Arnstadt: Marlitt 200

Wer gewohnt ist, die Marlitt ganz unten anzusiedeln in der Hierarchie des Literarischen, in den Niederungen gewissermaßen, dem hat Arnstadt, älteste Stadt der neuen Bundesländer, die früher zusammengefasst DDR hießen, eine nette Überraschung bereitet. Die seit heute auch für die sterbliche Bevölkerung geöffnete neue Ausstellung des Schlossmuseums am Schlossplatz, eine Sonderausstellung, findet sich ganz oben unterm Dach. Sie trägt den Titel: „Aus Arnstadt in die Welt. Die Marlitt“. Fast acht Monate soll sie zu sehen sein, der 22. Februar 2026 wird letztmalig zum Treppensteigen auffordern. Sie hieß eigentlich Friederike Henriette Christiane Eugenie John, was sehr schlecht in einspaltigen Überschriften unterzubringen ist, auch in querformatigen Blättern nicht. Geboren wurde sie am 5. Dezember 1825 am Markt in Arnstadt, die Hinweistafel dort ist schwer zu übersehen. Der runde Geburtstag fällt also in die kalte Jahreszeit. Vor hundert Jahren, war zu hören, gab es ein ganzes Festjahr in Arnstadt, sogar mit Umzügen. Von damals ist ein Buch erhalten, das auf dem Friedhof auslag, man kann es unter Glas jetzt oben sehen, eine Art posthumes Kondolenzbuch für eine Dame, deren Wirken den Namen Arnstadt tatsächlich in die Welt trug.

Zur Eröffnung gab es Harfe mit Gesang, eine Begrüßung, eine zweite Begrüßung mit Danksagungen und eine freie Rede. Aktiv in dieser Reihenfolge Gabriella Szalay, Direktorin des Schlossmuseums, Janny Dittrich, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Cornelia Hobohm aus Wandersleben, die 1996 unveröffentlichte Briefe der Marlitt edierte, eine Marlitt-Biographie veröffentlichte und frei so über die Marlitt redet, dass man merkt, sie tut es nicht erstmals und ohne Lampenfieber. In der ersten Reihe rechts saß Uta Kessel, die im Gewand der Marlitt nur von ihr gezählte Stadtführungen und sonstige Auftritte absolvierte, ich hatte vor Jahren einmal das Vergnügen, ihr die Stadt Brüssel zu zeigen. Natürlich fiel auch der Name Günter Merbach, der 1992 auf 238 Seiten „E. Marlitt. Das Leben einer großen Schriftstellerin“ herausbrachte. Manch Disput mit dem massigen Mann ist mir erinnerlich, wir saßen dazumal auch im Marlitt-Café am Markt zu solchen Gelegenheiten. Meine Bereitschaft, sie als große Schriftstellerin zu sehen, ist in den 30 Jahren seither kaum gestiegen, aber mein Umgang mit Charlotte Birch-Pfeiffer hat mir nicht nur mehr Verständnis für diese Arten des Schreibens eingeflößt, sondern auch gezeigt, wie man gerechter urteilen kann, Beispiel Eloesser.

Schon damals mit Merbach zuckte ich zusammen, wenn er versuchte, am Beispiel Marlitt die restriktive Literaturpolitik der DDR vorzuführen. Da gab es andere Beispiele. Eine harmlose Frau, die Fortsetzungsromane für die „Gartenlaube“ schrieb, stand nie im Mittelpunkt demonstrativen Administrierens, als Frau schon gar nicht. Auch Karl May fand sich nach 1945 in ähnlichen Bezügen. Heute kann unverkrampfter, möglichst vorurteilsarmer Umgang mit der Marlitt, meine ich, kaum erreicht werden, wenn man aus ihr plötzlich etwas zu machen versucht, was sie nicht war. Natürlich war sie, wenn man es so mag, kritisch. Aber da gab es ganz andere kritische Stimmen zu ihren Lebzeiten. Eine Vielschreiberin war sie keinesfalls, das widerlegte Cornelia Hobohm fast überflüssigerweise mit dem Hinweis auf ihre nur 13 Romane. Allerdings ist auch nicht jeder, der viel schreibt, ein Vielschreiber im negativ gemeinten Sinn. Man könnte an Balzac denken. Dass Frauen männliche Pseudonyme wählten, war im 19. Jahrhundert keine Seltenheit, George Eliot und George Sand mögen als die bedeutendsten Namen gelten. Tatsächlich ist bis heute wohl in keinem Land der Welt die Unterscheidung von E- und U-Kunst, E- und U-Literatur so gepflegt wie bei uns.

Es ist dabei aber keine Lösung, der reinen Unterhaltungsliteratur, die es ja zweifelsfrei gibt, die immer und überall zweifelsfrei mehr gelesen wird als die „ernste“, die in ihren krassen Fällen nur für Literatur-Professoren und Kollegen gedruckt wird, mehr Substanz zu unterstellen als tatsächlich vorhanden ist. Cornelia Hobohm empfahl, immer die Originale zu lesen, die es entweder in der guten alten „Gartenlaube“ gibt oder in einer ganz bestimmten Ausgabe. Nachauflagen seien mit unschöner Regelmäßigkeit gekürzt worden, vor allem Landschafts- und Naturschilderungen habe das getroffen. Nun weiß ich aus meinen jungen Lesejahren, dass das Verfahren natürlich völlig legitim ist. James Fenimore Coopers Lederstrumpfbände in voller Länge hätte wohl kaum jemand jemals begeistert gelesen, auch bei Jules Verne gab es immer Längen. Das Kürzen ist eine normale und legitime Lektorentätigkeit, so lange Verlage noch Lektoren beschäftigen oder bezahlen, die den Namen verdienen. Heute aber unterrichten Menschen das so genannte „Creative Writing“, die selbst nie wirklich den Nachweis erbrachten, dass sie nennenswert gut schreiben können. Wehe jedem Skript, das in solche Hände fällt und an solchen Maßstäben gemessen wird. Lieber kein Lektorat.

Im Schlossmuseum kann man einige Dinge aus dem Besitz der Marlitt sehen, Spielsteine, ein Thermometer, ihr Schreibpult. Ausgestellt ist die Original-Grabtafel von ihrem ursprünglichen Grab auf dem Alten Friedhof. Zu sehen Baupläne für das Marlitt-Haus, das nicht zugänglich ist und nie war. Zu sehen ist, wie sich Willibald Alexis um einen Bauplatz bemühte. Die Gäste hörten, dass bis heute kein Nachweis zu finden war, dass Alexis und die Marlitt Kontakt zueinander hatten. Sie hörten auch, dass der berühmte Mark Twain, als er für sich und seine Leser die Schwierigkeiten der deutschen Sprache erläutern wollte, einen Satz der Marlitt als Beleg heranzog, der mit dem Verb endete, auf das alles ankommt. Diese Art Satzperioden kam glücklicherweise aus der Mode, selbst ein als junger Mann in Sätze, die über anderthalb Druckseiten gingen, verliebter Autor wie Arnold Zweig, hat für seine späte Werkausgabe noch manche dahingehende Verbesserung erwirkt. Dass Theodor Fontane seinen Roman „Quitt“, nicht sein bester, das nebenbei, in der „Gartenlaube“ abdrucken ließ, adelt nicht zwingend die „Gartenlaube“, es spricht aber ganz sicher eine deutliche Sprache über dort gezahlte Honorare. Gute neue Gründe, das Schlossmuseum Arnstadt zu besuchen.


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