Fassbinder: Katzelmacher; Landestheater Coburg

Die Bayern waren, fremdenfeindlichkeitsmäßig gesehen, so etwas wie die Ostsachsen des Westens, lange ehe die Ostsachsen des Ostens auch nur ahnten, dass sie eines Tages als abschreckende Beispiele dienen müssen in Bayern. Wenn bei Fassbinder das Wort „Flüchtlinge“ vorkommt in diesem seltsamen Spiel mit diesem seltsamen Titel, dann sind da, in Hintertupfing, die Vertriebenen gemeint, die bei den Ostsachsen Umsiedler genannt werden mussten. Und nun kommen auch noch diese Italiener, diese Griechen, wir wissen inzwischen, dass das so genannte Wirtschaftswunder des Westens ohne die so genannten Gastarbeiter gar nicht wunderlich geworden wäre, nicht zu sprechen von den seltsamen Transferwegen aus der Zone, die zu blühenden Landschaften im Westen führten. „Katzelmacher“ in Coburg (Regie Thorsten Köhler) lässt den Jung-Griechen Jorgos, den einst im berühmten Film Rainer Werner Fassbinder höchstselbst spielte und Hanna Schygulla war die Marie, durch Mais in die Ortslage kommen. Unsereiner denkt da natürlich an die Maisfelder 1989, in denen mehr Kamerateams lungerten als ehemalige Trabant-Fahrer geduckt in die Freiheit schlichen.

„Katzelmacher“ in Coburg macht aus knapp 25 Druckseiten Stücktext 135 Minuten Spiel (mit einer Pause nach 45 Minuten). Nach dieser Maßgabe „Don Carlos“ und die Aufführung dauerte bis Dienstag kommender Woche. Fassbinder hat es seinen Inszenatoren insofern leicht und schwer zugleich gemacht, als er nichts, aber auch gar nichts an Regietext und Begleitinformationen etwa im Personenverzeichnis hinterlassen hat. Dort stehen die Namen nackt, man darf sich ausdenken, wie alt die zugehörigen Figuren vielleicht sein könnten. Tennessee Williams hat in manchem Stück mehr Platz für die Beschreibung der Bühne und der Personen verwandt als Fassbinder für alle seine Szenen in diesem öden Milieu. Die Uraufführung war am 7. April 1968 im von Fassbinder selbst gegründeten anti-theater München, die Gemeinde darf 2018 ein Klein-Jubiläum feiern. Die jungen Leute, um die es sich dann doch erkennbar handelt, die fixen Burschen waren noch nicht beim Bund gewesen, hängen ab, wie man das heute nennt. In Ermangelung von Smartphones in den Händen, die es noch nicht gab, quatschen sie leeres, dummes Zeug, trinken aus Bügelverschlussflaschen.

Sie treffen sich an einer Art von Imbissbude, an der ein Zigarettenautomat hängt und einer der später auch den Osten erobernden weißen Langnese-Abfalleimer. Man sitzt auf den weißen Plastik-Gartenstühlen, die es damals wahrscheinlich noch nicht gab und hat die schicken Sachen an, die man trug, als Ilja Richter noch die schwule Mode-Ikone war (war auch eigentlich erst etwas später). Die Klage gilt den nicht stattfindenden Tanzveranstaltungen, die dem Wirt zu teuer sind, und der nichtvorhandenen Music-Box, die nicht attraktiv ist für Umsatz und Zulauf. Unsereiner hatte 1967 und folgende fast jedes Wochenende eine Tanzveranstaltung mit Band in der 5000-Seelen-Stadt, nur Griechen kamen zu uns nie. Weshalb wir rückständig waren. Eine Kneipe hat dann doch schon einen Fernseher, dolle Gegend das. Zum vorgeschriebenen Fassbinder-Personal, aus dem niemand dem Rotstift zum Opfer fiel, hat Thorsten Köhler zwei Personen hinzuerfunden, die Frau im Kiosk, die nichts sagen, dafür aber später zwei Leikeim-Bierkästen schleppen muss, in der imaginären Kirche steht sie auch zum Gebet, und den Sprecher, den man nicht sieht, wohl aber von oben hört.

Er gibt, als die Bühne noch dunkel ist, eine Perspektive vor: die Erde wird von oben und außen beobachtet und neidisch erforscht, was kein Verweis auf Erich von Däniken sein muss, der zu Fassbinders Lebzeiten schon eine schwere Berühmtheit war. Der Sprecher ist in Coburg Thomas Straus, die stumme Frau am Leikeim Margret Steinhorst. Bühne und Kostüme verantwortet Nikolaus Porz, was herauskam, ist quietschbunt. Es sieht aus wie Ausstattungsstück und ist damit Anti zum anti-theater. Denn bei Fassbinder gab es einst weder Bühnenbild noch Kostüme. Die Personen bewegten sich einst immer leicht marionettenhaft, Fassbinder liebte inszenierte Amateur-haftigkeit. Fernsehkonserven von damals wirken heute leicht bis mittelschwer befremdlich, vor allem, wenn man weiß, was für grandiose Darsteller und vor allem Darstellerinnen aus manchen Sprechpuppen des Fassbinder-Universums geworden sind. Thorsten Köhler lässt seinen je fünf Damen und Herren hinreichend Künstlichkeit, erlaubt ihnen aber auch Anti-Anti-Spiel. Daraus macht Anne Rieckhof als Gunda am meisten, den Männern blieb eine Kunst-Steife bis zum Schluss.

