Tagebuch

4. Juli 2019

Nachtrag: 6.30 Uhr  ist Gepäckladen angesetzt, 6.45 Uhr das Frühstück. Alle sitzen eher am Tisch. Um 7.31 Uhr rollte der Bus vom Hotelparkplatz, Auffahrt Affi auf die Autobahn. Es geht gut durch Italien, es geht gut durch Österreich, erst auf dem Hoheitsgebiet der Raser, der weltweit höchsten Autobahnbaustellendichte beginnt die Stau-Folge des Tages: fünf sind es schließlich, eine von einem brennenden Pkw verursacht, den wir in seiner grauweißen Blech-Blässe noch stehen sehen. Wir verlieren eine reichliche Stunde, ohne das offenbar deutlich bessere Bus-Navi wäre es sicher viel mehr geworden. Wir addieren alle Schrittzähler-Ergebnisse und landen bei verblüffenden 97.461 Schritten, hinzu kommen bis zum späten Feierabend zu Hause noch einmal fast 6000 und das bedeutet: im Schnitt jeden Tag mehr als 10.000. Hinzu etwas Sonnenbrand im Nacken und auf den Füßen. Das Zubringertaxi fährt uns bis vor die Tür nach zwei Entladungen vorher in Heyda.

3. Juli 2019

Nachtrag: Ausgerechnet ein italienischer Busfahrer (Linie LB 027, Abfahrt 11.19 Uhr Richtung Brescia) versucht, uns diesen schönen Urlaub zu vermiesen: er lässt uns nicht in seinen Bus nach Gardone steigen, weil wir vorher keine Fahrkarten kauften und im Bus bezahlen wollen, was wir alle Tage getan haben bis hier. Den Fahrgästen unmittelbar nach uns in der Reihe verkaufte er Karten, uns verweigerte er sie zum zweiten Mal. Ich wünsche ihm bei einer Leerfahrt, damit es nur ihn trifft, eine Frontalkarambolage ohne Hirntrauma als Folge, denn Hirn kann nur bei Existenz Schaden nehmen. In Gardone der wirklich herrliche André-Heller-Garten. In Gardone auch eine Gedenktafel für Oriana Fallaci, deren Bezug mir dunkel bleibt. Meine Fallaci-Bestände aus dem Archiv stehen im Ordner „Italien III“. Die Rücktour von Gardone im Bus nach Maderno völlig problemlos, die Fährfahrt schon mit Abschiedsstimmung. Flucht aus dem Pool, als es wild blitzt.

2. Juli 2019

Nachtrag: Zum zweiten Mal mit dem Bus nach Malcesine, dort mit der Fähre nach Limone. Erst auf dem Rückweg sehen wir, wie viele Fähren es mittlerweile gibt: unsere arbeitet mit Ritorno-Karten, die eingesammelt werden am Ende zur Wiederverwendung, eine Preiskonkurrenz gibt es aber nicht. Wir folgen in den Boden eingelegten Hinweisfliesen zum Zitronengarten, den es erst seit 2004 gibt. Nie habe ich so viel über Zitrusfrüchte erfahren, von denen ich meinte, einiges bereits zu wissen. Eine sehr schöne Anlage, sehr informativ alle Tafeln, alles über Herkunft, Verbreitungswege. Und ich habe noch den Geschmack der Pompelmo auf der Zunge aus Lazise. Im Palazzo dei Capitani sehen wir eine Ausstellung von Roberto Viesi, von dem man sich auch Postkarten kaufen kann, nicht wenige Bilder würden zu unserem Malcesine-Panorama von Gustav Klimt im Esszimmer gut passen. Am Hotel nehmen wir noch Aperol Spritz und eine Abkühlung im Pool vor dem Essen.

1. Juli 2019

Nachtrag: Der einzige Ausflug, den wir am Anreisetag noch im Bus buchten: Sirmione kombiniert mit Weinverkostung in Bardolino, auf dem Hinweg eine Stunde in Garda, für uns überflüssig. In Sirmione die Überraschung: die Burg ist zugänglich, wieder besteigen wir alles, was zu besteigen ist. Schöne Rundblicke. Verblüffend viele nutzen die Gelegenheit: italienische Menschen. Unsere Mitreisenden sind überall, wo zusätzlich Eintritt verlangt wird, wie die Teufel am Weihwasser, sie würden am liebsten bei Sanifair kostenlos pinkeln, was der Gott des Sanitärwesens aber verhindert. Unser Busfahrer muss für bescheidene zwei Stunden 40 Euro löhnen, ein Kollege aus Österreich dankt ihm seine Fairness beim Ausparken, ein Italiener ist da etwas mäßiger begabt. Die Weinprobe oberhalb von Bardolino beginnt mit Garganega Frizzante und endet mit einem Classico Superiore, der mich zum Kauf verleitet. Ich lerne, dass der Höllenlärm in den Bäumen von Zikaden stammt.

