erwarten, noch mehr, wenn ihm ganz bildungsbürgerlich der Chor in der Tragödie der Antike in groben Umfängen zum Wissensgegenstand wurde. Was man nicht unbedingt wissen muss: Kikajon. Man findet, wenn man sucht, sehr rasch, ein altes Buch aus dem Jahr 1735, dessen Kurztitel „Kupfer-Bibel“ ist und dort steht: „Es machet Kikajon dem Jona Freud und Leyde. Dem Dolmetsch manchen Streit“.

„Es scheinet wenig daran zu liegen, ob wir wissen, was des Jona Kikajon vor ein Gewächs seye; Gleichwolen haben sich zwey hochgelehrte und fromme Kirchen-Väter, Hieronymus und Augustinus, dermaßen darüber entzweyet, daß hieraus ein ganzer Kürbis-Krieg, bellum cucurbitanum, entstanden.“ Die Sache abzukürzen: Augustinus plädierte für Kürbis, Kürbis steht in meiner Bibel-Übersetzung und Arnold Zweig, von Haus aus Jude, ging den Weg des geringsten Widerstandes, er ließ den Namen Kikajon stehen. Ich gebe zu, ein Schatten spendender Kürbis bereitet meiner Vorstellungskraft gewisse Schwierigkeiten, andererseits bin ich auch mit stechenden Würmern eher unvertraut, während mir die Mittelmeerfliege halbwegs sympathisch daher kommt. Jona aber ist bei Zweig ein Schriftsteller, wenngleich einer, mit dem beflügelte Engel verkehren. Der, den der Dichter hier auftreten lässt, kommt erst einmal als Polizist und Jona trägt eine Klage vor: Kinder hätten ihm seinen Schirm gemaust und eine alte Krücke dafür zurück gelassen. Und außerdem: „Es steht schlecht um ein Stadtwesen, wenn sein Nachwuchs / die Menschen nach ihrem Glauben feindselig unterscheidet“. Man merke sich die Reihenfolge der Klagen, denn auf den Schirm kommt Jona bei passender und bei weniger passender Gelegenheit immer wieder zurück.

„Und wie soll ich es aushalten ohne ihn / In einer fremden Stadt, die größer ist als Berlin?“ Der Engel hört die Frage nicht mehr, er hat seinen Ninive-Auftrag überbracht. Jona aber will in einem Reisebüro herausfinden, wo er den Menschen Gottes Wort verkünden könnte, derweil telefoniert der Engel mit ganz oben, die spürbare Unwilligkeit des schirmlosen Schriftstellers zu vermelden. Der Engel rät dem Billetverkäufer, Jona keine Rückfahrkarte zu verkaufen: „Er wird auf ungewohntem Wege zurückkehren“. Der Verkäufer rühmt deutsche Schiffe mit ihrer herrlichen Flagge und ihren schönen Namen: Sie heißen „Goering“, „Goebbels“ und „Hitler“. Worauf sich Jona die Ohren zuhält und sagt: „Davon will ich nichts hören.“ Der Walfisch soll in der Mitte der Bühne einen Strahl Wasser aus seiner Nase blasen, ehe er sagt: „Oh, ich will ihn schnell und zart verschlingen“. Das ist wichtig, denn die Bibel schweigt sich darüber aus, wie der komplette Prophet vollkommen unversehrt in den Magen des Meeressäugers gelangt. Der Engel ist zum Kapitän des Schiffes mutiert, der Jona den Wurf über Bord zu verkünden hat: „Die Versicherungsgesellschaft ist sehr streng mit Kapitänen“. Der Chor der Fische gesteht seine herzliche Schadenfreude, als Jona im Wal verschwindet, wo er im Inneren des Magens zu sehen ist in der folgenden sechsten Szene.

