Shakespeare: Macbeth; DNT Weimar

Dass ich auf meine nicht mehr jungen Tage eine Theaterkritik mit einem Karl-Marx-Zitat beginne, ist kein Rückfall in die alten Zeiten, in denen ohne ein solches Zitat keine wissenschaftliche Arbeit, keine Festrede und fast nichts sonst auskam. Es ist ein Zitat aus „Macbeth“ in der Fassung, die der Regisseur Christian Weise auf der Basis der Übertragung von Heiner Müller für die Kooperation des DNT mit dem Kunstfest Weimar auf die Bühne stellt. Mitten in einer implantierten Gardinenpredigt, die Corinna Harfouch vorzutragen hat, die zu diesem Zeitpunkt Macbeth ist und versucht, den Hitler-Ton zu treffen, fällt der Name Marx und was der angeblich über Geschichte und Wiederkehr sagte. Ich greife unverdrossen zum Original, das sich in der Marx-Schrift „Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte“ finden lässt aus dem Jahr 1852: „Hegel bemerkte irgendwo, dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.“ Man könnte unverzüglich ein Oberseminar darüber beginnen, ob das Marx so meinte, wie es scheint und ob ihm vielleicht gar ein Beispiel einfiel oder mehr für seine überrumpelnde These. Ich will stattdessen einfach behaupten, dass Christian Weise die Idee hatte, die ewige Tragödie „Macbeth“ als Farce erscheinen zu lassen.

Der grundlegende Regie-Einfall wäre dann ein so genannter witziger, den die üblichen Verdächtigen auch sicherheitshalber gleich noch spannend finden können. Nun mag der Beckmesser sofort einwenden, dass „Macbeth“ von diesem Shakespeare, den es womöglich nie gab, ja zweifelsfrei nicht zum zweiten Male sich ereignet, sondern, sagen wir, im unteren siebenstelligen Bereich auflebt. Aber vielleicht meinten ja Hegel und Marx die Zwei nicht übertrieben numerisch, sondern gleichnishaft. Bezüglich der oben indirekt erwähnten DDR wäre außerdem die Frage aufzuwerfen, ob sie nicht das Gegenbeispiel lieferte: als Farce begann und als Tragödie endete, dazwischen leider ein, wenn auch kurzes, Kontinuum. „Macbeth“ will uns über Buchenwald und Weimar und Hitler und Donald Trump nichts sagen. Wenn das einer dennoch so scheinen lassen will, muss er sich als Schmuggler betätigen, was allenfalls in Operetten eine ehrenwerte Beschäftigung ist. „Macbeth“ war ein schottischer Feldherr, dem drei Hexen das Hirn vernebeln (auf Bühnen passend Echtnebel dazu) und mittels Prophezeiung einen Ehrgeiz in ihm wecken, der ihn selbst in aller Form überrumpelt. Bei Gattin Lady Macbeth geht das schneller, ihr Ehrgeiz war quasi im Wachzustand und beide zusammen bringen die blutige Lawine zum Rollen, die sie am Ende selbst verschlingt.

An diesem Ende sagt Corinna Harfouch, eben mit dem zuvor zum Speer ernannten Gummischwert leicht und dennoch tödlich touchiert: „Mein Tod wird Euch die Welt nicht besser machen!“ Manche nehmen das pessimistisch, manche als bittere Wahrheit. Ich nehme es als selbstironisches Aufwerfen der Frage: Wie will dann Theater die Welt besser machen, wenn schon ein handfester Tyrannenmord nichts bringt, der ja immerhin im Gegensatz zum Spiel auf Bühnen bisweilen echter Lebensernst wurde in der Geschichte, die zwischen Tragödie und Farce torkelt. Das Premierenpublikum spendete dieser Shakespeare-Farce herzlichen Beifall. Denn anders als das Programmheft vermuten lässt, das sechs Namen sechs Rollen zuordnet, sind die Rollen, ohne die man sich darüber hinaus einen guten „Macbeth“ schwer vorstellen kann, keineswegs gestrichen. Es gibt Hexen, es gibt den versoffenen Pförtner, es gibt die Familie Macduff. Der Wald von Birnam steht final in zwei großen Blumentöpfen, die wichtigen Dialoge zwischen Macbeth und Lady Macbeth finden auf dem Klo statt. Einmal ist alles, was nicht Macbeth ist, Hexe, fünf sind es, und eine von diesen fünfen bringt fünf Hexenbaby-Puppen zur Welt. Die dann aber einfach beiseite gelegt werden. Das darf man als stellvertretend sehen für manchen zunächst frappierenden Einfall dieser opulenten Inszenierung.

