Blättchen für Heinz Knobloch

Zunächst muss ich das Geständnis loswerden, dass ich Heinz Knobloch sehr spät für mich entdeckte. Das ist wichtig, denn es besteht die akute Gefahr, dass ich in Kürze für einen großen Knobloch-Experten gehalten werde. Was ein Ruf wäre, um den ich mich nicht aktiv beworben hätte, er fiele mir zu. Rufe haben dergleichen an sich. Ich bin auch schon in den Ruf geraten, Experte für ungarische Literatur sein und ein rein bulgarisches Paar mit hohem Einkommen war vor Jahren erstaunt, was ich alles aus ihrer Literatur kannte. Dabei hatte nicht mehr getan, als zwei Jahre lang fast ausschließlich Bücher von bulgarischen Autorinnen und Autoren (schön gesagt) zu lesen, sogar zwei bulgarische Literaturgeschichten. Ich bin so. Knobloch-Literaturgeschichten werde ich keine lesen, denn es gibt keine. Zurück zum Ausgangspunkt. Ich kaufte mir, weitgehend unabhängig von jeglichem Gedanken an Knobloch, ein altes Buch in einem Versandantiquariat.

Ich gestehe, dass ich dergleichen sehr oft tue und nur noch selten höchstpersönlich in Antiquariaten an den Regalen entlang pilgere, um mich überraschen zu lassen. Das Buch trägt den wenig aufregenden Titel „Beiträge zur Geschichte des Feuilletons“. Verfasst hat es Ernst Eckstein (6. Februar 1845 – 18. November 1900), von dem ich bis dato nie gehört hatte. Erschienen ist das 182 Seiten starke Buch im Verlag von Johann Friedrich Hartknoch in Leipzig 1876. Das Buchwesen könnte demnach rein theoretisch im kommenden Jahr das 150-jährige Jubiläum dieses Erscheinens feiern, was es natürlich nicht tun wird. Man kann schließlich nicht jedes Fest feiern, wie es fällt. Auch wenn Sprichwörter anderes behaupten. Noch habe ich in dem Buch nicht gelesen, sondern mich nur an seinem Erhaltungszustand erfreut, es ist sauber, enthält keine Anstreichungen, was nicht immer so bleiben wird.

Dieser Eckstein starb in Dresden, das wäre festzuhalten. Und er schrieb eine Humoreske „Der Besuch im Carcer“, die in 27 Jahren 57 Auflagen erlebte. Daraus soll Heinrich Spoerl sich die Idee für „Die Feuerzangenbowle“ gezogen haben, die sicher 57mal mindestens im Fernsehen gezeigt wurde, weil darin Heinz Rühmann der Schülermützen-Pfeiffer mit drei f war. Begraben ist Eckstein auf dem Trinitatis-Friedhof, auf dem mehr Prominente liegen als auf anderen Friedhöfen sterbliche Reste ohne Prominenz. Ich nenne nur mal so Caspar David Friedrich, Carl Gustav Carus, Otto Ludwig, Georg von Ompteda, Ernst Rietzschel. Empfehlenswert als Pilgerstätte. Knobloch war sicher da als alter Friedhofsfreund, wenngleich er selbst im Familiengrab auf dem Dresdener Johannisfriedhof seine finale Ruhe fand. Auch dort liegen reihenweise Prominente, aber eher Oberbürgermeister und Architekten als Schriftsteller. Und ein König: König Kurt Biedenkopf.

Wen die alte Neugier Knoblochs treibt, der muss natürlich nicht auf die Leseleiter zu seinen sieben Konversationslexika steigen, wie der Meister des DDR-Feuilletons es tun musste mangels Wikipedia und Internet in umgekehrter Reihenfolge. Da stößt dann die Wissbegier auf die Information, dass eine gewisser Wilmont Haacke den Artikel über Ernst Eckstein für die Neue Deutsche Biographie (NDB) verfasst hat. Haacke? Tatsächlich: mein gut erhaltenes Exemplar von „Beiträge zur Geschichte des Feuilletons“ trägt nicht weniger als fünf Eigentumsstempel von ihm. Er firmiert als Dr. phil. W. Haacke, Assistent am Institut für Zeitungswissenschaft in Wien in der Hessgasse 7, zweimal. Und dreimal als Dozent Dr. phil. habil. Wilmont Haacke, Münster/Westfalen, Rosenstraße 9, Institut für Publizistik. Geholfen hat alles nichts, das Buch gehört jetzt mir und von mir steht nur einfach Ullrich unter 1876, ich habe den Buchstempel meiner Eltern geerbt.

Als ich dann vom einfachen Besitzer vierer Taschenbücher von Heinz Knobloch zum Sammler seines Schaffens wurde mit mehr als zwei Dutzend Bänden aus der DDR und ihres revolutionären Nachfolgers BRD, da kam natürlich auch „Sündenfälle“ in meine Bestände, das Buch, in dem Knobloch seine Auswahl von Victor Auburtin versammelte: stolze 440 Seiten mit Nachwort, Bibliographie und Anmerkungen. Mühe hat er sich gegeben und das Ergebnis ist für helle Freude meinerseits verantwortlich. In der Bibliographie aber sind unter Punkt V drei Ausgaben aus den Jahren 1940, 1948 und 1953 verzeichnet, die Wilmont Haacke verantwortete, die Ausgabe von 1940 wurde 1946 neu herausgegeben. Haacke (4. März 1911 – 23. Juli 2008) vertrat ausgerechnet in seinem ersten Auburtin-Band von 1940 antisemitische Positionen (an anderen Stellen auch), was seiner Karriere nach 1945 im Westen Deutschlands nicht hinderlich war, natürlich nicht. Man müsste die Fassungen der Auswahl von 1940 und 1946 vergleichen, vor allem das Nachwort. Immerhin hat die Hessgasse Wien, in der Haacke assistierte, ihren Namen von Heinrich Freiherr von Hess und nicht etwa von Rudolf Heß, dem Stellvertreter des „Führers“.

Heinz Knobloch ist in seinem Nachwort vom Sommer 1969 äußerst milde mit Wilmont Haacke umgegangen, der es noch bis zum Ordinarius an der Universität Göttingen brachte. Die braven Lexika, auf die er angewiesen war, ließen ihm wohl keine andere Wahl. Auch fiel der erste öffentliche Protest gegen eine Haacke-Ehrung schon ins Jahr 1970, da waren die „Sündenfälle“ schon ein kleiner Nachwort-Sündenfall, ein kleiner, verglichen mit wirklich großen im Umgang mit alten Nazis und ihren übereifrigen Mitläufern. Immerhin, wir verschweigen es nicht, promovierte Haacke über Julius Rodenberg, seine Dissertation über den Deutsch-Juden durfte lediglich nicht gedruckt werden. Sein „Handbuch des Feuilletons“ in drei Bänden war noch Klassiker der frühen Bundesrepublik. „In seiner allgemeinen Bewertung ist Haacke für unsere Sicht zu großzügig ...“ lese ich bei Knobloch und bin mir nicht sicher, ob ich das wirklich überprüfen möchte.


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