Jona ist vorsichtig: „Wenn ich mich jetzt lehne an diese Magenhaut, / Werde ich ganz bestimmt wie ein Hering verdaut.“ Auch diese Frage beschäftigte den Autor des biblischen Buches natürlich nicht, Kinder aber könnten schon einmal was von Magensäure gehört haben und so profaniert Arnold Zweig das Geschehen, indem er es wörtlich nimmt, ein altes, aber ziemlich wirksames Verfahren. Und den Engel lässt er auch gleich noch in die Magenhöhle schweben. Jona hat sofort eine sehr irdische Sorge: sein Pass ist voll Wasser, der Engel ist darauf vorbereitet, er hat ein Ersatzzertifikat bei sich. Und der Walfisch gibt Verhaltenstipps für den Auswurf an Land: „Achtung, jetzt die Arme an den Körper geschient, / Meine Speiseröhre ist nämlich nicht sehr weit“. Tut mir leid, ich finde das lustig. Während der König von Ninive das Treiben des Schriftstellers Jona in seiner Stadt erst einmal gar nicht lustig findet. Immerhin, der König verschließt sich dessen Argumenten nicht: „Wer die Freiheit des Wortes beschränkt, verdummt sich selbst / Ich lerne am besten von meinen Gegnern, wenn diese / Sachverständig und nicht aus Hass schreiben.“ Was für ein König! Was für Einsichten! Vom Gegner lernen, wenn der sachverständig schreibt! Können Gegner überhaupt Sachverstand haben? Arnold Zweig führt spielerisch-verspielt in eine brennend heikle Problematik.

Der israelitische Schriftsteller Jona ben Amitai, so der komplette Name, predigt nicht bei Zweig, er hält einen Radio-Vortrag. Sagt Sätze wie: „Aber wo der Wunsch nach Einsicht ist, darf auch der / König geirrt haben“. Und: „Es schändet niemand, schwächer zu sein als sein Herr“. Man ahnt mühelos, wohin der exilierte Autor zielt, wenn er Jona in den Mund legt: „Darum habt ihr vertrieben die Gelehrten und die Schriftsteller, / Ihre Bücher verbrannt, ihr Andenken ausgetilgt“. Er kündigt den Bewohnern von Ninive eine Gasbombe an. 1936 kannte Zweig noch keine Atombombe und als er sie kannte, 1963, bei Überarbeitung des Spiels, wäre ihm eine Aktualisierung von Gas auf Atom undenkbar gewesen. Lieber beließ er die Untergangsdrohung auf der Erfahrungsebene, die ihm selbst als Teilnehmer des 1. Weltkrieges vor Verdun und andernorts (Zweig diente als Armierungssoldat) zur Verfügung stand: Gas war das Schreckensbild chemischer Kriegführung. Der König verkündet, den Propheten in seiner Hütte vor der Stadt besuchen zu wollen. In der achten Szene sitzt Jona unter einem Rizinusbaum: „ Schriftsteller haben es eben schwer. Sind ihre Vorträge wirksam / So weinen die Menschen und kriechen in Säcke“. Und wie der Jona des Alten Testamentes ist auch dieser unzufrieden mit dem Schicksal der Stadt Ninive, er sagt es offen.

„Denn ich bin auch sehr rachsüchtig, und ich will nichts davon hören / Dass der Völkerbund unterlässt, Ninive zu zerstören. / Ja, ehrlich, es würde mich, glaube ich, dauern, / Wenn etwas lebendig bliebe in seinen Mauern.“ Das ist harter Stoff, man darf an den Morgenthau-Plan denken, den die Nazi-Propaganda als Vernichtungsplan des Weltjudentums für Deutschland ausgab. Bei Zweig aber erscheint der Engel in seiner dritten Verkleidung: als Chauffeur. Und ist enttäuscht bis entsetzt: Jona redet nur von seinem Schirm. Die Mittelmeerfliege umrundet den Kikojan. Sticht ihn, der Baum verdorrt auf offener Bühne, Jona aber hört aus Engel-Mund, er habe den Baum verkannt, das sei sein geliebter Sonnenschirm, nur eben verwandelt. „Sie wollten ein bisschen Herrgott spielen, / An Ninive Ihr Mütchen kühlen“. Der Engel trägt vor, was das 4. Kapitel in der Bibel (siehe oben) beschließt. Und Jona? „Oh ich bin unbarmherziger als ein Tier, / All meine Einsicht steht meistens nur auf Papier.“ Er küsst den verdorrten Baum auf den Mückenstich, während der Engel einen schönen roten Sonnenschirm für ihn aufspannt. Er umtanzt Baum und Engel und ist so penetrant einsichtig, dass man misstrauisch werden muss: „Alle Leiden des Exiles / Sind vergessen, abgetan“. Und der König, das Übermaß zu füllen, erbittet sich von Jona ein Autogramm.