Der mit dem Anspruch auf Karteikarte im Originalitätsregister ist sicher der, zwei Gaststars aus Berlin, Susanne Wolff und Corinna Harfouch, mit den Hauptrollen zu betrauen: Macbeth und Lady Macbeth. Niemand der sechs Beteiligten sieht in dieser Inszenierung auch nur sekundenweise aus wie er/sie selbst, zunächst sind alle weiß von oben bis unten, die Kostüme (Lane Schäfer) sind so entworfen, dass alles, was Mann ist, mit einem mehr oder minder großen bis übergroßen Baumel-Pimmel aus Stoff ausgestattet ist, alles was weiblich ist, hat überdimensionale Schaumstoffbrüste umgehängt und ist im Becken- und rückwärtigen Bereich ebenfalls mit Schaumstoff so aufgepeppt, dass belgische Kaltblüter dagegen schmal wie Araberfohlen wirken würden, wenn sie im Stück vorkämen, im Musikvideo agierte Rammstein vor Jahren so. Wolff und Harfouch tauschen nach der nicht vorhandenen Pause die Rollen und sie agieren in beiden jeweils beeindruckend. Heiner Müller als Drastik-Verstärker hat sicher auch als Regie-Vorbild gedient, im Sinne von Ideen-Lieferant. Alles aber, was einst echtes Theaterblut und echte Sägespäne waren (Tragödie) ist jetzt, in der Farce, nur Stoff. Nichts mehr mit Orgien- und Mysterientheater österreichischer Herkunft, jetzt ist Blutstrom eine lange rote Stoffbahn, die aus dem Schnürboden segelt. Nackt ist Pappe und Schaum.

Wer aus der ganzen Tragödie eine ganze Farce macht, kann, in Weimar ist es zu beobachten, mit der Pförtner-Szene nach der Mordnacht nicht viel anfangen. Sie ist nicht gestrichen, aber das Klopfen ist wichtiger als der versoffene Monolog. Ich bin mittlerweile, wenn mir der Neologismus verziehen wird, sonderfroh, dass William Shakespeare ein Engländer war. Wäre er ein Chinese gewesen, müssten wir nun in jeder neuen Inszenierung eine oder mehrere längere oder kürzere, in Weimar längere, originalsprachliche Passagen über uns ergehen lassen, was im China-Falle den Bereich Hardcore streifen würde. So war es in gewisser Weise durchaus niedlich, dem Umschminken des Banquo (Oscar Olivo) zu Banquos Geist auf offener Bühne zu folgen mit Ohr und Auge, denn die Übersetzung für alle, denen Shakespeares Englisch nicht parat ist wie die Zutaten zum Thüringer Kloß Weimarer Fassung, war oben rechts nachzulesen, Overhead heißt das wohl. Nach der Premiere, haben Wirkungsforscher der Universität Dunsinan herausgefunden, sinkt der Anteil der Englisch-Kenner derart radikal gegen Null, dass eine Zweitvariante des Spiels nicht völlig dumm wäre. Am ersten Abend aber ist alles Amüsement, „Bürgerliches Lachtheater“ nennt es Volker Klotz.

