Arthur Eloesser. Davor. Danach

Die Vossische Zeitung verlor ihren langjährigen Mitarbeiter Arthur Eloesser 1913 an das Berliner Lessingtheater. Am ersten Juli 1913 teilte „Das literarische Echo“ seinen Lesern mit: „Dr. Arthur Eloesser ist ans Lessingtheater berufen worden, wo er nächst den literarischen Obliegenheiten des Dramaturgen sich auch mit den praktischen und künstlerischen Aufgaben der Theaterleitung befassen wird.“ Er ist nicht Intendant geworden, wie er es wohl erhofft hatte, er hat auch kein eigenes Theater bekommen, wovon zeitweise die Rede gewesen sein soll. Er wurde Dramaturg, der nach seinem Intermezzo in Uniform im Jahr 1915 auch als Regisseur in Erscheinung trat. Derzeit sind fünf Inszenierungen von ihm sicher überliefert, zwei davon noch im Jahr 1915. Zunächst aber meldete wiederum „Das literarische Echo“ am ersten April 1915: „Persönliches. Dr. Arthur Eloesser, der langjährige Theaterkritiker der „Vossischen Zeitung“, der jetzt als Dramaturg am Lessingtheater und Deutschen Künstlertheater wirkte, ist als Landsturmunteroffizier zum Waffendienst nach dem Westen eingezogen worden.“ Eloessers Ausscheiden aus der Redaktion der Vossischen Zeitung war durchaus auffällig mit keinem endgültigen Bruch verbunden, im Gegenteil.

Sobald es ging, so oft es ging, belieferte er seine ehemalige Redaktion mit Beiträgen, die ganz offensichtlich auch immer gern genommen wurden. Die gelegentlich zu lesende Behauptung, er habe sich von der auflagenschwachen Vossischen Zeitung getrennt, nachdem das Haus Ullstein sie 1913 übernommen hatte, ich kenne diese Behauptung nur ohne Nennung einer belegenden Quelle, hat wenig für sich. Eloesser wollte wohl Vorgängern wie Otto Brahm und Paul Schlenther folgen, zu beiden äußerte er sich mehrfach, im Wechsel der Seiten vom Amt des Theaterkritikers ins Amt des Theaterleiters. Für die Vossische Zeitung entstanden immerhin noch 14 Theaterkritiken 1913, die letzte erschien am 29. Mai und galt der „Medea“ von Franz Grillparzer. Acht sonstige Arbeiten erschienen bis 30. Mai in der „Literarischen Umschau“, danach am 6. Juni eine Art Nachschlag zu einigen aktuellen Büchern. Im Feuilleton fanden die Leser bis 30. April sieben Beiträge, am 18. Juni konnten sie den Reisebericht „Auf der Rückfahrt“ lesen. Eloesser durfte an der Jungfernfahrt der „Imperator“, die am 11. Juni 1913 in Cuxhaven gen New York in See stach, auf der ersten Etappe bis Southhampton teilnehmen, wie etwa 75 weitere deutsche und englische Journalisten und Autoren.

Als Sonderberichterstatter kabelte er „Die erste Ausfahrt des Imperator“ von Bord, die Leser fanden seinen Bericht vom 13. Juni in der Sonntagsausgabe am 15. Juni sehr weit hinten in der 10. Beilage der Vossischen Zeitung. Der „Imperator“ war, bei Wikipedia ist es nachzulesen, noch größer als die „Titanic“ und ihr Schwesterschiff „Olympic“, er war das erste Schiff der Welt mit mehr als 50.000 BRT (Bruttoregistertonnen). Die Geschichtsseite der „Welt am Sonntag“ stellte in ihrer Ausgabe vom 27. November 2022 den deutschen Ozeanriesen vor, Autor Sven Felix Kellerhoff. Eloesser und viele seiner Kollegen fuhren mit der „Cincinnati“ zurück. Im Sonderbericht aber ist er einfach nur begeistert, patriotisch, schildert alle Details seiner Kajüte, vergisst nicht, den Preis der so genannten Kaiserzimmer zu nennen, die keinesfalls nur für den Kaiser reserviert sind: 20.000 Mark muss einer auf den Tisch legen, um wie der Kaiser auf dem Meer unterwegs sein zu können. Am Ende schreibt der Kritiker: „Aber man kann schon in der dritten Klasse sehr behaglich reisen, mit einem Komfort, den diese Passagiere sich wohl nie erträumt haben, und mit einer vorschriftsmäßigen Sauberkeit, von der ihnen, namentlich den östlichen Völkern, hoffentlich eine Erinnerung bleiben wird“.