30. Juni 2019

Nachtrag: Als wir 1998 eine Woche in Garda wohnten, hielten wir bei drei Touren über den See (nach Peschiera, nach Saló, nach Sirmione) genau sechsmal in Lazise, stiegen dort aber nie vom Schiff. Jetzt fahren wir mit dem Bus nach Lazise und sind mehr als angenehm überrascht: viele nette Geschäfte, viele nette Futterstellen, ich esse ein Pompelmo-Eis von sensationeller Qualität mit echten feinen Fruchtfasern und einer Bitternote, für die man die Partei wechseln könnte. Wir sehen zum Glück, dass es um 14.13 Uhr eine seltene Schiffsverbindung von Lazise nach Torri gibt, die wir natürlich nutzen, wir halten in Bardolino, in Garda, umkurven Punta St. Vigilio, bis wohin wir 1998 zu Fuß marschierten. Vor der Kirche in Lazise versucht ein Schwarzafrikaner von der Statur eines Modellathleten Almosen zu erbetteln, während eine kleine Gruppe vom Roten Kreuz ihre Spenden zählt: Scheine und Münzen. Der Pfarrer debattiert mit dem Almosenmann, der dann geht.

29. Juni 2019

Nachtrag: Wir brechen den Laufrekord vom 25. April, allein Hin- und Rückweg zur Fähre machen 7500 Schritte aus, verrückte Marotte nun, darauf zu achten. Am Ende aber stehen Kondition und Gesundheit. Die Überfahrt nach Maderno dauert nicht viel mehr als 20 Minuten, vom Erdbeben des Jahres 2004 sehen wir keine Folgen mehr, das Epizentrum lag zwischen Maderno und Gardone. Aus Maderno stammte das Papier für Luthers Bibel-Übersetzung, was man nicht wissen muss, aber man leidet auch nicht, wenn man es weiß. Wir werfen einen Blick durchs Tor der Villa Lucia, die im Internet noch zum Verkauf steht, man sieht den Zitronen-Garten, wie man ihn ähnlich aus Limone kennt, alles ist irgendwie auch Palazzo Bulgheroni. Natürlich werfen wir ungetauften Katholiken auch einen Blick in die kleine Kirche, es ist heute Namensfest der Apostel Peter und Paul, denen die Kirche gewidmet ist. In aller Heimlichkeit habe ich Fingerspitzen ins Weihwasser getaucht: Sünde.

28. Juni 2019

Nachtrag: es sind 13094 Schritte auf den Zähler gekommen gestern, heute werden es nur 11340: zu Hause seltene Werte. Wir fahren für 8,40 Euro nach Malcesine und dort für 37 Euro zu zweit auf den Monte Baldo, meine Rentner-Karte spart mir immerhin 7 Euro, auch im Museum in Torri haben wir schon die neuen Preis-Privilegien genossen. Oben ist es nahezu frisch im Vergleich zu unten, wir laufen bis zur Abflug-Stelle der Paraglider und schauen zu wie neugierige Kinder. Es muss unten eine Wasserlandung gegeben haben, wie wir aus dem Funkverkehr mithören, aber keinerlei Katastrophe. Unten nehmen wir noch die uns schon aus 1993 bekannte Scaligerburg mit ihrer nun erweiterten und sehr ansprechend gestalteten „Sala Goethe“ mit. Eine größere Gesellschaft von Engländern zelebriert eine Hochzeit in der Burg. Die Engländer sind, wie es ihnen zusteht, laut und platzgreifend, man muss sie umkurven. Ihr Hoffotograf brüllt, als wolle er jeden Löwen beschämen.

27. Juni 2019

Nachtrag: Denn der Seeblick ist mit ganztägiger Vollstrahlung jener Sonne verbunden, die uns 40 Grad im Schatten beschert, wie wir vor dem Klimawandel sagten. Auch jetzt ist der Wechsel aus dem bestens klimatisierten Zimmer auf die Mini-Terrasse wie ein übergangsloser Wechsel aus dem Tiefkühlfach in die 90-Grad-Sauna. Torri ist ein Stück weg, wir laufen unter Olivenbäumen auf einer leidlichen Uferpromenade bis zur Anlegestelle der Fähre nach Maderno. Sehen das Museum und besteigen in der Scaligerburg alles, was zu besteigen ist. Das italienische Eis ersetzt uns die Zwischenmahlzeit, die wir kaum brauchen zwischen dem Frühstück und dem viergängigen Essen am Abend. Das Personal besteht komplett aus Hintergründlern, die Zimmermädchen sehen aus wie aus Pakistan oder Bangladesh. Alle sagen fein „Buon Giorno“. Nach dem Abendessen noch ein Probelauf zur Bushaltestelle in Richtung Malcesine, denn wir haben nur einen Ausflug vorgebucht.

