Kein Vorwurf für Althaus

Eine Schandtat hat Dieter Althaus begangen, ohne dass er es bemerkte oder sie ihm posthum bewusst werden konnte. Deshalb auch hat Martin Debes keine Kenntnis von dieser Schandtat, obwohl er sonst sämtliche Schandtaten des CDU-Spitzenmannes kennt, alle aus der Vergangenheit, alle aus der Gegenwart und, was ihn auszeichnet, auch alle die, die er begangen hätte, wenn er weiter geblieben wäre, was er war. Martin Debes hört im Landtag das Gras wachsen, wie ihm sein Chefredakteur bescheinigt, was sicher eine feine Eigenschaft ist, wenngleich ich zugebe, ich würde im Zweifelsfalle lieber den Stand auf meinem Konto wachsen hören. Das kann Martin Debes vielleicht auch bezüglich seines Kontos, nur lobt ihn deshalb niemand.

Dieter Althaus also hatte, um Überraschungen aus dem Weg zu gehen, kostenlosen Kaffee an Messeständen zu bekommen oder einfach nur, weil er mal sehen wollte, was da so aus Thüringen in Leipzig steht, seinen Besuch und seine Ziele während des Besuches verlauten lassen. Das löst konstitutionsabhängig bei den Betroffenen, den Erwählten, den Unglücklichen, mag jeder lesen, was er will, unterschiedliche Reaktionen aus. Der eine wird, wenn in seinem Großraumbüro am hinteren Ende jemand sitzt, der sich mit dem Waschen weißer Hemden auskennt, noch rasch ein weißes Hemd für Althaus-Augen waschen, der andere schneidet sich die Fingernägel oder tauscht das Billigkaffeepulver aus gegen ein Nobel-Produkt aus dem Fairtrade-Handel. Manche aber geraten in Panik: Der Ministerpräsident kommt, Panik!

Er wieselt hin, er wieselt her, er macht seine Mitarbeiterin zusätzlich nervös, die ohnehin schon immer nervös ist, wenn der Chef nervös ist und plötzlich, wuff, stirbt der Chef. Er stirbt schnell und ohne Chance auf Hilfe. Herztod. Ob er nicht gestorben wäre, wenn Althaus sich nicht angekündigt hätte, wer mag das behaupten. Vielleicht wäre er sogar gestorben, wenn er den Rat seiner Ärztin befolgt hätte, sich erst in Bad Berka behandeln zu lassen, wohin er überwiesen war. Aber in Bad Berka ist keine Buchmesse und von Bad Berka aus lässt sich auch für Buchmessen in Leipzig nichts machen. Ich war in Hamburg, als ich den Anruf erhielt. Wäre meine Mutter nicht die Anruferin gewesen, ich hätte es für einen sehr schlechten Witz gehalten. So aber war ich geschockt, die sechs nahe liegenden Gedanken hüpften aufgeregt durcheinander mit den dreizehn fern liegenden. Was ein Herzinfarkt ist, wusste ich, meiner war, verglichen mit diesem, ein Infärktchen und hatte mich dennoch ein halbes Jahr flach gelegt.

Jetzt aber: tot. Eben noch hatten wir telefoniert, eben noch hatte er mir die tröstliche Aussicht vermittelt: wenn ich von der Messe zurückkomme, machen wir die erste Abrechnung. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass auch seine Rückkehr zu keiner Abrechnung geführt hätte, weil sein Verlag, dieser kleine, scheinbar so gut laufende Verlag, längst hätte Insolvenzantrag stellen müssen. Auch alle anderen gingen leer aus, ich coachte ohne Honorar eine Anwaltskanzlei, die im umgekehrten Falle sicher eine vierstellige Rechnung geschrieben hätte, weil sie keine Ahnung vom Wesen eines Verlages hatte, aber das Erbe verwalten sollte, das viel später ausgeschlagen wurde. Am Ende landete sehr viel später ein Rest meiner eigenen Bücher in drei kleinen Kartons in meinem Arbeitszimmer. Ich habe nie erfahren, wie viele Exemplare tatsächlich verkauft wurden, ebenso wenig, wie hoch die tatsächlich gedruckte Auflage am Ende war. Einen Trick hatte mir der Verleger einmal verraten, lange bevor er meine beiden Titel in sein Programm nahm. Man solle Autoren diese Zahlen nie genau offerieren.

Warum fällt mir das alles ausgerechnet jetzt ein? Am ersten August wäre der Verleger Dr. Reinhard Escher 59 Jahre alt geworden, kein Alter für einen, der nun schon wieder fast sechseinhalb Jahre tot ist. Ich gehe immer an seinem Grab vorbei, wenn ich den Gehrener Friedhof besuche. Und Dieter Althaus mache ich natürlich keinen Vorwurf.


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