Paul Ulrich, in Moers geehrt, in Ilmenau geboren

Es kann gut sein, dass die Große kreisangehörige Stadt Moers am Niederrhein demnächst einen Stolperstein für einen Mann verlegt, der in Ilmenau geboren wurde, das zwar nur knapp mehr als ein Viertel der Einwohner von Moers hat, dennoch auch Große kreisangehörige Stadt ist. Der Begriff von Größe ist eben ein dehnbarer. Stolpersteine sind in Moers zuletzt elf verlegt worden, es war am 27. Mai diesen Jahres und auf der Warteliste für die nächsten Steine steht der Mann, der am 30. Oktober 1902 in Ilmenau das Licht der Welt erblickte. Sein Name begegnete mir erstmals am Ende einer Urlaubswoche in diesem Spätsommer, genau am 31. August. Auf dem Heimweg aus der Wachau hatten wir einen Zwischenhalt mit Übernachtung in Mauthausen an der Donau eingelegt in der Absicht, ohne allen Zeitdruck die dortige große KZ-Gedenkstätte zu besichtigen. Und am Ende von fast fünf Stunden mit einer sehr informativen und hervorragend gestalteten Audioführung standen wir in jenem Barackenkeller, der speziell dem Andenken der insgesamt mehr als 80.000 namentlich bekannten Opfer des Lagers mit all seinen Nebenlagern gewidmet ist.

Das Opferbuch mit seinen Hunderten von Seiten weckte Neugier und ich stieß zunächst auf den Umstand, dass Namensvettern von mir dort nicht verzeichnet sind, anders als in Totenbüchern mancher Soldatenfriedhöfe, die ich sah. Wohl aber ein PAUL ULRICH, als dessen Geburtsort Ilmenau angegeben ist, sein Todesdatum der 5. April 1943. Zu Hause kontaktierte ich umgehend das Rathaus, um in Erfahrung zu bringen, ob dieser Paul Ulrich mit den mir bekannten  Lebensdaten tatsächlich von hier ist oder eventuell aus dem anderen noch existierenden Ilmenau (Ortsteil von Geiselwind) oder gar der Samtgemeinde Ilmenau in Niedersachsen oder aus einem der beiden Orte in Kleinpolen, die mit deutschem Namen Ilmenau hießen. Die Klärung erfolgte rasch: dieser Paul Ulrich ist tatsächlich hier geboren, mehr Informationen bekam ich zunächst nicht, nur einen Hinweis auf das Standesamt Bad Arolsen. Ein fast halbtägiger Telefonrundruf bei allen in Ilmenau und Umgebung lebenden erreichbaren Familien mit Namen Ulrich ergab, dass wohl zwei einen Paul Ulrich zu sich rechneten, beide Herren aber ein gesegnetes Alter erreichten.

Per Mail wandte ich mich an die Gedenkstätte selbst, wurde auf das österreichische Innenministerium in Wien verwiesen, von wo ich nach nur fünf Tagen eine sauber dokumentierte Auskunft erhielt. Nun kannte ich die Häftlingsnummer von Paul Ulrich aus dem Mauthausener Zugangsbuch der politischen Abteilung (Y/36), die 21162 und, aus dem Totenbuch des Außenlagers Gusen (NARA RG 549), den Eintrag zum exakten Todeszeitpunkt, der für den 5. April 1943, 3.35 Uhr angegeben ist. Dies Datum bedeutet, dass Ulrich das Lager nicht einmal ein Vierteljahr lang überlebt hat, das Einlieferungsdatum war der 9. Januar 1943. Als Todesursache ist, mit hoher Sicherheit die Wahrheit verfälschend, „Eitriger Dickdarmkatarrh“ eingetragen. Mir bleibt, dem Bearbeiter Dr. Christoph Vallant für seine nahezu postwendende Bearbeitung meines Ersuchens zu danken. Inzwischen hatte ich mit einigem Aufwand in Bad Arolsen die richtigen Ansprechpartner gefunden und die Zusage, mein Anliegen freundlich zu behandeln. Dem deutlich höheren Rechercheaufwand ist geschuldet, dass es ein paar Tage länger dauerte, bis ich weiter reichende Auskünfte erhielt. Dem International Tracing Service (ITS) gilt deshalb ebenfalls Dank.