Lion Feuchtwanger schrieb in einem Brief vom 22. April 1936 an Zweig: „Machen Sie sich doch bitte nicht vor, dass das Schreiben von Artikeln, Marionettenspielen, Novellen, neben der Arbeit an einem Roman auch nur marktmäßig nützlich sei. Sie würden doch, wenn Sie diese Nebenarbeiten nicht verrichteten, mit dem Roman sehr viel schneller fertig werden und der Roman würde Qualität gewinnen.“ Nur dem Register der schönen zweibändigen Ausgabe des Briefwechsels (Aufbau-Verlag 1984) lässt sich überhaupt entnehmen, dass hier „Das Spiel vom Propheten Jona“ gemeint sein müsste, leider fehlen Zweigs Briefe gerade dieser Periode, so dass nicht zu sagen ist, was genau er an Feuchtwanger geschrieben hatte und dann antwortete. Immerhin ist das Spiel so mit aller Vorsicht etwas genauer zu datieren. Im Briefwechsel Zweigs mit Louis Fürnberg findet sich kein Hinweis darauf. Dafür wäre Sigmund Freud beinahe in den Besitz des Manuskriptes gelangt: „Ich selber hatte für Sie einige Manuskripte vorbereitet, um Ihnen Spaß zu machen: ein kleines Spiel über den Propheten Jona, ein etwas größeres über den Knecht Jockel, der den Hafer schneiden sollte und schließlich eine kleine Anthologie parodistischer Gedichte aus dem Jahr 1914, mit einer Einleitung, wie sie entstanden.“ So Zweig am 8. Juni 1936 an den „lieben Vater Freud“.

Dann aber fand Zweig niemanden, der die Sachen hätte zu Freud bringen können und der Post wollte er die Manuskripte dann doch nicht anvertrauen. Ernst L. Freud, Herausgeber der 1968 bei S. Fischer erschienenen Briefwechsel-Ausgabe, hat noch recherchiert, dass das größere Spiel 1938 in der Moskauer Exil-Zeitschrift „Das Wort“ gedruckt erschien (Heft 5), das Jona-Spiel sagte ihm aber offenbar so wenig, dass es im Register hinten gar nicht erscheint. Walter Beltz schrieb in seinem 1975 veröffentlichten Buch „Gott und die Götter“, die Jona-Geschichte haben lehren sollen, „dass Jahwe seine Feinde nicht ausrottet. Ninive ist die Chiffre für Persien und vielleicht auch das Großreich Alexanders von Mazedonien. Israels Glaube an den Gott der Rache wird korrigiert. An die Stelle der Vergeltung soll die Vergebung treten, weil auch eine fremde Welt Buße tun und das Wohlgefallen Jahwes erringen kann.“ Meine Eingangsbehauptung einer verrückten Art von Aktualität war also überzogen, vielleicht sogar vermessen? Eher nein, mich hat das Spiel immerhin mit seinem Verweis auf dessen biblische Grundlage auf den Gedanken gebracht, dass bis heute alle Predigten vom drohenden Weltuntergang auf Umkehr-Wirkung zielen. Die am meisten verbreitete derzeit ist die vom Klimawandel, das „Narrativ“, könnte man modisch sagen, vom Klimawandel.

Ob Jahwe in der Konsequenz, im Bild zu bleiben, der Menschen und der Tiere wegen, schließlich die Strafe ausfallen lässt, ist keine Frage, die mit zu viel Ernst anhand eines Spiels für Puppen und Kinder 80 Jahre nach seiner Niederschrift erörtert werden sollte. Dass ein Schriftsteller im Exil ausgerechnet Kindern einen Schriftsteller aus biblischen Zeiten mit anachronistischen Details vor Augen bringen möchte, der kleinlich, der rechthaberisch, der ängstlich ist, der dazu neigt, vor Schwierigkeiten einfach die Flucht zu ergreifen, halte ich an Arnold Zweigs 130. Geburtstag (und darüber hinaus) für bemerkenswert. Der Chor der Fische vermittelt am Ende der dritten Szene nach Abgang des Walfisches diese Lehre: „Wäre der Mensch klug, er würde sich nicht weigern, / Seine Fähigkeiten bis zum letzten Ende zu steigern, / So wie bei uns die Krone der Fische nimmt, / Wer am schnellsten gehorcht und am besten schwimmt.“ Das ist eine wohldosierte Prise Ironie, von Arnold Zweig immerhin als so würzend empfunden, dass er sie dem 30 Jahre älteren Sigmund Freud zudachte, ihm Spaß zu bereiten. Spaß für Kinder und Freud in einem, das klingt nur wie Ehrgeiz. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Arnold Zweig nicht, wie Lion Feuchtwanger vermutete, aus äußerlichen Gründen seine Romanarbeit vernachlässigte: Jona hat ihm selbst Spaß gemacht.


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