26. Juni 2019

Nachtrag: Zustieg am Hauptbahnhof 4.25 Uhr, besonders ausgeschlafen sind wir nicht. Das Taxi wartet schon vor 4 Uhr an der Haustür, es ist noch arg frisch. Der Zubringer fährt zum Hermsdorfer Kreuz, wo vier verschiedene Touren starten, es geht erst los, als auch der letzte der vier Busse eingetroffen ist. 13.14 Uhr passieren wir die Grenze zu Österreich, 15.11 Uhr die nach Italien. Wir sind die Stecke so oft mit dem Auto gefahren, dass ich bei den österreichischen Abfahrten fast immer weiß, welches die nächste ist. In Mori halten wir, wo alle Busse halten, wo unser Bus neues Wasser fasst in Einwegflaschen, die nicht zu den Pfandautomaten getragen werden müssen, ich lade vier Flaschen Wein, drei weiß, eine rot, noch wissen wir nicht, wie unser Hotelzimmer-Kühlschrank arbeitet. Für den weißen reicht es nicht an diesem Abend, aber wir haben einen feinen Lagrein aus Girlan, der den Tischwein bestens ergänzt. Unser Zimmer 156 hat keinen Seeblick, das ist sehr gut.

25. Juni 2019

Die angekündigte Hitze ist da, die Koffer sind gepackt so früh wie selten, Rentnerinnen haben, anders als Rentner, doch Zeit. Für all meine unersättlichen Leser habe ich einen sehr kurzen alten und einen ziemlich langen neuen Text vorbereitet, die Anfang nächster Woche zu lesen sein sollen. Denn das Tagebuch muss schweigen, bis die Nachträge fällig werden. 1948 weilte Andrè Gide drei Monate dort, wo wir Quartier nehmen werden. Sein Tagebuch 1939 – 1949 soll davon berichten, ich kenne es nicht und kann es also nicht bestätigen. Wir werden sicher die Seilbahn auf den Monte Baldo erstmals benutzen und von den angebotenen Ausflügen nur einen mitmachen: der mit einer Weinverkostung gekoppelt ist. Unsere beiden vorjährigen Weinverkostungen in der Toskana sind noch in Erinnerung, die zweite war höchsten Ansprüchen genügend. Wir lieben Seefahrten auf Seen, deren Ufer man sehen kann. Den Grund der Seen müssen wir dabei nicht unbedingt sehen.

24. Juni 2019

Ein Hin- und Her-Tag, erst nach Pennewitz, der Schönheit wegen. Dort eine große Runde am ehemaligen Schwiegerelternhaus vorbei in Richtung Bienenhaus und Erdfall. Am Erdfall alter Spaziergänge gedacht, des ratlosen Mannes im Landratsamt, der den Erdfall nicht kannte, obwohl er ein Erdfall-Büchlein veröffentlicht hatte. Der Experte, wir erinnern uns, weiß von immer weniger immer mehr, bis er am Ende von nichts alles weiß. Jetzt schaut der Erdfall aus wie ein Biotop aus dem Bilderbuch, die Frösche hatten leider gerade Mittagspause. Dann nach Gehren, dann von Gehren in die Ilmenauer Poliklinik, dann von der Poliklinik nach Gehren, Termine in den Kalender geschrieben zur Erinnerung. Da bleibt am Abend nur der Balkon mit einem Viognier von den Côtes du Thongue, wir kannten von dort bisher lediglich Sauvignon. Sauberer Tropfen. Entscheidung, was meine Lektüre im Urlaub wird: Der Briefwechsel zwischen Gottfried Keller und Hermann Hettner.

23. Juni 2019

Wenn ich krypto-türkische Sprechgesänge mit idiotischen Texten zu vollidiotischer Musik überlaut in die Ohren gehauen bekomme, muss ich nur aus dem Fenster schauen, um zu sehen, wessen Eltern gerade ihren Kevin allein zu Hause ließen. Es hat keinen Zweck, Death Metal aus Norwegen oder Schweden dagegen schallen zu lassen, es trifft die Falschen, weil es immer die Falschen trifft. Ich denke dann immer gern an einem Volontär, den ich in Arnstadt hatte, aus dem Westen in die Ex-Zone geraten, der mir erklärte, im Ostrock wäre ihm zu viel Text gewesen. Verglichen mit diesen Fuchtelheinis, die die kleinen Jungs und die kleinen Mädchen zutexten und gern aussehen wie US-Gangster und prinzipiell grimmig gucken, als wäre dies das einzige Erfolgsgeheimnis, waren alte Ostrocker Schweigemönche, die allenfalls in kleinen Dosen Lyrisches absonderten und zudem auch noch ein Musik-Diplom brauchten, ehe sie auf die Ostmenschheit losgelassen wurden. Genau so.


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