Doctor philosophiae (2)
Heute ist nicht nur der Tag, an dem Maximilian Harden 150 Jahre alt geworden wäre bei guter Führung, was ihm infolge eines Attentäter-Hiebs auf den Kopf dann doch nicht ganz gelang, heute ist auch der Tag, an dem ich vor haargenau 25 Jahren meine Doktorarbeit verteidigte und anschließend in einem Haus die Feier dazu ausrichtete, in dem auch Goethe, wir kennen ihn, Ilmenauer Aufenthalt nahm. Im „Hotel zum Löwen“, ungefähr da, wo heute ein Friseur sein Wesen treibt, war eine Art Saal für derarige Begängnisse, man musste sich einigermaßen rechtzeitig anmelden und dann ging das normalerweise seinen sozialistischen Gang.
In den Tiefen meines Privatarchivs findet sich neben den beiden Gutachten, die mir die Note „Sehr Gut“ erteilen, die Rechnung des Hauses. Sie wurde auf kleinkariertem Papier ausgefertigt, wie man es aus einem A-4-Arbeitsblock reißen konnte, der bereits vorgelocht war. Solche Dokumente wären heute nicht einmal dem Pförtner des Finanzamtes glaubhaft unterzujubeln. Damals aber hatten sie lediglich den Zweck, eine Liste der verbrauchten Speisen und Getränke sowie der dabei anfallenden Kosten auszuweisen, was sie auf eine wahrhaft eindrucksvolle Art tatsächlich leisteten. Ich hatte am Ende 796,76 Mark der Deutschen Demokratischen Republik zu entrichten plus eine selbstredend nicht ausgewiesene Summe Trinkgeldes. Als Vergleichsgröße nenne ich mein erstes Bruttogehalt an dieser Hochschule vom August 1980: es betrug 790 Mark, was netto 607,40 Mark ergab. Das dritte Gutachten aus Berlin habe ich leider nie in Original oder Kopie ausgehändigt bekommen, es schloss sich der Meinung der beiden Vorredner an.
Es ist für Leser im fortgeschrittenen marktwirtschaftlichen Zustand des heurigen Deutschlands von einem gewissen Interesse, aus der Hotel-Liste gewisse Rückschlüsse auf damalige Trinkgewohnheiten zu ziehen. Die offensichtlich 21 teilnehmenden Feierer und Feiererinnen, gruppiert um Blumenschmuck im Wert von 28,50 Mark der nämlichen Kleinrepublik pichelten insgesamt 64 Bier, was mit 40,52 Mark veranschlagt wurde. Sechs Flaschen A/O-Saft (könnte Apfel/Orange bedeutet haben), fünf Flaschen Tonic, eine Flasche Selter (ohne s) verschlangen in dieser Reihenfolge 18,90 Mark, 4,75 Mark sowie 37 Pfennig. Es wurden drei Schachteln Duett, drei Schachteln Club geraucht, dazu sechs Schachteln Streichhölzer gereicht, was 30,60 Mark ausmachte.
Die zehn Tüten Salzsticks zu 7,50 Mark begleiteten eine Flasche Appelbär, eine Flasche Nordhäuser Korn, zwei Flaschen Weinbrand Kardinal, drei Flaschen Valencia, eine Flasche Grauer Mönch sowie zwei Flaschen SU-Sekt. Der SU-Sekt kostete mich 43 Mark, der seltsame Weinbrand gar 116,90 Mark. Um den vielen Alkohol etwas nach unten zu drücken, tranken die 21 Gäste insgesamt zwei Tassen Kaffee, die zusammen auf 1,88 Mark kamen. Damit all die schönen Getränke nicht in hohle Mägen stürzten, gab es etwas, das ich heute leider nicht mehr erinnerlich habe und meine liebe Rechnung hilft mir nicht auf die Sprünge, denn sie nennt den Verspeis einigermaßen lieblos Gedecke. 21 von ihnen kosteten insgesamt 264,15 Mark, später muss noch etwas hinzugekommen sein, was das Haus dann abweichend einfach Essen nannte, zwei solcher Essen kosteten 18,50 Mark.
Dass die Deutsche Demokratische Republik ihre Top-Gastronomen im Bezirk Suhl in punkto wichtiger Details durchaus im Regen stehen ließ, bezeugt meine Rechnung auf unschuldige Weise. Bevor wir nämlich alle unsere Gedecke in uns löffelten, gabelten und messerten, tranken wir 20, Achtung: „Apperettif“, einer oder eine schloss sich demnach aus, was ich heute nur aus einer gewissen Grundabneigung gegen Alkohol erklären könnte. Eine ordentliche Feier war an der Technischen Hochschule Ilmenau mit der Übergabe eines Doktorhutes verbunden, den die natürlich technisch begabten Kollegen gebastelt hatten. Meiner wies Propeller und Lampen auf, war noch lange eine Belustigung meiner Kinder, bis irgendwann die gelötete Elektrik und die geklebte Mechanik ihren kombinierten Geist aufgaben. Im Keller meiner sozialistischen Neubauwohnung fristete das gute Stück noch ein Restdasein, ehe es den Weg alles Vergänglichen antrat.
Die Urkunde, die meinen neuen Titel endgültig beglaubigte, gab es erst viele Monate später. Der Sekretär des Wissenschaftlichen Rates lud mich am 2. April 1987 für den 8. Mai 1987 in das Kleine Resaurant der Mensa ein, wo mich ab 12.30 Uhr die Kollegin Kallenbach erwartete. Das war eine überaus nette Frau und die Gattin eines leibhaftigen Volkskammerabgeordneten der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands. Der 8. Mai war natürlich nicht zufällig gewählt, denn er war hierzulande der „Tag der Befreiung“. Der Tür- und Klingelschilderindustrie der sozialistischen Volkswirtschaft brachte mein neuer Titel wenig Gewinn, ich beließ alles (bis heute) einfach bei meinem Namen.