Es fällt auf, dass Eloesser jede Erinnerung an das katastrophale Ende der „Titanic“ kaum ein Jahr zuvor, am 15. April 1912, vermeidet. „Zwar liegt ein Rettungsgürtel auf dem Schrank meiner Kajüte, aber er scheint sich mehr einer ehrwürdigen Tradition gemäß dort aufzuhalten, als dass er auf den Ernstfall und auf praktischen Gebrauch rechnet.“ Die von Eloesser erwähnte dritte Klasse bot 942 Passagieren Platz, 592 Passagiere konnte die erste Klasse aufnehmen, 972 die zweite. „Ich bin schon auf manchem mächtigen Schiff gefahren, aber bisher mit keinem, auf dem man sich vom Meere so unabhängig fühlt.“ Welche Schiffe das waren, verrät er nicht. Er erwähnt auch nicht die Pannen, die es gab nach dem Stapellauf am 23. Mai 1912, darunter ein Feuer, das immerhin fünf Menschen das Leben kostete. Bis zum Bericht „Auf der Rückfahrt“ von Bord der „Cincinnati“ gab es noch drei Meldungen über die Fahrt des „Imperator“ in der Vossischen Zeitung: am 14. Juni in beiden Ausgaben sowie am 16. Juni. Die Redaktion legte zweifellos großen Wert auf das Ereignis. Bevor im November/Dezember 1913 die ersten drei Artikel Eloessers nach seinem Ausscheiden in der Vossischen Zeitung zu lesen waren, brachte das Blatt einige weitere Informationen über ihn.

Am 4. Juli meldete das Blatt, dass dem Lessingtheater ein Institut angegliedert werden solle, „das ausschließlich dazu bestimmt sein soll, dieser Bühne einen schauspielerischen Nachwuchs heranzuziehen.“ Unter den künftigen Lehrkräften wird neben Viktor Barnowsky selbst, neben Moritz Heimann und den Schauspielern Tilla Durieux, Helene Fehdmer, Ilka Grüning, Lina Lossen, Friedrich Kayßler auch Dr. Arthur Eloesser genannt. Am 9. August wird das Programm der ersten Spielzeit unter Viktor Barnowsky angekündigt, verantwortlich für die Dramaturgie: Dr. Arthur Eloesser. Am 1. Oktober 1913 ist Eloesser als Lehrkraft am Institut des Lessingtheaters genannt. Das Jahr 1913 schließt für den Feuilletonisten Eloesser mit seinem Beitrag „Geschichte und Dichtung“ über Ricarda Huchs „Der große Krieg“. Der Dramaturg Eloesser kam in seinem Ex-Blatt erstmals am 26. Mai 1914 zu Wort. Als „Ihr alter Arthur Eloesser“ schreibt er an die Redaktion, dass ihm der Neffe Georg Büchners, Dr. Georg Büchner aus Darmstadt, vor der Aufführung die Handschrift zur Verfügung stellte, in der deutlich „Wozzek“ statt „Woyzeck“ zu lesen sei. Damit antwortet er auf eine Meldung der Montagsausgabe, die vom Vorbild des Büchner-Helden handelt.

