Otto Reutter 150

„Das heißt, wenn diese Texte von einem schlechten Vorstadthumoristen gebracht werden, wenn sie der jüngste Lehrling auf dem Jubiläumsabend der Firma singt, dann lachen die Leute auch noch. Und mit Recht.“ Wenn sie aber, was wir erlebt haben, ein gestandener Mime wie Walter Plathe bringt, dem man nicht anmerkt, wie oft er dieses Programm schon gemacht hat zusammen mit Herrn Fiebig, dann ist es kaum auszuhalten.

Kurt Tucholsky, von dem das Eingangszitat stammt, hatte die schnöde Welt längst freiwillig verlassen, als Klein-Walter das Licht derselben erblickte. Und Otto Reutter, um den es ja am Ende eigentlich geht, war auch schon perdu. So richtig alt ist er nicht geworden, dieser Otto, der am 24. April 1870 als Sohn von Andreas Pfützenreuter geboren worden war. Norbert Blüm hätte seine helle Freude an solchen disziplinierten Senioren, die kurz vor Vollendung ihres 61. Lebensjahres durch unauffälliges Dahinscheiden die Rentenkasse entlasten. Aufs pure Nachleben wird derzeit noch keine Pension gezahlt.

Und Walter Plathe, der in der Tat etwas mehr Umfang in die Weste bringt, als er selbst früher brachte und zumal als Herr Fiebig zum Klavier tragen muss, Walter Plathe also scheint ein geborener Otto-Reutter-Interpret zu sein. Er bezieht das Publikum in seine Programmgestaltung ein. Nicht auf die plump-dämliche Weise, in der abgehalfterte und aufgezäumte Schlager-Mumien entsetzt-begeisterte Großmütter auf die Bühne zerren, sondern auf seine, die plathe-nette Art.

Die reichlich vierhundert zahlenden Gäste im großen Saal der Festhalle honorierten das, sie klatschten am Anfang, in der Mitte und am Ende. Mittendrin kreischte mal eine Dame vor Begeisterung, und manchmal musste Plathe selber lachen. Kann man mehr verlangen? Natürlich hat er den „Blusenkauf“ gesungen, ein Otto-Reutter-Abend ohne „Blusenkauf“ ist ähnlich schwer vorstellbar wie ein Kanzler ohne Kohl. Und überhaupt hat er die bekanntesten Sachen gesungen. Manchmal hat er ein Ströphchen oder auch zwei weggelassen, das wird denen auffallen, die zu Hause noch einen Blick in jenes zu DDR-Zeiten sehr gefragte Buch werfen mit dem Titel „Alles wegen de Leut“ (Klassische Kleine Bühne im Henschel-Verlag, liebe Bibliothekarinnen, das haben Sie hoffentlich nicht aussortiert weiland, als Konsalik Einzug hielt auf unserem jungfräulichen Buchmarkt).

„Wäre ich ein feiner Schriftsteller, so einer, der direkt aus dem Englischen dichtet, oder ein Mann, der seinen kleinen Horizont Heimat nennt oder ein Walle-Walle-Bart oder eine blitzende Brille, dann dürfte ich mich mit einem wie Reutter gar nicht abgeben.“ Schrieb auch Tucholsky und wir sind froh, dass er nicht aus dem Englischen dichtete. Denn es ist nachgerade erstaunlich, wie diese im günstigsten Falle 60 Jahre alten Texte (meist sind sie älter) lebendig sind, die olle Otto da schrieb und sang und Walter Plathe schafft es, was Kunst genannt werden darf, all diesen herrlichen Texten noch Nuancen abzuluchsen. Das war also wirklich was da in der Festhalle.
Zuerst veröffentlicht am 19. Februar 1997 in FREIES WORT, Überschrift: Walter Plathe kam und sah und sang und siegte.
Am Tag der Veröffentlichung rief mich eine mir bekannte weibliche Person an und
bekannte sich, die Kreischende gewesen zu sein. Herrlich!


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