Blättchen für Heinz Knobloch (2)
Als Nachgeborener ist man bisweilen, falls man fröhlich und unbefangen an ihn herangeht, leicht irritiert. Mit er ist Knobloch gemeint, Heinz näher hin. Er teilt in den Fußnoten seiner Nachwende-Sammlung „Misstraut den Grünanlagen“ (Transit-Verlag 1996) mit - ein wenig dreckige Wäsche wäscht am Ende dann doch jeder gern -, dass Günther Deicke in dem Leipziger Reclam-Buch „Fragebogen: Zensur“ von 1995 die Geschichte erzähle, wie es seinem, Knoblochs, Roman „Man sieht sich um und fragt“ unter den Bedingungen von Zensur in der DDR ergangen ist. Mich hatte „Fragebogen: Zensur“ bis dahin nicht zum verspäteten Kauf animiert, nun aber war meine Neugier geweckt. Die beiden Romane Knoblochs lagen (und liegen) weit unten im Stapel der noch zu lesenden seiner Bücher, doch rückt der Tag näher, da ich sie mir vornehme. Wobei ich gleich gestehen will, dass selbst der rundeste aller Geburtstage von Günther Deicke mich nie hätte oder würde verleiten können, ihm viel Aufmerksamkeit zuzuwenden. Er war nie mein Mann, er wird es nie werden, da kann er in Hildburghausen geboren sein, da kann ihn Joachim Walther am Ende als nie aktiv gewordenen IMS-Kandidaten „Heinrich“ quasi entlastet haben: er sollte Günter Kunert bespitzeln. Der dann aber die DDR legal verließ und mir damit mein Diplom-Thema entzog.
Knobloch verweist auf einen Nebensatz im Rechenschaftsreferat des Schriftstellerkongresses, ohne zu verraten, welchen er meine, denn es gab 1969 einen und 1973 den nächsten und 1978 dann den berühmten, der die Rede von Stephan Hermlin in allen Protokollen mit drei Punkten statt Text vor aller Augen zensierte. Mir fehlt gerade die Lust, die Protokollbände zu studieren, die natürlich keine Personenregister enthalten. Irgendwann finde ich den Nebensatz und verleibe ihn einer meiner zahlreichen Knobloch-Dateien ein. Deicke verharmlost eingangs das Zensur-Phänomen in der DDR nach Kräften, also nicht allzu dreist, aber doch merklich und spürbar. Dann nimmt er sich Knoblochs an, der den Fragebogen entweder selbst nicht erhalten oder aber eine Antwort darauf verweigert hat. Dafür ist der Herausgeber Richard Zipser in seinem Vorwort recht ausführlich auf Knobloch eingegangen, ein Lobgesang klingt anders. Zipser, Jahrgang 1943, ist übrigens der, der im Verlag meines Freundes Christoph Links 2013 „Von Oberlin nach Ostberlin“ veröffentlichte, mit dem Untertitel „Als Amerikaner unterwegs in der DDR-Literaturszene“. Das ging damals schon nicht mehr wie geschnitten Brot, als manche nicht mehr sicher waren, ob es eine DDR überhaupt gegeben hatte. Im Personenregister des Buches erscheint Heinz Knobloch nicht. Das fällt mir auf.
Zipser zitiert im Vorwort zu „Fragebogen: Zensur“ eine Äußerung Knoblochs, die am 16. Mai 1990 von der Süddeutschen Zeitung, Überschrift „Die verlorene Lust“, gedruckt ist. Es ist auffällig, dass gerade dieser Text in den Nachwende-Sammlungen Knoblochs fehlt, man darf darüber nachdenken. Dort heißt es: „Jetzt aber, wo sich kein Aufseher mehr um uns kümmert – nicht einmal wegen der Interpunktion – macht das Schreiben weniger Spaß. Wer kann meine Lust nachfühlen, wenn schon den Kontrollredakteurinnen der Nebensatz entging, deswegen das Feuilleton überhaupt geschrieben worden war; wer ahnt das hohe Vergnügen, wenn selbst dem Argusblick der Chefredakteurin die Formulierung entwischte, die der unbekannten Leserin, dem wartenden Leser sagte: Lest es zweimal, lest zwischen den Zeilen.“ Lassen wir beiseite, dass Knobloch offenbar vor allem von Frauen kontrolliert wurde, wobei unter den Lesern auch Männer gewesen zu sein scheinen. Zipser zitiert auch noch das Ende des Beitrages: „Jetzt müssen wir wieder bloß noch Literatur anbieten, oder gar Poesie. Und wer will die schon haben?“ Das kann man auch undramatisch sehen. Denn erstens muss man die doppelte Ironie erkennen, die da waltet und dann, zweitens, natürlich wissen, dass es tatsächlich einen radikalen Bedeutungsverlust für DDR-Literatur und ihre Autoren gab.
