200. Todestag Heinrich von Kleist

Mancher und manche wird diesen Tag sehnsüchtig erwartet haben, er verheißt Hype-Ende und Übergang zur Normalität. Die Jubiläumsartikel sind samt und sonders geschrieben, die Bücher dazu ohnehin schon ewig auf dem Markt, wer jetzt noch kommt, den bestraft das Leben gänzlich ohne Gorbatschows Zutun. Die Rache des Jubiläumsbetriebs ist, gern wiederhole ich das, die Sammelrezension. Der Kleistforscher, der sein Herzblut in seinem Wälzer pulsen ließ, findet sich von bösen Kritikern schnöde gekoppelt an den Branchenfeind, der auch abhaben wollte vom Kuchen. Und alle treffen sich in einem Jahr auf dem Wohlstandsmarkt der Mängelexemplare.

Und Kleist? Kleist ist tot, er liegt unter seinem gedrehten Grabstein mit Henriette beisammen, in der Nachbarschaft der Menschen und Eigner, die Klage führten wegen dieser nun wirklich ziemlich renditeschwachen Investition ins Gedenken an einen Selbstmörder, der nicht einmal einfache deutsche Sätze schreiben konnte, die man auch versteht, wenn man Ruderer oder Yachtbesitzer ist.
Kleist kann sich da unten nicht wehren gegen Gebrauch und Missbrauch, zu Lebzeiten schon war er ein Wehrloser und das ist er all die 200 Jahre seit seinem inszenierten Freitod geblieben. Immer noch liest man, er habe diese Ablebensform gewählt, als hätte er vor der Todeswahlurne gestanden und auf dem Zettel: Zwei Schüsse aus zwei Pistolen angekreuzt. Man liest viel Quark rund um den Mann, der aus seinen Schäden Weltliteratur gemacht hat.

Examinierte und gefühlte Kleist-Professoren ignorieren vornehm in ihren schwerstzugänglichen Elaboraten und schwerstzugänglicher Sprache die Kleist-Praxis auf der Bühne. Eine gespaltene Kokosnuss und ein gespaltener Schädel bei Kleist haben als Interessantes für sie nur noch die Fallkurve der beiden Teile, die sich körperdiskursanalytisch, semiologisch und vielleicht gar mit einer stochastischen Formel beschreiben ließe, wobei unbelehrbaren neuseeländischen Kleistforschern endlich en passant gesagt werden kann in einer Fußnote, wie falsch sie schon immer lagen. Die Kleistpraktiker, die aus fasslichen Texten auf dem Wege des Entschlackens, des Vom-Sockel-Holens und ähnlicher Selbstwertsteigerungsübungen Bühnengeschehen destillieren, amalgamieren, zusammenquirlen, werfen selbstredend ihrerseits keinen Blick auf das Schaffen der akademischen Dickbrettbohrer.

Dabei wäre es doch erhebend, aus der Feststellung, dass Kleist gegen Stuttgart 21 war, es nur nicht stringent ausdrücken konnte, sowie aus der Feststellung, dass Kleist den Weiblichkeitsdiskurs der Frühaufklärung kontaminierte, ein universales Jubiläumssüpplein zu kochen. Die einen rennen Tore ein, die nicht nur sperrweit aufstehen, sondern längst als überflüssige Elemente dem Recycling anheim fielen, die anderen entdecken den überraschenden Kleist. War der nun schwul oder bisexuell oder inzestuös, setzte er tatsächlich seine zahlreichen Fehler und Fehlleistungen als souveränes Mittel ein, uns zu zeigen, dass man sich an nichts halten muss, wenn man nur ein hinreichender Höhenflieger ist? Und Kleist? Er kann sich nicht wehren da unten. Oder vielleicht doch da oben, wo er sich ausschüttet vor Lachen über unser alternatives Weihrauchfestival, während seine linke Hand auf Ulrikes, die rechte auf Pfuels Knie liegt. Nette Vorstellung, das.


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