Hinterhänger für Shakespeare

In Rudolstadt vergeigen sie einen „Othello“, in Meiningen „Maß für Maß“, Weimar nimmt „Der Sturm“ wieder in den Spielplan, Coburg hatte zuletzt „Der Kaufmann von Venedig“. Shakespeare ist, wie auch immer, omnipräsent in den Theatern nah und fern und doch fällt eines bereits nach kurzem Suchen auf: „Das Wintermärchen“ scheint keine Renaissance zu erleben, kein stabiles Fortleben zu führen oder gar eine Entdeckung zu sein. Vielleicht weckt ja die neue Langzeitausstellung des Meininger Theatermuseums frische Lüste. Bis zum 20. Januar 2013 kann der geneigte Besucher dort Hinterhänger, Kulissenbögen, Kostüme, Requisiten und viele viele Beiträge von des Theaterherzogs eigener Hand betrachten, allesamt zur zweiterfolgreichsten Shakespeare-Inszenierung der alten, der ganz berühmten Meininger, eben zum „Wintermärchen“.

Die Vernissage lockte Besucher in Scharen, schon eine halbe Stunde vor Beginn war ein Drittel aller Stühle bereits belegt, obwohl in der Bernhardstraße ja immerhin „Schwanensee“ gegeben wurde. Vorn waren zahlreiche Plätze für jene Gäste reserviert, die nach ihrem Erscheinen erst einmal all die Hände der bereits vorhandenen Vornsitzer schütteln müssen, ab Reihe drei konnte das gelassen besichtigt werden. Museumsdirektor Wiegand begrüßte, Volker Kern gab die knappe und prägnante Einführung. Musikalisch machten diese Eröffnungsstunde Dr. Ulrich Sommerrock (Laute) und Angela Schwaiger (Sopran) zum Erlebnis, sie präsentierten Lautenlieder der Shakespeare-Zeit, dazu informative Erklärungen des Abendrepertoires.

Nicht weniger als 233-mal ist das „Wintermärchen“ zwischen 1874 und 1890 in insgesamt 35 Städten gelaufen auf den europaweit berühmten Gastspielreisen der Meininger, zuletzt am 30. Juni 1890 in Odessa. Vorher war es in Meiningen selbst ganze dreimal aufgeführt worden und zwar in der von Franz Dingelstedt einschlägig verstümmelten Form, dann griff man auf die auch heute noch in den klassischen Ausgaben präsente Übertragung von Dorothea Tieck zurück. Das wagen Regisseure jetzt nur noch selten, am liebsten würde jeder zweite seinen Shakespeare selbst übersetzen, was dem Zeitgeist immer, Shakespeare nur selten dient. Mindestens die Poesie der Sprache geht verloren, selbst wenn das spaßgesellschaftlich flach geklopfte Restsubstrat noch halbwegs über die Bühne flutscht. Es wäre den Versuch wert, einmal dieses „Wintermärchen“ in diesen so romantischen, so durchaus gartenlaubig-kitschigen Kulissen zu spielen, einmal, vielleicht kann ein notleidendes Ensemble ja ausnahmsweise sogar richtige Kostüme dafür irgendwo leihen.

Gerade Ausstellungen wie diese, gerade diese in der Art ihrer Präsentation, (Michael Jeske ist mit dem Zwischenmonolog zu vernehmen, der im Personalverzeichnis des Stückes als „Die Zeit als Chorus“ erscheint, während Lichtwechsel und Musik die erstaunliche Präsenz dieses Bühnenbildes sogar ohne lebendiges Spielgeschehen vorführen)  machen Lust auf nostalgische Erlebnisse. Während niemand Max Rabe komisch oder gar albern findet, würde die jetztzeitige Theaterschickeria wahrscheinlich den plötzlichen Herztod erleiden, käme ein Regisseur dieses oder jenes Geschlechts auf die wahnwitzige Idee, mal keinen Aluminiumbausatz mit Brettern aus dem Baumarkt zu verschrauben, sondern diese lieben alten Hinterhänger auf die Bühne zu baumeln.

Der späte, nicht der alte, den gab es gar nicht, Shakespeare hat souverän gezeigt, wie man mischen kann, man kann eine Tragödie in eine Romanze kippen lassen, man kann Slapstick und Grauen verschmelzen, man kann aristotelische Einheiten, ohne eine Diskursanalyse dazu im noch gar nicht vorhandenen Internet kursieren zu lassen, mit simplen Tricks aufsprengen und realistisch muss gar nichts sein. Böhmen am Meer, das zeigt sogar dieser Hinterhänger für die in Böhmen spielende Schäferszenerie des „Wintermärchens“, das geht. Und aus der nachfolgenden Geschichte wissen wir, dass es sogar literaturstiftend war von Bachmann bis Fühmann and so on. Die Redner des Abends erinnerten an die einstigen und die jetzigen Kooperationen, einst mit Coburg, jetzt mit Würzburg, damit diese Bühnenzeugnisse entstehen beziehungsweise restauriert werden konnten. Aus Würzburg war eine ganze Delegation angereist, empfing Beifall und wurde fotografiert.

Was sieht man nun also noch alles? Unten außerdem noch Fotos von den alten Darstellern, denn Fotografie gab es damals schon. Also: Olga Lorenz als Hermione, Gertrud und Marie Stedter als Schäferinnen, ebenso Reinhilde König, Karl Görner als Rüpel, Adolf Link als Autolycus, Elsa Hartmann als Perdita. Man sieht Figurinen (acht unten, weitere oben über die beiden Treppen zu erreichen), die der Herzog selbst gestrichelt hat, Programmzettel vom 13. Juni 1885, vom 7. November 1883, Arthur Kraußneck als Leontes, Szenenentwürfe des Herzogs, eine alte Rezension aus der „Weser-Zeitung“, dies und das. Es lädt durchaus zum Verweilen und Detailgucken.

Volker Kern erinnerte in seiner Einführung an Alfred Kerr. Natürlich, möchte man meinen, keine Charakterisierung des „Wintermärchens“ ist sprichwörtlicher geworden als die, die Kerr im Anschluss an die Max-Reinhardt-Inszenierung in Berlin 1906 zu Papier brachte. Die Nummer IV seiner berühmten, immer römisch nummerierten Absätze begann so: „Das „Wintermärchen“ gehört zu der Art Dichtungen, denen ich die „Lustigen Weiber“, auch Kleists „Käthchen“ zurechne: die Erinnerung daran ist viel schöner als das Stück. „Das Wintermärchen“ ist, in der Nähe betrachtet, der Schmarren eines Genies.“ Georg Hensel hat, als er die Sellner-Inszenierung in Darmstadt besprach (1. November 1958), sofort an diesen Kerr erinnert. Die Probe wäre zu liefern. Wie geht ein genialer Schmarren?


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