Schau, was für ein Käse

Es gibt Unternehmungen, die scheinen vom Scheitern bedroht, noch bevor sie unternommen werden. Nicht weniger als vier Versuche habe ich unternommen, in einer Schaukäserei zu beobachten, wie aus der hinlänglich bekannten Schweizer Milch der noch hinlänglicher bekannte Schweizer Käse entsteht. Ich ahnte natürlich, dass die am hinlänglichsten bekannten Löcher nicht gebohrt werden, schon gar nicht mit Käsebohrern aus dem benachbarten, einst großdeutschen Reiche. Doch immer, wenn ich, zweimal zu Stein in Appenzell-Außerrhoden, zweimal an der Schwägalp, mit geputzter Brille erschien, waren die Mitarbeiter des Schauprozesses bereits mit Wasserschläuchen dabei, alles zu reinigen und ihren Schaulauf für diesen Tag zu beenden.

Mich hat im Lauf meiner langen Schweizreisejahre anfangs wenig stärker beeindruckt, als die unverdrossene Art der Schweizer, mittags in ihren Städten und Dörfern unterhalb einer nicht definierten Größenordnung die Bürgersteige hochzuklappen. Was in Kombination mit meiner ehelich unterstützten Gewohnheit, im nämlichen Urlaub nicht aufzustehen wie ein Huhn von der Stange, also den Hahn krähen zu lassen, dazu führte, dass ich nicht wenige Orte erlebte, in denen einfach alles zu war. Man kann dann, wie einst in der DDR, darauf hoffen, genügend Durchhaltevermögen zu besitzen, bis die entsprechenden Geschäfte, Unternehmungen, Museen oder was auch immer, wieder ihre Pforten öffnen. Falls die verspätete Anreise auf einen Montag fällt, ist auch das hoffnungslos, denn an diesem Wochentag geht gar nichts in der Schweiz.

Die Schaukäsereien gehören, das sei sogleich entschuldigend gesagt, nicht zu den Orten, denen die Mittagspause heilig ist. Sie haben auch dann noch geöffnet, wenn hinter Glas kein Käse mehr fabriziert wird. Man kann dann ein Filmchen sehen und kaufen kann man natürlich auch, was am Ende des längst hochtechnologisch gewordenen Prozesses nebst Reifezeit in Regalen und Sulzeinreibungen entstanden ist. Diesmal aber, denn schon wieder das direkt neben der Schaukäserei Stein/AR gelegene landeskundliche Museum ansehen, war vorab ausgeschlossen worden, diesmal standen wir Punkt zehn Uhr schon am Geländer und schauten nach unten. Es geht also, hieß die gewonnene Erkenntnis. Im übrigen erinnert allein der Vorbeimarsch am Museum an den bis heute nicht völlig unterdrückten Wunsch, Hosenträger und Krawatte mit Kühen drauf zu besitzen. Die diesem Wunsch einst vehement abwehrend entgegen stehende Gattin, zeigt heuer ein erkennbares Entgegenkommen.

Weil gerade eine hinreichend große Gruppe des Hochdeutschen bedürfender Einzelbesucher im Hause ist, während eine deutlich größere Gruppe bereits mit Kopfhörern von einer wohltuend leise sprechenden Käseführerin unterrichtet wird per Schweizerdeutsch, sehen wir den leckeren Einführungsfilm mit Rucksack auf den Knien. Ein anderes aber ist der Blick nach unten, wo in einem Bottich die Milch mit dem Lab gerührt wird, ein hellblaues Schäufelchen dient dem Kontrollblick, wie dick alles schon geworden ist, während unmittelbar daneben die Abdeckung der Presse beiseite fährt und den Blick auf die Rohlaibe freigibt, die die Konsistenz von Sahnequarkkuchen ohne Kuchen haben. Einer der Männer, der dann die Laibe in die Hände nimmt und in andere Formen umsetzt, die Presslinge werden zuvor gedreht, sieht aus wie einer, der täglich viele Laibe heben muss und deshalb sein Pausenbrot immer vollständig aufisst.

Neben uns stehen die üblichen Altgermanen, die alles wissen und das alles auch noch besser als alle anderen. Sie drücken es in einer Sprache aus, die sie selbst für deutsche Sprache halten. Ihnen fällt auf, dass bei der Neubefüllung der Pressformen nicht alle sofort gleichmäßig gefüllt erscheinen, wenn sie angedickte Flüssigkeit von oben in sie sprudelt. Einer, der wahrscheinlich auch die Frage beantworten könnte, wer krähte, als Judas den Herrn verriet, argwöhnte eine unperfekte, eben nicht aus Schwaben und seinem Maschinenbau stammende Technologie, was der Augenschein schon Minuten später widerlegte. Die Maschinerie ist perfekt und frappierend präzise. Das Wasser, mit dem die Schaukäser die Milch verdünnen, wie der Perfektionist seiner ihn bewundernden Begleiterin erläuterte, ist selbstredend kein Wasser, mit dem werden allenfalls die Behälterwände von künftigen Käsekrümeln befreit, es ist Lab. Sei's drum.

Im Nebenraum kann man, wenn man dem Aufbringen der Prüffolien eine Weile Neugier gewidmet hat, auch verfolgen, wie die großen runden Käselaibe gewendet werden maschinell.  Es verleitete mich zu Mutmaßungen über die Schönheit des Ingenieurberufs, welchem ich mit großer Achtung und wenig Sachverstand begegne. Maschinen für solche Abläufe zu bauen und zu programmieren, wer das kann, muss nicht auf dem Arbeitsamt lungern und für seine zahlreichen Kinder Sprachreisegelder aus dem Programm „Bildung und Teilhabe“ beantragen. Als wir, im Bilde und mit etwas Käse in der Tüte, erneut am Museum vorbei zum Parkplatz schreiten, die Nikon bannt noch die markenfarbigen Kühe vorm Haus und die Käseecken im Überformat, welche die drei Grundsorten vorstellen, meldet sich der Hosenträgerwunsch noch einmal leise.

In Appenzell dann, der Kantonshauptstadt von Appenzell-Innerrhoden, befördert ein Blick auf Kuhgürtelpreise die Erinnerung an einen uralten Rolling-Stones-Titel: „You can't always get, what You want“. Wohl wahr, wohl wahr. Jedenfalls für mich, der nicht einen Gürtel tragen mag, der teurer war als alles andere zusammen, was ich am Leib habe. Das Geschäft, in dem wir, lang ist es her, unser erstes Fondue inklusive Kirschwasser warben, hat natürlich Mittagspause. Wir sehen durch das Schaufenster die sauteuren regionalen Honigsorten, von denen wir wohl als Mitbringsel gekauft hätten, weil wir immer Honig aus dem Urlaub mitbringen, wenn denn nicht Schließzeit gewesen wäre. Immerhin treffen wir auf eine geführte Reisegruppe, bevor wir zum Kleinwagen pilgern, welcher uns über St. Gallen zurückbringen muss. Wir sehen die leuchtenden Augen der Fassadenbestauner und stellen uns vor, dass wir wohl auch so aussahen, als wir anno 1997  hier erstmals anrückten. Sechzehn Jahre ist das her, so lange war Kohl Kanzler, ewig also.


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