Also: da ist ein ödes Nest, in dem eine Wundertüten-Fabrikantin Elisabeth (Kerstin Hänel) übers Amt in München einen Griechen vermittelt bekam. Die Integrationsideologie war noch nicht erfunden, die Volkshochschule nervte die Ausländer noch nicht mit Sprachkursen, Jorgos (Frederik Leberle) kann kaum mehr als den Zettel mit seiner Zieladresse vorweisen. Helga, Gunda, Marie und Ingrid sowie Paul, Erich und Franz lungern, mutmaßen, reichern erste frühe Aggressionen in sich an, als sie noch nichts wissen. Die Regie hat viel dafür getan, dass der jugendlichere Teil des Premieren-Publikums aus dem Lachen gar nicht wieder herauskam, was an den Stellen, an denen es nun wirklich nichts zu lachen gab, besonders peinlich wirkte. Der Running Gag des Spiels: die Dauer-Benutzung des Abtreters am Zugang zum Haus der Fabrikantin, die Kost und Logis gleich mit größter Selbstverständlichkeit dem Griechen wieder abknöpft, der wie Bruno (Niels Liebscher) in einer Art Garage mit Kipptor arbeiten muss und dort auch sein Bett stehen hat. Die Coburger Bühnen-Männer haben bis auf den Griechen alle lange Koteletten und die Schnurrbärte der Zeit.

Sie tragen die Schlaghosen der Zeit, die taillierten Hemden der Zeit und zu Gehör kommen die Schlager der Zeit. Herrliche Idee: wie alle in der Kirche (die Weiblichkeit mit schwarzen Schleiern) nach dem Gebet einen Schlagertext beten, es braucht eine katholische Sozialisation, um alles zu verstehen. Man hat sie wohl, wenn man in Bad Wörishofen geboren ist wie Fassbinder, und in München und Umgebung weiß man auch sofort, auf welche Oster-Liturgie der Schleier deutet, den unsereiner, atheistisch ost-versaut, erst nachschlagen müsste. Das Coburger Programmheft hat Fassbinder drei oder vier Jahre älter gemacht, als er war. Die Angaben zu seiner Geburt wanken zwar je nach Quelle zwischen 31. Mai 1945 und 31. Mai 1946, auf 1942 aber kam bisher niemand. Fällt jedoch unter die lässlichen Sünden. Eine echte Sünde ist, wie die jungen Männer inklusive Bruno, der eigentlich nicht will, den Griechen schlagen und boxen. Gunda als einzige der jungen Frauen tritt sogar zu, als Jorgos längst am Boden liegt. Man kennt das, wusste nur nicht mehr ganz sicher, wo die Wiege des Verfahrens denn nun wirklich stand. Fassbinder wusste es vor 50 Jahren.

Es ist eine verblüffende Ur- und Grundbrutalität in diesen männlichen Abhängern. Erich (Ingo Paulick) denkt sofort an Schlagringe und Bildung einer Gang, der Baseballschläger war offenbar noch nicht aus seinem sportlichem Umfeld herausgetreten. Zur Ausstattung holt man sich Rat in einem dicken Versandhauskatalog, noch das Detail ist stimmig und heute für viele nur noch kurios. Staunen und sogar etwas Ungläubigkeit begleitete im weiblichen Publikum die Auftritte der jungen Damen in ihren Minis. Ja, damals wusste jeder, wie Damenschlüpfer aussehen. Marie (Eva Marianne Berger) haut sich rücklings und untenrum türkisblau auf das Doppelbett von Bruno und Jorgos. Gunda enthüllt weiß, als sie ihre Strumpfhose in eine Gang-Maske verwandelt und es gibt auch eine einst wohl obergeile Netzstrumpfhose. Nur Ilja-Richter-Verschnitt Benjamin Hübner und eine der Damen verharren in Verbal-Aggression. Die Pointe, die Fassbinder, abermals der Hinweis dazu auf 1968, setzte, wirkt heute wie frisch genial: der eben noch verprügelte Grieche bekundet umgehend eigene Fremdenfeindlichkeit, als ihm ein türkischer Kollege angekündigt wird.

So klingen Fassbinder-Sätze: „Wenn eines keinen Verstand nicht hat, soll es schweigen.“ (Marie) „Die Sachen sind so wie sie sind, da kannst nichts machen.“ (Franz) „Weil der eine Unordnung gebracht hat, weil wir unsere Ruhe wollen.“ (Gunda) „Eine Ehe, das ist schon was. Eine Regelmäßigkeit ist nicht zum Verachten.“ (Gunda) „Einen Verstand muss man haben, da dran liegt es.“ (Paul/Oliver Baesler) Helga (Sarah Zaharanski) hat den letzten, den deprimierenden Schlusstext, Marie hat ihr eben gesagt, das sie auch mit nach Griechenland ginge, wenn dort Frau und Kinder des Mannes wären: „Ich weiß nicht. Einfach wegfahren. Und so weit.“ Fassbinder hat auch einen Grundkurs kapitalistische Betriebswirtschaft eingeflochten, zeitlos wahr: Der Grieche arbeitet mehr für weniger Geld, heraus kommen Profit und Extraprofit. Dass Elisabeth in dieser Hinsicht schlau ist und ein Vorbild, das begreifen dann alle. Auch wenn sie, wie Ingrid (Paulina Mertl) sich für eine Karriere als Sängerin ausnehmen lassen. Fassbinder mit Gesang und Tanz (Choreographie Mark McClain), das Landestheater Coburg demonstriert, dass es geht. Und gut.
www.landestheater-coburg.de


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