Heile Müllwelt

Klar, an das Sandmännchen haben sich selbst hart gesottene DDR-Ignoranten innerhalb der Freien Akademie für Deutungshoheit und deutsche Selbstgewissheit gewöhnt. Sogar die zarte Assoziation, die das Spitzbärtchen am Sandmann in Richtung des fistelstimmigen Generalsekretärs aus Sachsen erlaubt, dessen Aussage über den Genossen Niemand 1961 den Mauerbau ankündigte, geht einigermaßen glatt durch, ohne dass die Opferverbände gleich Transparente vor den Akademietreppen ausrollen und schwenken.

Dann aber ist da das Sekundärrohstoffwesen der Deutschen Demokratischen Republik. Eine Insel im Staat der zehn Gebote der sozialistischen Moral, eine Insel der nackten und reinen Marktwirtschaft mit Nebenfolgen an Nachhaltigkeit und Umweltschutz schon in einer Zeit, als Nachhaltigkeit und Umweltschutz noch nicht einmal ihren Aposteln ein Begriff waren. Undenkbar, dass eine ondulierte Omi, die heute jede Woche zweimal zum parteiunabhängigen SED-Nachfolge-Seniorentreff wandert, um die Kommunikation Gleichgesinnter zu genießen, auf dem Hinweg alles, was Abfall heißt, klimpernd, klirrend, klappernd in die graue Restmülltonne schüttet, um es dem imperialistischen Scheißstaat mal richtig zu zeigen, der die schöne DDR abgelöst hat.

Früher, da wäre jedes Blatt Werbung auf ein Stapelchen gekommen, das schon mit dem Gewicht von einem Kilo 30 Pfennig wert gewesen wäre, jedes Marmeladeglas, mit Inhalt Pflaumenmus nur 87 Pfennig teuer, war vom Mus geleert schon weitere 30 Pfennig wert und so wanderte alles von der ausgeleierten Strickjacke Opi's bis zur Parteitagsbroschüre, von der leeren Kirsch-Whisky-Pulle bis zum Bezirksorgan der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands irgendwann in den Händen jener seltsamen Grauzonen-Branche des real existierenden Sozialismus, in dem ungeeichte Gewichte, kuriose Zählweisen und falsche Schrottidentifikationen stille Duldung genossen.

Und wie die Realsatire zur heilen SERO-Welt gestaltete sich, was man in erster Näherung Deponie-Kultur nennen kann, falls man nicht geneigt ist, Kultur als positiv besetzten Wertbegriff misszuverstehen. Man kann heute, da das System des gelben Sackes, die Müllverbrennung, die Rekultivierung und was sonst einem so an Schlagworten einfällt, fast durchgängig wieder der Schnee von vorgestern sind, kaum noch eine Vorstellung vermitteln, wie das war damals, als der Klassenfeind uns noch bedrohte mit Kartoffelkäfer, Westfernsehen und alten Nazigeneralen in neuen Führungspositionen. Damals, um meine erste Heimatstadt Gehren zu nennen, warf man, wenn man aus der Talstraße abkürzend zum Konsum in der Dimitroffstraße ging, das eine oder andere, Rasierklingen beispielsweise, in den Schlossgraben, der noch offen, und schon Mülldeponie war. In meiner zweiten Heimatstadt Ilmenau warf man alles ordentlich in eine Tonne, die dann unordentlich auf der Deponie mit dem heute etwas irritierenden Namen Zirkusplatz landete. Der immer brannte, immer stank und der Feuerwehr herrliche Mengen Freizeit stahl.

Von Großbreitenbach bis Geschwenda, von Allersdorf bis Schmiedefeld gab es diese Plätze, die der Sozialismus allein im Kreis Ilmenau, so hieß der damals noch, eigens angelegt hatte, um der postrevolutionären Rekultivierungswirtschaft Serien von Millionenaufträgen, den kommunalen Haushalten Alpträume von Kosten und Schulden aufzuladen. Und wie war das nun früher, liebe Kinder an den Bildschirmen?? Der Zufall hat mich auf eine nur fünf Seiten lange Geschichte eines Schriftstellers verwiesen, der im Februar 60 Jahre alt wurde und heute Chef des Kleist-Museums in Frankfurt/Oder ist: Wolfgang de Bruyn, der es wohl leid ist, stets zuerst Sohn des Günter de Bruyn genannt zu werden, obwohl er das immer und ewig ja bleibt. Ja, dieser müpfige Jahrgang 1951 ist dieses Jahr dran mit dem Sechzigwerden, die wenigsten tragen noch die langen Haare von einst. Und eine Reihe von ihnen aus der Berufsgruppe Schriftsteller ist im Internet so schwer zu finden, dass einem ein unabweislicher Verdacht kommt, für welches Ministerium sie nebenberuflich tätig waren, weil sie das Schreiben nun einmal gelernt hatten.

Wolfgang de Bruyn jedenfalls hat die Geschichte DORT OBEN IM TAL genannt, man findet sie in seinem1983 erschienenen Band DIE LETZTE RUNDE, und es ist die Geschichte eines alten Mannes, der auf einer wilden DDR-Müllkippe lebt, auf der vollkommen unsortiert und von Erzähler wie Held ebenso vollkommen unreflektiert alles abgekippt wird, was aus Industrie und Handel kommt und aus privater Hand natürlich auch. Es brennt, es stinkt, es ist gefährlich und es rückt immer näher an den benachbarten Friedhof heran, nachdem es ein Tal verfüllt hat. Man ist platt und starr vor Staunen. So war es. Es sah idyllisch aus und war eine Sauerei.

Jedes auch nur andeutungsweise kritische Wort in der Geschichte würde sie nervig machen. Nervig, wie jene Studenten, die mir zur Zeit des Erscheinens dieser Geschichte gern Fotos zeigten vom toten Kamm des Erzgebirges, um mir zu sagen, was für ein finsteres, umweltzerstörendes Land diese DDR sei. Als ob mich das überrascht hätte. So aber hat de Bruyn eine heile Müllwelt geschildert. Alle Schreihälse, die zu wenig DDR-Aufklärung in den Schulen anprangern, haben hier Schulstoff pur. Müssten nur ein paar Sonderdrucke angefertigt werden. Mit Erlaubnis des Autors natürlich.


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