Und, das hier nur nebenbei: es gab nicht nur einen Bedeutungsverlust, es gab auch einen Privilegien-Verlust, den bis heute, so weit ich sehe, niemand je thematisiert hat, es brächte Peinlichkeiten an den Tag. Ich zum Beispiel, unbekannt und unbedeutend, eben erst Kandidat des Schriftstellerverbandes geworden 1989, bekam mitgeteilt, dass ich hinfort Teil der Dispensaire-Versorgung der Kreisleitung wäre, der SED wohlgemerkt. Andere, auch Systemkritiker der demonstrativen Sorte, fanden es nicht komisch, bei Bedarf eines neuen Personenkraftwagens sich direkt an die oberste Parteiführung zu wenden oder wenigstens an die oberste zugängliche von Bezirk oder Kreis. Zipser kommentiert: „Obwohl sich Knobloch und andere DDR-Schriftsteller möglicherweise an ihren Erfolgen, den Zensor hintergangen zu haben, weideten und sich die Hände rieben, weil dem wachsamen Auge eine Zeile oder ein Gedanke entgangen war, bleibt die Frage: Wie viele DDR-Leser waren denn fähig, zwischen den Zeilen zu lesen? Die Antwort darauf ist höchstwahrscheinlich: abgesehen von den Schriftstellern selbst und einigen eingeweihten Literaturkritikern, verhältnismäßig wenige.“ Hier wäre kurz einzuhalten: War das denn jemals anders, zu Lessings, zu Goethes, zu Moses Mendelssohns Zeiten. Die DDR hielt auf Tradition.
Man könnte freilich einwenden: Knobloch verstieß gar nicht selten mit seinen Nebensätzen, seinen Pointen, gegen die von ihm selbst gelegentlich vorgetragenen Prinzipien des neuen sozialistischen Feuilletons. Im übrigen, Zensur kann auch, wenn ihr nicht Blindheit als Artmerkmal zugeschrieben wird, bisweilen ein oder anderthalb Augen zugedrückt haben. Mich hat zum Beispiel schon als Student gewundert, wie im finsteren zaristischen Russland Bücher, die verboten worden wären, allein mit einem neuen Buchtitel doch gedruckt wurden, es gibt klassische Beispiele. So dämlich kann doch selbst russische Zensur, heutigen Denkmustern eine Freude zu machen, nicht gewesen sein. Es ist durchaus davon auszunehmen, dass auch unter den strengsten Zensoren Menschen waren, die ahnten, dass Bücher eben doch gar nichts bewirken. Nur Diktatoren nehmen das an und Autoren ziehen aus der Annahme der Diktatoren Wertschätzung. Das klingt ein wenig böse und ist auch so gedacht. Die Fußnote Nummer 38 zu Richard Zipsers Vorwort führt zu einem Buch, das ich vor reichlich zweiundzwanzig Jahren las, neugierig, angetan und auch ein wenig enttäuscht: „Der Sturz vom Sockel. Feststellungen und Widersprüche“ von Günter Kunert. Vorn drauf ein Monumental-Lenin, am Demontagekran hängend, die Beine bis zum Knie noch auf dem Sockel.
