Nachträglicher Glückwunsch

Lassen wir das scheinheilige Erstaunen beiseite: Volker Braun ist tatsächlich fünfzig Jahre alt geworden. Und nehmen wir es nicht als Tribut an das Jubiläum, was der „Sonntag“ am 2. April zu vermelden wußte: „Zum Hit der Saison aber scheint Die Übergangsgesellschaft zu werden. Nach dem Berliner Maxim-Gorki-Theater kamen Aufführungen in Dresden, Leipzig und Weimar heraus – fünf weitere Theater kündigen Premieren noch für diese Spielzeit an.“ Nehmen wir es – optimistisch – als Anerkennung der Qualität seines dramatischen Schaffens. Fürs Fernsehtheater Moritzburg sind Brauns Stücke nichts, zu hartnäckig war und ist dieser Autor den wirklich wichtigen Prozessen der Gesellschaft auf der Spur, zu hartnäckig greift er nach dem großen Gegenstand. „Sicht auf eine neue Gattung“ heißt eine der Anekdoten, die zusammen mit der „Unvollendeten Geschichte“ sein zuletzt erschienenes Büchlein füllen. Es war einige Minuten länger zu haben in den Buchhandlungen als etwa „Verheerende Folgen mangelnden Anscheins innerbetrieblicher Demokratie“, von deren Erscheinen nicht einmal die Buchhändlerinnen etwas wußten, ehe sich von Kiosken her langsam das Gerücht verbreitete, es haben einen „neuen Braun“ gegeben. Brauns Hausverlag, der Mitteldeutsche, hat nun für dieses Jahr eine Werkausgabe in chronologischer Folge angekündigt, und da und dort ist schon grienend gefragt worden ob da ein Klassiker zu Lebzeiten auf den Sockel gestellt werden solle. Wer Volker Braun gelesen hat, wird wissen, daß da keine Gefahr besteht. Gegen die „Eskalation des Blödsinns“ hat er schon aus Anlaß des VI. Schriftstellerkongresses 1969 geschrieben. Und in einem Interview 1972 gesagt: „Nur die Dummheit hat für alles immer Antworten parat.“ Mit dem Dichter Volker Braun können wir Staat machen, und ein Schelm ist, wer behauptet, die Wahlen seien absichtlich auf seinen Geburtstag gelegt worden. Schließlich erschien „Training des aufrechten Gangs“ vor zehn Jahren, und da ist Volker Braun erst vierzig geworden. Seine Stimme zählte da schon lange.

zuerst erschienen Neue Hochschule 12. Mai 1989

in Sonntag 6. August 1989, S. 4: Eckhard Ullrich: Arbeit für morgen

(Buchbesprechung zu: Unvollendete Geschichte/Arbeit für morgen, Mitteldeutscher Verlag 1988


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