Moliere: Der Geizige; Theater Rudolstadt

Im theatergeschichtlichen Schubladenkeller steht „Der Geizige“ unter Charakterkomödie, man darf mit aller Vorsicht an einen gewissen Theophrastus denken, der in der fernen Antike ein Werklein mit dem Titel „Charaktere“ schuf und damit eine lange Tradition stiftete, die über einen gewissen La Bruyere, der nicht die gleichnamige Tabakspfeife erfunden hat, auch nach Frankreich reichte. Moliere, Jean-Baptiste, dieser Ur- und Größtklassiker des Komischen, bei dem in fast jedem Stück irgendein Cleanthe geistert, hat seinen Harpagon spät erfunden. Gefunden, müsste man streng genommen sagen, und dieser Harpagon hat auffallende Ähnlichkeiten mit anderen tragenden Figuren bei Moliere. Geiz ist ein unausrottbarer Zug im Menschengeschlecht. Ich kannte einen inzwischen veralteten Überzeugungskommunisten, der eines nachwendlichen Tages entdeckte, man könne aus Vogelfutter viel preiswerter Müsli herstellen als aus Müsli. Er erzählte gern, welche Körner er aussortierte, um den Rest dann zu verquirlen. Dieser Harpagon jedenfalls hat zwei leibliche Kinder, keine leibliche Gattin mehr, einen Haushofmeister, einen Koch, der auch Kutscher ist und einen Diener. Sein Vermögen hat er im Garten vergraben, er möchte auf keinen Fall als reich erscheinen. Ist es aber und das wissen vor allem seine Kinder und Angestellten.

Die erstmals in Rudolstadt arbeitende Regisseurin Maya Fanke (ohne Jahrgang, seit 1991 inszeniert sie, seit 1994 frei, die Liste ihrer Arbeiten aus 25 Jahren ist lang und durchaus imposant) hat dem Sommertheater gegeben, was des Sommertheaters ist. Bühne und Kostüme sind bunt und komödiengerecht (Eva Adler), man kann durch Türen ein und aus, wie es das einschlägige Klapp-auf-klapp-zu-Theater verlangt, für Gag und Slapstick ist angerichtet und die Darsteller und Darstellerinnen (Verzeihung, falls unter diesen jemand/in war, der sich keinem der herkömmlich-traditionellen Geschlechter zugehörig fühlt und deshalb nur noch auf New Yorker Geschlechtslos-Toiletten pullern/pinkeln möchte) ergreifen die Möglichkeiten beim Schopf in allen dort angesiedelten Farbschattierungen. Die Skala der Regieeinfälle reicht von nett bis köstlich, der Hauptdarsteller Johannes Arpe, der immer ein wenig den Jago unter der Maske hat, agiert bisweilen mit Lauten, die mich alten Römer an Louis de Funés erinnerten, es sind angenehme Erinnerungen. Marcus Ostberg, der bekanntlich weit mehr kann als aus alten NVA-Briefen lesen, ist als wirbelnder Wirbelwind mit Kostümwechseln, Tierlauten, Strohballen, dem Nachäffen seines Herrn vollauf beschäftigt und komisch, an ihm wird die Erinnerung auf alle Fälle haften.