Kunert schrieb, Titel „Schreiben in einem Deutschland“: „Man hat den Eindruck, als hätten manche Autoren durch das Ende der Zensur einen persönlichen Verlust erlitten. Es zeigen sich Entzugserscheinungen. Denn mit der Zensur verloren die Autoren ihre treuesten und aufmerksamsten Leser, die, wie kein Leser sonst, jedes Wort auf die Goldwaage legten. So was findet man nicht wieder. Die Klagen über mangelndes Leser-Interesse, die aus den neuen Bundesländern zu uns dringt, impliziert die Trauer um den Verlust der Zensur, da deren Interesse mit dem der Leser in engem Konnex stand.“ Man hätte statt Konnex natürlich auch ein Wort nehmen können, das jeder versteht. Das würde man sich dann aber wieder nur schwer verzeihen. Man will Exklusivität, Inklusivität ist etwas für Sozialarbeiter. Knoblochs Name fällt nicht bei Kunert. Den folgenden seiner Sätze zitiert Zipser dann nicht mehr: „Und der Autor wird böse über so viel Treulosigkeit und Verrat und schimpft die gestrige Leserschaft Pack und Pöbel, ohne Einsicht, dass nichts weiter eingetreten ist als der Normalzustand.“ Die Stasi taufte ihren Operativen Vorgang (OV) zu Kunert „Zyniker“. Für sie waren Menschen, die Dinge bei ihrem Namen nennen, Zyniker. Hat sich in dieser Hinsicht viel geändert: Aktion Sorgenkind wird Aktion Mensch?
Was aber erzählt denn nun Günther Deicke, der Lyriker und Anthologist? „Anfang der sechziger Jahre erfand Heinz Knobloch, Journalist und Schriftsteller, den Buchhändler Bütten. „Pardon für Bütten“ hieß die Erzählung, die im Verlag für Humor und Satire 1963 erschienen war.“ Man muss den Humor schon hier aufbringen, dass es gar keinen Verlag für Humor und Satire in der DDR gab, dieses Namens jedenfalls nicht, wohl aber den Eulenspiegel Verlag Berlin. Warum den nicht gleich nennen, Deicke? Mein Exemplar von „Pardon für Bütten“ stammt aus dem Verlag der Nation Berlin, 1. Auflage 1976. Natürlich kann ein Verlag seine Auflage die erste nennen, aber es hat einen Geschmack, wenn er die wirkliche erste Auflage, deren Illustrationen er ebenfalls nachnutzt für seine neue erste Auflage, verschweigt. Günther Deicke, der Verschweiger, nennt auch den Verlag der Nation nicht Verlag der Nation, vermutlich fand er das lustig, obwohl es albern nur war, denn es war sein eigener Verlag. „Mein Verlag war auf Literatur für den Mittelstand profiliert“, verrät er, als hätte es im Staat der Arbeiter und Bauern und der mit ihnen im Bündnis existierenden Intelligenz einen Mittelstand gegeben. Hier wanzte sich einer an die Sprache der neuen Zeit an, auch das ein Phänomen der Wiederkehr. Die Odyssee des Romans „Man sieht sich um und fragt“ liest sich nett.
Deicke schließt: „Das Buch, 1966 – 1968 geschrieben, erschien unter solchen Umständen 1973. Ich habe es anlässlich dieses Berichts mit großem Vergnügen wiedergelesen.“ Schade, dass er nicht verrät, wer der Professor N. war, der nicht, wie Knobloch es gelegentlich formulierte, den Gutachter, sondern den Bösachter gab. „Wir bosselten mit dem Autor noch ein bisschen daran herum.“ Und es fand sich ein lebenslustiger Professor in Halle, dem das Manuskript gefiel und das auch aufschrieb. Da war aber immer noch eine Hauptabteilung im Ministerium für Kultur, das nach einem positiven Leiter verlangte. Wohl gemerkt Leiter, nicht positiver Held. Gerade zu Zeiten der Manuskriptentstehung waren Themen der Königsebene gefragt, das Fernsehen folgte den Wünschen mit Fünfteilern, der Roman trabte etwas hinterher, zumal dieser Knobloch ja nun nicht eben als Romancier ins literarische Leben getreten war und solchen Sinnes auch später nicht wurde. Er probierte es eben mal und gut so. Günther Deicke kann, weil er seit dem 14. Juni 2006 nicht mehr unter den Lebenden weilt, meine Deutung nicht dementieren: Er beansprucht offenbar etwas mehr Anteil am zweiten und letzten Roman Knoblochs, er will nicht nur gebosselt haben. Auch Knobloch kann das nicht mehr zurückweisen oder bestätigen. Kleiner Tipp: Nora, die Verkäuferin.