Shakespeare: Die Zähmung der Widerspenstigen!; Shakespeare Company Berlin

Wenn eine Inszenierung neuneinhalb Jahre nach der Premiere immer noch so gefragt ist, dass mutig ohne Karte ins Schöneberger Südgelände gefahrene Besucher sich an der prinzipiell Ausverkauf meldenden Kasse vertrösten lassen, bis fünf Minuten vor Beginn zu warten, dann ist das keineswegs ein schlechtes Zeichen. Es hat für Besucher mit vorbestellter Karte allerdings eine mäßig schöne Nebenwirkung. Bis der letzte noch belegbare Platz für rund zwanzig wartende Shakespeare-Freunde in den Reihen gefunden ist, haben andere Häuser den ersten Akt schon fast hinter sich. Am Ende verzögert sich der Beginn um gute zwanzig Minuten und mit dem bekannten „Decken-Workshop“ zu Beginn hätte es noch länger gedauert. Dass das Spiel, als es endlich und gleich turbulent losgegangen ist, für alles entschädigt, versteht freilich jeder, der nicht zum ersten Mal mit dem Rücken zur leeren Bahnhallen-Ruine sitzt, die vor zwei Jahren noch als Ausweichspielstätte dienen durfte bei schlechtem Wetter, jetzt aber baupolizeilich gesperrt ist. Die Shakespeare Company Berlin wird ihrem Ruf gerecht, was andernorts vielleicht schon wieder als Makel gewertet würde.

Denn seit Brechts Herrn Keuner wissen wir, dass man zu erbleichen hat, wenn andere einem ins Gesicht sagen, man habe sich nicht verändert. Da hatte freilich der Dialektiker Brecht die Dialektik von Identität und Unterschied oder die von Ruhe und Bewegung oder die von Beharrung und Veränderung in den falschen Hals gekriegt oder Karl Korsch hatte ihm das Lesezeichen im Lehrheft Grundkurs zwischen die falschen Seiten gesteckt. Noch rätsle ich, warum auf dem Flyer zu Tom Rysers Inszenierung ein Zitat aus der „Allgemeinen Zeitung Oppenheim“ von einer „rasanten Rahmenhandlung“ spricht. Ich sah keine Rahmenhandlung, obwohl es bei Shakespeare eine gibt, eine sogar, die viel Interpretatoren-Text provozierte, weil ihr Rahmen nicht geschlossen, man könnte auch sagen: gar keiner ist. „Die Zähmung der Widerspenstigen“ ist bei Shakespeare das Stück, das dem betrunkenen Kesselflicker vorgespielt wird von professionellen Schauspielern auf Veranlassung einiger vergnügungshungriger adliger Spaßvögel. Als es zu Ende ist, wird die Handlung des Rahmens beim Meister nicht wieder aufgenommen, was scheinbar nach Deutung ruft.

Theaterpraktisch, und das wissen die Praktiker der Company natürlich, kann man auf den Rahmen völlig problemlos verzichten, ohne der Zähmungsgeschichte von Petruchio und Katharina dadurch nennenswert etwas zu nehmen. Der Purist plädiert selbstredend für die Wichtigkeit des Rahmens: „Trotzdem dürfte er bei Aufführungen nicht einfach weggelassen werden, er ist als Stilelement, als Parallele, Kontrast, Spiegelung ein wichtiger Bestandteil dieser barocken Posse, in der, wie so oft, Schauen und Angeschautwerden sich vielfältig durchdringen.“ So lesen wir es bei dem Märchen- und Shakespeare-Experten Max Lüthi aus der Schweiz. So wahr das sein mag, der Rahmen hat jedoch auch das Potential, seine Zuschauer erst einmal auf eine falsche Fährte zu locken, um ihn dann, mangels Rundung, in Ratlosigkeit über Shakespeare selbst zurückzulassen, die vermieden werden kann. Die Berliner Regie setzt auf die Geschichte, die im Binnenstück bis zum Possenfinale geführt wird, dabei nicht nur wegen der Reduktion auf sechs Darsteller/innen kürzend, straffend, komprimierend. So gibt es einen Baptista hier schon einmal nicht, sondern eine Signora Baptista.

Die wird von Vera Kreyer gespielt, die auch noch Grumio sein muss und das mit sichtbarem Spaß. Baptista ist, einmal den guten Rolf Vollmann zu zitieren, „ein geldgieriger dummer alter Kerl mit zwei Töchtern, Bianca und Katharina; die ältere bietet er aus, an der zweiten will er verdienen; die ältere findet ihn verachtenswert, der jüngeren wegen würde er gelinkt werden, wäre ihr Bräutigam nicht so ein netter Mensch; dass in seinem Hause ein Ding wie Katharina heranwächst, ist verständlich, zumal, wenn auch eine Bianca da ist.“ Das kann man, auf eine Mutter, die bei Shakespeare fehlt, bezogen, so stehen lassen. Natürlich gibt es bei Shakespeare auch keinen ICE, der nach Padua fährt, aber man kann die Rede vom Leben in vollen Zügen auch wörtlich nehmen und die Passagiere mit Shopping-Tüten in fiktiven Abteilen sitzen lassen. Passend dazu wurden, der Sinn erschloss sich folglich erst nach begonnenem Spiel, die Eintrittskarten von einem Zugbegleiter gelocht, der sich durch die am Einlass Wartenden drängte und dies ein wenig spät begonnen hatte. Die Reisegesellschaft kommt jedenfalls in Padua an und dort setzt sich das Treiben zügig fort.