Den neuen Auskünften zufolge war Paul Ulrich verheiratet mit Ehefrau Else, von Beruf war er Bergmann und wohnte in Moers in der Arnulfstraße 15. Er ist den Akten in Bad Arolsen zufolge am 19. Oktober 1936 in die Untersuchungshaftanstalt Essen eingeliefert worden, wurde am 15. März 1937 zum Gefängnis Hamm überstellt, von dort am 14. April ins Zuchthaus Remscheid-Lüttringhausen, am 26. Januar 1939 wiederum ins Strafgefängnis und Untersuchungshaftsanstalt Düsseldorf-Derendorf, am 21. August 1939 zurück nach Remscheid-Lüttringhausen. Wann genau er dann zur so genannten Sicherungsverwahrung auf erneuten Transport musste, ist in Bad Arolsen nicht dokumentiert. Dafür das Datum der Überstellung ins Außenlager Gusen am 13. Januar 1943, was wiederum bedeutet, das er nur vier Tage im Hauptlager verblieb, wo heute sein Name einer von mehr als 80.000 Namen ist, die im einstigen Hinrichtungskeller der Nachwelt überliefert sind. Die Einäscherung in Gusen erfolgte am 7. April 1943.

In den Akten in Bad Arolsen ist ebenfalls ein Schriftwechsel aus den Jahren 1956, 1957 und 1960 überliefert, der einen Antrag auf Wiedergutmachung beim entsprechenden Amt der Kreisverwaltung Moers beinhaltet. Vom Stadtarchiv Moers wurde mir die Meldekarte von Paul Ulrich in Kopie zur Verfügung gestellt, aus der hervorgeht, dass seine Strafe offenbar 15 Jahre betrug, dass er mit seiner Frau Else zwei gemeinsame Kinder, Hannelore und Helga, hatte und dass er aus Gotha in Thüringen ins Rheinland kam. In Gotha sind Meldeunterlagen aus der Zeit vor 1945 leider nicht mehr vorhanden, weitere Informationen also nach gegenwärtigem Kenntnisstand nur schwierig zu gewinnen. Die handschriftliche Angabe auf der Meldekarte aus Moers nennt als Gothaer Anschrift einen Mittelhäuser Weg, den es laut Straßenverzeichnis Gotha im Südviertel heute noch gibt. Nun wäre eine Recherche im Staatsarchiv Düsseldorf der nächste Schritt, um zu ermitteln, was sich hinter den beiden Anklagen gegen Paul Ulrich, wie sie aus den mir bisher bekannten Dokumenten ersichtlich sind, im Detail verbirgt. Ulrich war der Vorbereitung zum Hochverrat angeklagt, aber offenbar auch wegen einer Abtreibung.

Genau diese Untersuchungen aber sind vermutlich gar nicht mehr nötig, denn es gibt zwei Bücher, in denen der Autor Bernhard Schmidt sich mit Paul Ulrich befasst hat, das erste erschien unter dem Titel „Tatort Moers“ 1994, das zweite unter dem Titel „Moers unterm Hakenkreuz“ 2008. In beide konnte ich bisher noch keine Einsicht nehmen. Von Bernhard Schmidt habe ich auch die Information, dass der Verein „Erinnern für die Zukunft“ Paul Ulrich für einen Stolperstein vorgesehen hat. Vielleicht aber führt ja auch dieser GEHEIMRAT-Beitrag zu bisher unbekannten Details aus dem Leben von Paul Ulrich aus Ilmenauer Sicht.
 Zuerst veröffentlicht in: Der NEUE Geheimrat, Ausgabe 57 2013, S. 24/25


Joomla 2.5 Templates von SiteGround