Schweizer Blick auf Goethe
Adolf Muschg hält heute den Ilmenauer Festvortrag zum morgigen 250. Geburtstag*
Ilmenau (eu). Mit der heutigen Festveranstaltung am Vorabend des eigentlichen Jubiläumstages geht das Goethejahr 1999 in Ilmenau in seine abschließende Phase über.
Den Festvortrag hält mit Professor Adolf Muschg aus Zürich nicht nur ein profunder Goethekenner, sondern auch ein Mann, dessen eigenes Werk das Profil der Schweizer deutschsprachigen Literatur in der zweiten Jahrhunderthälfte kräftig mitgeprägt hat. Eifrigen Lesern aus DDR-Zeiten muß Adolf Muschg nicht besonders vorgestellt werden. Der am 13. Mai 1934 in Zollikon geborene Autor steht mit zwei Bänden in jeder ordentlich gesammelten Spektrum-Reihe des Verlages Volk & Welt Berlin, den es heute in gnadenlos abgespeckten Formen immer noch gibt. Es sind die die Bändchen 67 „Der blaue Mann“ und 157 „Noch ein Wunsch“. Ein fast 500 Seiten starker Band mit dem nicht übertrieben aufregenden Titel „Texte“ erschien in der noblen Reihe ex libris des gleichen Verlages und brachte dem DDR-Leser neben Erzählungen auch die überarbeiteten Frankfurter Vorlesungen nahe. Die Romane „Albissers Grund“, „Baiyun oder die Freundschaftsgesellschaft“ und „Das Licht und der Schlüssel“ erschienen ebenfalls in hiesigen Breiten.
Viel später erst konnten seine Leser hier den längst weißhaarigen Mann auch im Fernsehen erleben. Der Sende 3sat übernahm eine aus dem Meer idiotischer Talkshows unendlich herausragende schweizerische Gesprächsrunde, in der sich Teilnehmer nicht gegenseitig ins Wort fielen, geschweige denn anblafften, wie es selbst in den Flagschiffsendungen anderer Kanäle der Normalfall ist. Freilich ging es dabei mitunter um so hochgestochene Themen mit so viel intellektuellem Feinsinn, daß der Scharfrichter der Medienwelt, die Einschaltquote, schon fast rekordverdächtig niedrig lag. Adolf Muschg als prägender Mann der Runde ist dadurch sicher nicht beschädigt worden, in Gefahr, ein Liebling der Massen zu werden, geriet er freilich ebenfalls nicht.
Adolf Muschg hat bei dem berühmten Emil Staiger über Ernst Barlach promoviert, war Gymnasiallehren und ist seit 1979 Professor für Literaturwissenschaft an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (einen solchen Lehrstuhl hat die freistaatliche-thüringische Technische Universität Ilmenau wahrscheinlich nicht einmal im fernen Wunschprogramm). Sein 1980 auch in der DDR erschienenen Buch über Gottfried Keller ist nicht auf der Liste der lieferbaren Literatur, dafür aber sein Titel „Goethe als Emigrant. Auf der Suche nach dem Grünen bei einem alten Dichter“. Das gibt es sowohl bei Insel als auch bei Suhrkamp.
Wer sich also heute in der Festhalle zur 17 Uhr beginnenden Festveranstaltung einfindet, wird einen Mann erleben, der nicht nur schreiben kann, sondern auch das gesprochene Wort setzen. Der vielleicht der bedeutendste lebende Schweizer Autor ist, vielleicht auch nicht. Dergleichen kann immer nur durch Leser überprüft werden und im heutigen Falle auch durch Hören.
* zuerst erschienen: Freies Wort , 27. August 1999