Am Anfang ist alles eine schwarze Wand (Bühne Julia Oschatz). Durch eine Tür kommen zögerlich die weißen Gestalten, zuerst der später zu erstechende König, der Vogelstimmen hervorzaubert, einen Frosch zweimal küsst. Es fehlt schließlich, man soll es nicht kleinreden, vom Wichtigen nichts. Die Monologe sind da, die großen Dialoge auch und wie eine Perlenkette werden die Ideen durch die Regiefinger gezogen, Lacher hier, Lacher da. Bernd Lange ist Duncan und muss ihn so geben, wie er auch andernorts schon gesehen werden sollte: eher Sopran als Bass. Krunoslav Šebrek ist vor allem Macduff in der Anmutung von Frankensteins Monster mit roten Haaren, er dient aber in allen anfallenden Bedarfsfällen der Inszenierung wie seine Kolleginnen und Kollegen auch. Thomas Kramer als Malcolm plus x flüchtet standesgemäß in der Mordnacht, um später die neuen Zeiten mitzumachen an der Seite des von keiner Mutter geborenen Macduff. Als die bunte Dekoration, die Weimarer Interieurs vorstellen soll mit schrägen Böden und kleinstbürgerlichen bis herrschaftlichen Räumen, wieder der schwarzen Wand gewichen ist, agieren Krankenschwestern mit Rotem Kreuz auf dem Häubchen. Sie haben den Tod von Lady Macbeth zu verkünden, die auch in Weimar das Blut nicht von den Händen bekommt. Nur sieht dies Blut aus wie rotes Geschenkband.

Der Versuch, Weimar ins Spiel zu bringen, hat neben der nervigen Predigt, der das Engagement umhängt wie der Wattebart dem Weihnachtsmann im Schiller-Kaufhaus, optisch frappierende Lösungen, die sich nicht allzu schnell in den Gedächtnisstaub verabschieden werden. Da sind im Hintergrund die Türen dreier Krematoriumsöfen zu sehen und aus dem vordersten, in dem eine Figur verschwindet, eine dann wieder auftaucht und herausgezogen wird, wird plötzlich und unerwartet der Steinofen für eine Pizza. Diese Pizza trägt Susanne Wolff eine Weile umher auf der Bühne, als das fiktive Gastmahl stattfindet, währenddessen sich Banquos Geist für alle anderen, die gar nicht da sind, in den Thronsessel des Königs Macbeth fläzt. Lady Macbeth knabbert dann auch an dieser Pizza. Ich hatte neben mir eine junge Frau, die sich hörbar amüsierte. Sage noch einer, schöne junge Frauen könnten nicht lachen, wenn auf der Bühne ein Macbeth mit Baumel-Pimmel ins Klo furzt und sich dann vierlagig den Hintern putzt. Immer, wenn ich einen „Macbeth“ sah und überlegte, wie das geht mit der erotischen Überzeugungsarbeit der Lady beim zögerlichen Gatten, sah ich halbherzige Lösungen. In Weimar gibt es, da ist Corinna Harfouch noch Lady, der Wechsel kommt später, eine, die antwortet: Lady kniet sich, Doggy Style, und Macbeth kommt von hinten.

Danach ist Königsmord nur noch eine Frage des geschliffenen Messers. Das wiederum geschieht links vorn auf der Bühne, ein Messerblock steht in der Küchenzeile, in der man auch einen Farcen-Toast bestreichen kann. Die großen Auseinandersetzungen zwischen Lady Macbeth und Macbeth werden mit Klobürste und Fuß ausgetragen, das kann bis zum Teilverlust der Perücken führen. Das Bier im Kühlschrank läuft direkt durch, Macbeth pinkelt schon, kaum dass er einige Schlucke trank. Später hört er mit, als in der roten englischen Telefonzelle ganz oben Macduff verschwörerisch mit Malcolm unten im Bühnenboden ein Festnetzgespräch über die Zustände in Schottland führt. Es ist in „Macbeth“ keineswegs so, dass archetypische Diktatur-Geschichte vorgespielt wird, bei William Shakespeare kommen die innerschottischen Verhältnisse nach der blutigen Machtergreifung jedenfalls nur im quasi Botenbericht aus dem feindlichen Ausland England vor, ein heutiger Macbeth würde von „Fake News“ maulen. Wie ein Baby einem Mordkomplott entfliehen kann, bleibt Weimarer Geheimnis, die Idee, dass beide Mörder Baby nicht im Tarif haben, ein Farce-Gag. Ein #MeToo-Gag das Nina-Petri-Beschuldigungszitat von der süßen Maus. Beim Verbeugen zum Schluss waren sieben Musiker beteiligt in Kostümen, einer mehr als die Schauspieler/innen.
www.nationaltheater-weimar.de


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