Bruno Frank 13. 6. 1887 - 20. 6. 1945
„Und kehr ich zu den Eichenschränken, / da stehn, die ein Jahrtausend ehrt, / und mich durch Zeit und Raum zu denken, / es ist mir Kleinem nicht verwehrt. / Da will es mir so einfach scheinen, / als ob ich nun geborgen sei, / als lebt' ich ganz im dauernd Reinen / und wäre für mein Leben frei.“ Das sind Zeilen aus einem Gedicht, dessen Wert ganz sicher eher in der Wahrheit seines Bekenntnisses zu suchen ist als im Niveau seiner lyrikgeschichtlichen Repräsentanz. Der Name seines Verfassers ist auch niemals vorrangig Name eines Lyrikers gewesen, obwohl er zwischen 1905 und 1919 immerhin vier Gedichtbände und eine Gültigkeit beanspruchende Auswahl aus diesen vorgelegt hat: Bruno Frank.
Schon eher konnte er, zumindest bis 1933, für einen wirksamen Dramatiker gelten: ein knappes Dutzend Stücke stammen aus seiner Feder, Komödien zumeist, die auch auf der Bühne Erfolg hatten und dies sogar außerhalb des deutschen Sprachraums und noch im Exil. Heute sind sie vergessen, was nicht besagt, dass nicht auch ihnen geschehen könnte, was Bruno Franks Romane und Erzählungen schon erlebten: ihre Wiederentdeckung. Zwischen 1977 und 1982 hat der Buchverlag Der Morgen dem Leseland DDR diese Wiederentdeckung beschert. In kontinuierlicher Folge erschienen: „Tage des Königs und andere Erzählungen“ (1977), „Cervantes“ (1978), „Die Tochter“ (1979), „Der Reisepass“ (1980), „Trenck. Roman eines Günstlings“ (1981) und schließlich „Der Himmel der Enttäuschten (1982).
Die Taschenbuchausgabe des „Cervantes“ im Aufbau-Verlag bewirkte ein übriges: Bruno Frank war der Vergessenheit entrissen und hatte das, wie bald erkennbar, sehr wohl verdient. Neue, nicht selten überraschte Leser nahmen sich seiner an. Oder durfte man nicht überrascht sein angesichts des kurzen Textes „Das Goldbergwerk“? 1916 zuerst veröffentlicht, zeichnete er die Vision des Bergwerksbesitzers Ernst von Friemelt: „Einunddreißig Millionen Leichen. Jede einunddreißigste verwertbar. Eine Goldgrube: Goldplomben. Goldkronen. Goldbrücken...“ Als hätte Bruno Frank die Todesfabriken des deutschen Faschismus, die unausdenkliche Bestialität der „Verwertung“ der Massenmordopfer jenes Regimes vorausgesehen, dessen Führer er in seinen Exilwerken so hasserfüllt-verächtlich immer wieder anklagte!
Der am 13. Juni 1887 geborene Bruno Frank, Sohn eines Bankiers, Dr. phil. nach einer Promotion in Tübingen, ist der Verlockung seiner Eichenschränke nie erlegen. Wohl hat er intensivsten Kontakt mit denen gepflegt, „die ein Jahrtausend ehrt“, er hat seine „Hausgötter“ gehabt, wie er das nannte – unter den Zeitgenossen war das vor allem Thomas Mann – und er hat seinen Humanismus immer wieder auf die Vergangenheit bezogen, an ihr gemessen, aus ihr bestärkt: der unsterbliche Dichter des „Don Quijote“ geriet ihm sogar zum Helden seines vielleicht vollendetsten Romans. Im „dauernd Reinen“ hat er sich jedoch nicht eingeigelt.
Folgerichtig wählte er am 27. Februar 1933 die Emigration: Südfrankreich und später die kalifornische Emigrantenkolonie nahmen ihn auf und er wurde unter den zahlreichen Vertriebenen einer der aktivsten, wirkte im European Film Fund, der aus Gage-Prozenten und freiwilligen Spenden in Not geratene Künstler unterstützte, er saß in zahlreichen Gremien, redete, schrieb, half, wo er konnte, gemeinsam mit Thomas Mann etwa als Verteidiger von Exilierten, die als „feindliche Ausländer“ vor den Tolan-Ausschuss zitiert wurden. Dabei ist es kein Makel, dass seine unermüdliche Hilfsbereitschaft auch darin begründet lag, dass er – anders als die meisten anderen Exil-Autoren – keine wirtschaftliche Not erfuhr, seine lukrativen Filmverträge beispielsweise wurden bei Kollegen durchaus nicht immer ohne Neid gesehen, wie überhaupt sein großer Erfolg schon während der Zeit der Weimarer Republik ihn manchen eher engherzigen Verdächtigungen aussetzte.
Noch ein Arnold Zweig sah sich durch die Nachricht getröstet, dass Lion Feuchtwanger Bruno Frank mit Rat und Tat zur Seite gestanden habe, als dieser den „Cervantes“ niederschrieb: als ausschließlich eigene Leistung Bruno Franks mochte er den Roman nicht gerne sehen. Thomas Mann wusste deshalb sehr genau, was er tat, als er in seiner Besprechung der „Politischen Novelle“ Franks diesen so zitierte: „Er nennt es eine deutsche Besonderheit, dass hier der Erfolg infamiere.“ Tatsächlich war das zu nicht geringen Teilen das Problem der Wirkung Bruno Franks. Er war erfolgreich, weil er ohne vordergründig eine wie auch immer geartete „Tümlichkeit“ anzustreben, eingängig schrieb, komplizierte Strukturen vermied, deutschem Tiefsinn aus dem Wege ging und dabei trotzdem nie flach wurde.
Diese seine Art führte ihn natürlich bisweilen auch an deutliche Grenzen: sein zweiter Exil-Roman „Der Reisepass“ kann als Beispiel dafür gelten, wie eine UFA-nahe Fabel ein tiefernstes Anliegen in Gefahr bringt, auch der letzte vollendete Roman „Die Tochter“ scheut sich ja nicht vor melodramatischen Effekten. Doch eines ist heute deutlicher als damals: intellektuelle Überheblichkeit gegenüber dem Leser hat keinen Platz unter den Haltungen zu Literatur. Weil Bruno Franks gesamtes Werk auch ein Plädoyer für diese Sicht ist, möge er unvergessen bleiben.
Zuerst veröffentlicht in: SONNTAG Nr. 23 1987, Seite 5, nach dem Typoskript