Blättchen für Heinz Knobloch (3)
Eine Überschrift zu ihm könnte lauten: Ungereimtes bei Heinz Knobloch. Es gibt mehr davon bei ihm, als man vermuten möchte. Auch: Verschwiegenes bei Heinz Knobloch wäre denkbar, wobei das ebenso als Unterthema gelesen werden dürfte. Was zum Beispiel wäre ungereimt bei ihm? Wenn er des längeren und breiteren und hinreichend umständlich erklärt, warum er in der damals noch nach Pfarrer Joachim Gauck benannten Behörde keine Akteneinsicht beantragte und dann wenige Seiten später weitergibt, was in einem Stasi-Bericht stand, den ein Beobachter, respektive Spitzel, über ein privates Zusammentreffen von Heinz und Helga Knobloch mit Hans-Jochen Vogel und Hans Otto Bräutigam verfasste. Sowohl Vogel als auch Bräutigam versieht Knobloch mit ihrem Doktor-Titel, dem Chef der Ständigen Vertretung der BRD in Ost-Berlin aber verweigert er seinen Vornamen. Im gleichen Buch, das innerhalb kurzer Zeit in zwei verschiedenen Verlagen erschien, Titel „Mit beiden Augen. Mein Leben zwischen den Zeilen“, steht der unerklärliche Satz: „Nachdem Gerhard Branstner im Eulenspiegel-Verlag meine Kurzgeschichten in einem Buch gedruckt hatte, verlangte er ermutigend einen Roman!“ Das Ausrufezeichen steht wirklich dort und ganz sicher nicht ohne Grund, nur mir erschließt der sich nicht. Meine Kurzgeschichten, steht da.
Romane werden immer und überall verlangt, Kurzgeschichten nie bis selten, Gedichte gar nicht, die kommen von alleine in die Verlage gepurzelt. Aber: meine Kurzgeschichten – das klingt als wären da im Laufe der Zeiten, es waren die Zeiten des unversöhnlichen ideologischen Klassenkampfes, so einige verstreut da und dort erschienen und hätten nun, wie das berühmte Bäumchen mit den reifen Äpfeln gerufen: Schüttle mich, ach schüttle mich, wir sind alle reif. Hermann Kant hätte an dieser Stelle in drei langen Nebensätzen dazu referiert, dass Fallobst eigentlich deutlich wertloser sei als gepflücktes Kernobst und dann gleich die Philosophie der Kerne, der Schalen, die Soziologie der pflückenden Kinder auf dem Lande eingeschoben. Tatsächlich handelt es sich um Knoblochs Buch „Ein gewisser Reginald Hinz“, wegen der Ironie hinzugefügt: „Seine fragwürdigen Erfahrungen dem Leser zugemutet“. Der Witz ist doppelt. Die Erfahrungen des Reginald Hinz sind tatsächlich fragwürdig, denn sie entspringen deutlich funktioneller Teilblindheit. Das soll hier aber nicht näher erörtert werden. Warum jedoch nennt Knobloch den Titel dieses seines Kurzgeschichten-Bandes nicht, der doch sonst in seinen autobiographischen Büchern auf vielen Seiten seine ersten, seine allerersten Feuilletons nennt, seine Buchtitel ohnehin und später auch Umstände ihres Entstehens?
Mal eine kleine Ungereimtheit: In „Bloß wegen der Liebe“ findet sich der Text „Fritz Meyer-Scharffenberg“. Er beginnt mit einer wunderbar typischen Knobloch-Wendung, die er sich hätte patentieren lassen sollen: „Er ist weder gestorben, noch hat er jetzt Geburtstag. Auszeichnung bekam er keine. Niemand kann mit dem Wort „anlässlich“ über ihn zu schreiben beginnen. Welch eine Gelegenheit, sich zu äußern.“ Mal abgesehen davon, dass, wer mit „anlässlich“ beginnt, sich schon einer lässlichen Sünde schuldig macht, an der Sprache nämlich, wie herrlich ist dieser sich selbst ausgestellte Freifahrtschein zu jedem Ziel, das dem Feuilletonisten mal so eben einfällt oder, was auch nie schlecht ist, gar kein Ziel war, sondern im Moment des Erblicktwerdens erst zu einem wird? Dann gibt es aber in der von Jürgen Borchert gemixten und geschüttelten Knobloch-Sammlung „Zur Feier des Alltags“ noch einen „Klappentext für Fritz Meyer-Scharffenberg“. Der ist bis auf die Überschrift und die Zeitangabe identisch mit „Fritz Meyer-Scharffenberg“ ohne alles. Dort 1969 entstanden, hier 1970. Bei Borchert ist die Information nachgestellt: „Fritz Meyer-Scharffenberg starb am 24. Dezember 1975.“ Was offen lässt, ob der Nachsatz von Borchert oder von Knobloch ist. Und erst in der Historisch-Kritischen Gesamtausgabe Knoblochs relevant wird.