Wer eine in Breite und Tiefe kleinformatige Bühne zur Verfügung hat, muss haushälterisch mit seinem Platz umgehen. Die Shakespeare Company macht das immer wieder in beispielhafter Weise. Konstant sind zwei bis drei Möglichkeiten zu Auftritt und Abgang, eine zum Zwischendurch-Verschwinden, alles zwingend nötig für die Verwandlungen von Rolle zu Rolle. Auch das Kostüm (hier Katharina Schlosser) steht unter Zwang, dem nämlich, diese Verwandlung in kürzester Zeit zu ermöglichen. Manchmal reicht es, eine wirklich dämliche Bommelmütze überzustülpen und unter der Nase zu binden. Es geht auch optisch deftig zu und was hier funktioniert, funktioniert eben nur bei William Shakespeare (und, natürlich, bei Moliere, aber wir sind halt nicht Gast der Moliere Compagnie). Wohlan, intellektuelle Eliten aller Länder, vereinigt euch in Shakespeare: nur er allein (und Moliere, aber wir sind halt, siehe eben) erlaubt es euch Oberfeinschmeckern, euch auf die Schenkel zu klopfen und zu wiehern wie junge Pferde, ohne dafür wie sonst in den Keller gehen zu müssen. Alle sind zufrieden, keiner meckert, die gleiche Bommel bei Peter Handke ist undenkbar.

Die Dramaturgin Stefanie Lanius, die bedarfsweise auch einmal selbst die Katharina spielt, hat eine Lesart ins Programmheft geschrieben, die man lesen sollte, da hat man gleich jede Versuchung vom Tisch, irgendwelchen Unfug von Missbrauch, Macht und Genderitis herbeizudenken. Alles gab es schon, alles gibt es noch und manche Katharina kommt manchen Ortes überhaupt nur auf die Bühne, um als Klettergerüst für dergleichen zu dienen. Wobei, der gehobene Shakespeare-Freund weiß das, gerade in den frühen Komödien, der Feind auf der anderen Themse-Seite hieß Puritanismus, das moralisch Lehrhafte mehr als nur Spurenelement des Bühnengeschehens war. Stefanie Lanius beruft sich auf Ekkehart Krippendorf, der erst unlängst starb, und seine Deutung, das ist nicht die schlechteste Wahl zum Umhang mit Petruchio und Katharina. Wer nach seinen betreffenden Büchern sucht, hat momentan Pech, sein Tod hat den Markt leergefegt. Also wir haben, das als zu sehendes Fazit, hier nicht den Macho und das Opfer vor uns, sondern zwei auf Augenhöhe, vor allem aber eine der Shakespeare-Frauen „im Schatten Elisabeths“, stark und klug.

Alexandra Surer, als Rückkehrerin nach sieben Jahren vom Ensemble eigens begrüßt, lässt mit winzigen Gesten und Blicken zeitig erkennen, dass ihre Katharina dem verfallen ist, was man seit langem Liebe auf den ersten Blick nennt. Der Rest ist Spiel, Spiel nach den eigenen Regeln, und nach den Regeln, die der Partner vorgibt. Liebe, die sich so entwickelt, ist kein abzuarbeitender Text eines vorher vereinbarten Vertrages, gar noch an schwedischen Gerichten einklagbar neuerdings. Hier ist auch Überraschung erlaubt und, herrjeh, undenkbar: Nein kann auch: ja, aber nicht gleich heißen. Alles geht mit Musik, mit Gesang über die Bühne, die einschlägigen Talente der Beteiligten will ich nicht immer wieder neu loben, man genieße sie, man höre und schaue. Es geht sogar Kanon: „Froh zu sein bedarf es wenig!“ Als Bianca sagt Elisabeth Milarch „Ich lese Bücher“ und hebt eine „Gala“ empor, sie ist auch noch Tranio, Giovanni und der hartnäckige Hutmacher mit dem doofen Hütchen in der Schachtel. Für Stefan Plepp erfand die Regie den verbalen Running Gag des Abends. Wann immer er Petrutschio genannt wird, korrigiert er: Petruckchio. Man freut sich seriell.

Der modernisierte Shakespeare-Text (Christian Leonhard) erlaubt hübsche Sprüche: „Ich glaubs dir später, jetzt misstraue ich noch“ oder „Ich würde mich gern geistig schlagen, aber du bist unbewaffnet“. Da lachen auch alle mit der etwas längeren Leitung umgehend. Als nach der Pause die brachialen Zähmungsmethoden Petruchios zu sehen sind: Schlafentzug, Hunger, hört man: „So bringt man eine Frau mit Liebe um“. Und die Bommeln an den Mützen erweisen urplötzlich eine vorher unsichtbare Eigenschaft: man kann auf ihnen kauen. Natürlich hat auch die Shakespeare Company nicht auf die Sache mit Mond und Sonne verzichtet: wer Stefanie Lanius las, versteht es besser. Oliver Rickenbacher ist ohne Kontrabass Lucentio und Luigi, Erik Studte Hortensio und Curtis, sie tragen die um Bianca gebaute Nebenhandlung, als Liebhaber im Wettstreit, als Lehrer, die sich malträtieren lassen (Wäscheklammern!!). Wenn schließlich Katharina die Rede ans Weibervolk hält, weiß hier und jetzt auch der Letzte: das ist Ironie pur. Das Publikum wird ins Vertrauen gezogen und darf bis zum S-Bahnhof Priesterweg heimwärts still darüber nachsinnen.
www.shakespeare-company.de


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