Bis Jahresende 1914 erschien nur noch ein einziger Artikel Eloessers. Es war die Buch-Vorstellung „Kriegsliederbuch 1914“ am 14. November. „Als ich diente, gab es jeden Sonnabend nach dem großen Scheuerfest in der Kompagniebaracke eine Gesangstunde, von der ich nicht behaupten kann, dass sie sehr beliebt war. Man versuchte da recht vergebens, dem Soldaten einen geläuterten Geschmack beizubringen, oder im besten Falle ihm etwas zu lehren, wovon er ausnahmsweise mehr wusste als sein Vorgesetzter.“ Von diesem Dienst hat die spärliche Eloesser-Biographik, so weit sie gedruckt vorliegt, bisher keine Notiz genommen. Der Autor datiert sie nicht näher, es scheint sich eine kleine Forschungsaufgabe anzudeuten. Der Dienst als Landsturmunteroffizier im Jahr 1915 ist hier jedenfalls definitiv nicht gemeint. Von den fünf Beiträgen jedoch, die die Vossische Zeitung 1915 von Arthur Eloesser druckt, heißt eine „Aus einem Soldatenleben“, sie erschien vor seiner Einberufung. Dreimal, im Oktober, November und Dezember 1915, stand der Titel „Landsturm“ oben, es handelt sich um jene Arbeit, die später den Berliner Skizzen „Die Straße meiner Jugend“ zugeordnet wurde, dem Teil des Buches, den Kurt Tucholsky künstlich erregt herausreißen wollte.

Am vorletzten Tag des Jahres 1915 dann war Eloesser wieder in seinem eigentlichen Metier: er besprach Emil Ermatingers Gottfried-Keller-Buch. Seine theaterkritische Tätigkeit für „Das Literarische Echo“, zugeordnet der ständigen Rubrik „Echo der Bühnen“, hatte er am 15. März und 1. April 1913 beendet. Im März besprach er die Inszenierung von Heinrich Manns „Die große Liebe“ am 8. Februar im Lessingtheater, seinem da noch künftigen Arbeitgeber. Am 1. April nahm er sich die Aufführung von „Bürger Schippel“ in den Kammerspielen des deutschen Theaters am 5. März vor, wohl kaum ahnend, dass er selbst knapp fünf Jahre später, Premiere am 27. Januar 1920, einen Sternheim als Regisseur inszenieren würde: „Die Marquise von Arcis“. Seine Regie-Premiere erlebte Eloesser nicht lange nach seinem Ausscheiden aus dem Militärdienst 1915. Das Deutsche Künstler-Theater zeigte am 11. September 1915 erstmals Ernst Hardts „König Salomo“. Nur zwei Wochen später folgte die Premiere von Arthur Schnitzlers „Zwischenspiel“, ebenfalls im Deutschen Künstler-Theater. Vor der Einberufung druckte „Das Literarische Echo“ noch dreimal Eloesser-Kritiken in der Rubrik „Kurze Anzeigen“, zu Richard M. Meyer, Paul Wiegler und Otto Brahm.

In allen drei Fällen sind Bezüge zum vorhergehenden wie zum nachfolgenden Leben Eloessers gut herzustellen. Meyer (5. Juli 1860 – 8. Oktober 1914) war einer jener nicht sehr häufig auftretenden Literaturhistoriker, die ihren Gegenstand nicht zuerst Fachkollegen widmen, sondern lesbar sein wollen für ein breiteres Publikum. Sein früher Tod verhinderte, dass er noch zur Kenntnis nehmen konnte, was der Kritiker zur ersten Ausgabe von „Die Weltliteratur im 20. Jahrhundert“ schrieb. Paul Wiegler führte in der zweiten Auflage von 1922 das Werk bis in die Gegenwart fort. Wieglers eigene „Geschichte der Weltliteratur“ besprach Eloesser kurz in der Ausgabe vom 1. Dezember 1914, sie umfasst in der Ullstein-Ausgabe von 1914 500 Druckseiten. Wieglers und Eloessers Wege kreuzten sich noch Ende der 20er Jahre, als auf Wunsch des Verlegers Ullstein Wiegler Eloesser aus dem Feuilleton der Vossischen Zeitung verdrängen sollte, was dann doch unterblieb, Einzelheiten sollen hier keine Rolle spielen. Schließlich widmete sich Eloesser dem zweiten Band „Kritische Schriften“ von Otto Brahm, von Paul Schlenther herausgegeben, Gerhart Hauptmann gewidmet (S. Fischer 1915). Die nicht ganz so kurze Anzeige findet sich im Heft 12 des 17. Jahrgangs mit Erscheinungsdatum 15. März 1915. Brahm und Wiegler stehen im Original in meinen Beständen.


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