Die kleine Ungereimtheit klärt sich vielleicht, wenn man weiß, das erfährt man aber erst sehr, sehr spät im so genannten dritten Band seiner Autobiographie „Mit beiden Augen. Mein Leben zwischen den Zeilen“, dass Knobloch für jedes einzelne Feuilleton eine Karteikarte anlegte, die verzeichnete, wann es entstand, wann es dann auch gedruckt wurde (oder nicht). Das Feuilleton „Fritz Meyer-Scharffenberg“ erschien in der dritten Wochenpost-Nummer des Jahres 1970 und ist damit ziemlich sicher schon 1969 geschrieben worden. In der Zählung der exakt 1000 Feuilletons, die zwischen Nummer 52/1968 und 6/1988 in der Rubrik „Mit beiden Augen“ erschienen, immer illustriert von Wolfgang Würfel, über den Knobloch natürlich auch, und wie üblich bei ihm mehrfach, geschrieben hat, war „Fritz Meyer-Scharffenberg“ die Nummer 57. Mein in langsam verblassender Bleistift-Schrift gehaltenes Parallel-Register für ganz alte Lektüren enthält keinen einzigen Titel von Meyer-Scharffenberg, im Bestandsregister der Bücher meiner Eltern finde ich nur den historischen Roman „Der Angstmann“, der 1975 zuerst erschien, 1976 eine erste und 1987 die zweite Nachauflage erlebte, also durchaus sehr gefragt war. Für bescheidene 32 Euro kann man, wenn man das mag, acht Titel von Fritz Meyer-Scharffenberg auf einmal erwerben in den Antiquariats-Netzwerken.
Die Karteikarten aber, die Knobloch als eine Art von Vorlass zum Registrieren der Deutschen Staatsbibliothek übergab, beschreibt er rückblickend, hat dieses edle Haus teilweise „verbummelt“. Ob alle, die ihre Vorlässe heute ans Deutsche Literaturarchiv Marbach liefern, vor solchen Schädigungen gesichert sind, entzieht sich vollständig und absolut meiner Kenntnis. Nun kann, so Knobloch, „niemand mehr den Zeitraum zwischen Schreiben und Abdruck feststellen“. Ich kenne einen ehemaligen Verleger, der beinhart fragen würde, wen denn dieser Zeitraum tatsächlich noch interessieren sollte. Der leider heftig druckfehlerhaltige Nachdruck des Verlags S. Fischer hat für Meyer-Scharffenberg auch noch das falsche Todesjahr konserviert. Knobloch hat es nicht bemerkt, falls er denn überhaupt Korrektur las. So ist er - „Wir wurden engste Freunde.“ - in Frankfurt am Main eben erst 1976 gestorben. Was in „Mit beiden Augen. Mein Leben zwischen den Zeilen“ über diesen Freund steht, muss zwingend als Ergänzung zum frühen Kalenderblatt gelesen werden. Eine größere Ungereimtheit, die man sicher freundlicher beschreiben kann, besteht für mich darin, dass Knobloch nur wenige Jahre nach dem genannten dritten autobiographischen Band, den es doppelt gibt, sich abermals seinen Wochenpost-Jahren widmete, in „Das Lächeln der Wochenpost“ (2002).
Hat, so muss die Frage nun lauten, die erste Erzählung Dinge weggelassen, die in der zweiten Fassung zu finden sind? Fehlen Namen und/oder Details in der zweiten Fassung, die in der ersten auftauchten? Und jetzt nicht mehr wichtig genug oder schützenswert erscheinen? An den Fakten hatte sich zwischenzeitlich nichts geändert, Zensur wirkte in beiden Fällen keine mehr oder nur eine im Inneren des Autobiographen. Ich bin mir nicht sicher, ob man für einen Textvergleich noch philologische Eleven interessieren und motivieren könnte. Selbst der wegen ständig neuer Drucke von allen Knobloch-Texten vielleicht bekannteste, die „Wanderung zu Fontanes Grab“, wird kaum mehr als einen winzigen Fan-Club so sehr interessieren, dass jeder umformulierte, jeder eingefügte, jeder weggelassene Satz, jede noch vorübergehend zurückgehaltene Information, die irgendwann dann schließlich doch aufscheint, Entdeckerfreuden auslöst. Was keineswegs schlimm ist. Münden doch Textgeschichte, Fassungsgeschichte letztlich ganz direkt in DDR-Geschichte und schon die muss im großen Deutschland um Aufmerksamkeit betteln. Große Rechnungen hat, so weit ich sehe, Heinz Knobloch der Vergangenheit nicht präsentiert in seinen späten Jahren. Den einen oder anderen leicht verblassenden Kassen-Bon aber hat er schon aus den Taschen gezogen: für uns alle.