Kleist mit Nebenwirkungen

Für mich ist diese Ausstellung eine mit Nebenwirkungen, von denen ich nicht sicher sagen kann, sie seien unerwünscht. Es gab keinen Beipackzettel zum Internationalen Museumstag in Meiningen, Direktor Winfried Wiegand hielt sich ebenso bedeckt wie der geladene Viertelstunden-Redner Dr. Eberhard Siebert und danach Volker Kern bei seiner Führung. Soll ich also in die ferne, fast abenteuerlich ferne Theatervergangenheit Meiningens blicken am Vehikel Heinrich von Kleist? Der Meiningen mehr verdankt, als die Durchschnittsbiographie, die in diesem Kleistjahr wieder marschiert, zu verraten oder zuzugestehen bereit ist?

Schon der Begriff Durchschnittsbiographie ist anmaßend, denn natürlich wird jede dieser so ehrlich geplanten, so tapfer geschriebenen und so brav verlegten neuen Kleist-Biographien höchsten Ansprüchen gerecht. Aber wir wissen ja: Von einer gewissen mathematisch definierbaren Dichte der Gipfel an wird die Gipfelkette zur Ebene und dann, na ja.

In Meiningen also, in der Elisabethenburg, gibt es jetzt eine neue Ausstellung mit dem Titel „Ein literarischer Aussenseiter tritt ins Rampenlicht – zum 200. Todestag Heinrich von Kleists“. Hätte der Flyer mitten im Aussenseiter ein ß gehabt, wäre der Protest der Rechtschreibreformer wahrscheinlich ausgeblieben, aber das ist nicht wirklich wichtig, denn nur böse Menschen gehen in eine Ausstellung, um Schreibfehler in Flyern zu entdecken. Die anderen wollen etwas sehen, etwas Neues erfahren, noch mehr stolz sein auf ihr Meiningen oder noch mehr neidisch auf dieses Meiningen, wer kennt die Namen, die Motive.

Und dann steht man vor einem Schemel, der eigens für die „Hermannsschlacht“ getöpfert wurde (mit echtem Hakenkreuz auf einer Seite), man sieht Gürtel und Waffen und „Hinterhänger“ (was man so lernt in solch einer Ausstellung), Zeichnungen von Kostümen und Kostüme oder was sonst noch alles und ist vor allem: verblüfft. Das gab es alles früher tatsächlich im Theater? Die Schauspieler kamen nicht in dem Anzug auf die Bühne, in dem sie mit der U-Bahn zum Theaterplatz gefahren waren, falls es U-Bahnen überhaupt oder in der Nähe von Theatern gibt?

Nicht wenige Zuschauer sind ja heute schon begeistert, wenn sie in „Wallensteins Lager“ eine symbolische Wehrmachtsuniform erkennen können, die ihnen, weil sie es sonst nicht merken würden, anzeigen soll, dass dieser komische Schiller noch immer brandaktuell ist. Und damals, unter diesem Theaterherzog, als das spätere Schimpfwort Meiningerei noch ein Ehrentitel für europaweit begeisternde Gastspielereignisse war, da sahen die Römer nicht nur aus wie Römer und die Germanen wie Germanen, es gab auch special effects auf der Bühne, von denen Volker Kern erzählte, die bald wieder abgeschafft werden mussten, weil sonst die Feuerwehr zu oft hätte Sondereinsätze fahren müssen.

Das wiederum hatte, aus dem Nähkästchen geplaudert, für Aufführungen des „Käthchens von Heilbronn“ die Nebenfolge, dass die Regie mehr Aufmerksamkeit darauf richten musste, dass die gespielte Feuerwehr auf der Bühne nach dem Schlossbrand nicht allzu hühnerhaufenhaft auf der Spielfläche herumsauste und den Blick auf die Hauptdarsteller versperrte. Hach, eben das meine ich mit den Nebenwirkungen dieser Ausstellung. Man möchte einfach mal wieder ein Käthchen unter einem einigermaßen echten Holunderbusch sehen. Nicht gleichermaßen den Reitergeneral von Homburg zwingend auf einem Pferd, aber allemal lieber als den Dorfrichter Adam mit Laptop während des Verhörs der Eve twitternd. Tut mir ja leid, Jugend. Ist aber so.

Ein sehr junger Mann belehrte während der Führung den nicht mehr ganz so jungen Professor Erck darüber, was man nicht miteinander vergleichen könne. Was wiederum mich belehrte, dass es nichts Neues unter der Sonne gibt. Immer noch weiß jede Jugend so lange ganz sicher, was richtig und falsch ist unter der genannten Sonne, bis sie wirklich etwas weiß. Dann wird sie bescheiden und immer bescheidener und am Ende sind wir alle bei Sokrates, der nur eines wusste: Ich weiß, dass ich nichts weiß. Der Ausstellung sind viele Besucher zu wünschen, auch weil sie noch einen weiteren Nebeneffekt hat: sie verwandelt die andere Ausstellung im Theatermuseum nebenan in ein Teil, nachdem sie lange ein Ganzes war nach ihrer Eröffnung.


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