Zu den köstlichen Einfällen zähle ich die mit einem Zum-Himmel-Zeigen verbundenen Vogelrufe der agierenden jungen Damen Lisa Klabunde, Marie Luise Stahl und Anna Oussankina, die gelegentlich auch einmal ins Repertoire der Katzen-Artikulation greifen durften. Lisa Klabunde hatte eingangs zudem noch den hinter der Kulisse ertönenden multiplen Orgasmus hörbar zu machen, Johannes Geißer als Valére war der zu diesem Zeitpunkt eher stille Verursacher des Höhepunktes. Zu Molieres Zeiten gehorchte man noch dem Vater, das Widersprechen oder Verweigern hatte jedoch bereits den Weg auf die Bühne gefunden. So wollen weder Èlise noch Cléanthe in die Verheiratungspläne ihres Vaters einwilligen, beide haben sich bereits, leichtsinnig genug, anderweitig versprochen. Dann setzt der Vater mit seinem eigenen Ehewunsch die erwachsenen Kinder in helle Panik, Élise soll allen Ernstes einen 73 Jahre alten Herrn Anselme heiraten, den Joachim Brunner ebenso spielt wie vorher in einem kurzen Auftritt den Makler Maître Simon. Für Cléanthe ist eine Witwe vorgesehen, die vor allem reich ist, eine Witwe soll auch dem Vater Harpagon schmackhaft gemacht werden, dass er von Marianne lasse (Marie Luise Stahl). Das wird aber nicht weiter verfolgt, dafür eine Zuschauerin ins Witwen-Geschehen einbezogen.

Verwechslungen und Missverständnisse sind die Kernsubstanz solcher Komödien, das wird besonders hübsch gespielt, wenn Marcus Ostberg als Bote zwischen Johannes Arpe und Günther Sturmlechner (Cleanthe) hin und her saust und schließlich alle glauben, was sie glauben wollen. Man erkennt ein Urmuster menschlicher Kommunikation. Nur einmal pfropft die Regie dem Text eine vordergründige Aktualität auf: als Arpe-Harpagon begründet, warum er sein Geld in der Schatulle versteckt: wegen der niedrigen Zinsen und Brexit. Dass sich die Schatulle vergraben fand, erfährt man in Rudolstadt nur aus dem Bericht des Dieners La Fléche (Tino Kühn), den der Eigentümer nicht verdächtigt, weil er den Verwalter verdächtigt, jenen Valére, den Marcus Ostberg immer „Hausmeister“ nennt, um sofort korrigiert zu werden: „Haushofmeister“. Die kleine Privatfehde zwischen beiden ist eines der Spielelemente, die Aktion ins Geschehen bringen. Die Zuschauer wollen so etwas, sie lachen, wenn Mehlstaub aus der Kochmütze stiebt, die sich Ostberg über die Ohren stülpt, sie lachen, wenn sie als potentielle Schatullendiebe oder Mitwisser direkt angesprochen werden. Und sie lachen, wenn Ostberg sich final die kostümierte Souffleuse Carolin Gindl schnappt, mit ihr das vierte Happy-End-Paar zu bilden, das nicht einmal Moliere hatte.

Seine herzlichsten Lacher sammelte Johannes Arpe, als er mit Brille aus der Seitentür kam, denn die gute Frosine (Anna Oussankina) hatte ihm eingeredet, dass Marianne nicht nur auf ältere Männer stehe und junge geradezu verachte, sie hatte ausdrücklich auch von den Augengläsern gesprochen. Frosine zerrt auch an seinen Ohren, klopft auf seine Brust. Während er hustete, war sie kaum zu bremsen im Lob seiner edlen Eigenschaften. Dass Marianne und Valére Geschwister sind, dass der alte Anselme ihrer beider Vater ist, erheitert und überrascht das Publikum der dritten Vorstellung und zeigt somit die nicht selten beschworenen Vorteile nicht vorhandener Textkenntnis. Das Ensemble darf gemeinsam singen, was sich nicht nur fügt, sondern eigenen Spielwert entfaltet. Im Programmflyer heißt es: „So ist der Geizige bei Moliere ebenso wie in unserer heutigen Gesellschaft zwar reich an Talern, aber letztlich arm dran! Denn Besitzstandswahrung um ihrer selbst willen ist nichts weiter als geistig-moralische Verelendung.“ Wir haben früher noch gesagt: Lieber arm dran als Arm ab! Doch der Wertewandel ist so etwas wie ein moralischer Klimawandel. Den man freilich nicht durch veganes Würstchenessen und Radfahren bekämpft. Für 2017 ist im Rudolstädter Sommertheater der Österreicher Nestroy angekündigt: die Posse „Umsonst“. Schön.
www.theater-rudolstadt.de


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