Shakespeare: Was ihr wollt; Staatsschauspiel Dresden

Es gibt Inszenierungen, die leiden unter Einfallsarmut der Regie. Und es gibt Inszenierungen, die leiden unter offensichtlicher Ideentobsucht. Andreas Kriegenburg wollte, so scheint es, zeigen, dass Theaterabend mit Höhepunkten gestern war. Er beginnt furios und entfaltet den Ehrgeiz, diese Höhe zu halten. Doch bei hinreichender Dichte der Gipfel verwandeln sich diese in Ebene. Nicht zu reden von der ja keineswegs unbilligen Hoffnung auf Steigerungen und Kontrapunkte. Der dreieinhalb Stunden anhaltende Orgasmus ist Fiktion, weil Widerspruch in sich selbst. Der Wiener Kritiker Oskar Maurus Fontana, zugegebenermaßen keine Ikone des Avantgardismus, schrieb anlässlich einer Burgtheater-Aufführung von „Romeo und Julia“ 1941, Regie damals Lothar Müthel: „Zu lange auf dem Höchstmaß zu verweilen, bringt die Gefahr der Monotonie mit sich.“ Fontana, dessen 125. Geburtstag am 13. April zu begehen ist, kannte die elementaren Regeln des Theaters sehr genau, die auch in Zeiten, da der Regelverstoß sich als Kulturgut spreizt, nicht außer Kraft geraten. Denn ebenso sicher, wie ein Paukenschlag aus jeglicher Lethargie wecken kann, produziert ein Dauerfeuer von Paukenschlägen einen akustischen Alptraum. Ich kann mich nicht entsinnen, wann ich zuletzt so oft auf die Uhr schaute wie bei diesem „Was ihr wollt“ im Dresdner Staatsschauspiel. Und zwar trotz durchgängig beachtlicher Schauspielerleistungen.

Die Geschichte ist wie immer: Ein Zwillingspaar überlebt einen Schiffbruch, beide haben einen Retter, beide wissen nichts von der Rettung des jeweils anderen. Wie immer landen beide an den Gestaden von Illyrien. Während dieses Land sonst einfach irgendwie am Meer liegt und von diesem liebestollen Herzog Orsino (Christian Erdmann) regiert wird, der der Gräfin Olivia (Sonja Beißwenger) nachstellt, ist das Dresdner Illyrien, Premiere war am 8. Februar, allem Anschein nach eine ziemlich finstere Diktatur. Kriegenburg, auch für das Bühnenbild verantwortlich, hat das mit langen schmalen Fahnen signalisiert, die arg völkisch aussehen, und mit der Stimme seines Herzogs, die mehr als einmal an jenen Führer erinnert, der uns Deutsche auch nach der sechsundsiebzigsten Guido-Knopp-Dokumentation noch immer fasziniert wie am ersten Tag, da wir ihm nicht selbst ausgeliefert waren. Wessen Begriffsstutzigkeit das Normalmaß überschreitet, soll sich angesichts einer bisweilen von oben kommenden Zwischenwand mit roten Flecken endgültig klar werden, wo das Spiel spielt. Das sind nämlich Spuren von Schüssen, von Kopfschüssen, guten Appetit, Zuschauer, zu dieser Komödie.

Das Personal des Herzogs (Duran Özer, Mathias Bleier) ist nicht wie in diversen anderen Inszenierungen ausgedünnt oder gar völlig gestrichen, es beherrscht über sehr weite Strecken das Geschehen auf der Bühne. Marion Münch hat das komplette Personal (auch der Olivia) in feuerrote Uniformen gesteckt, die natürlich Assoziationen wecken mit ihren Stiefelhosen und Knobelbechern, mit ihren Schulterstücken und Schirmmützen. Die Uniformen erzeugen eine optische Gleichheit, die man vielleicht nebenher noch als den üblichen von Guido Knopp her bekannte diktaturimmanenten Ausdruck von Gleichschaltung deuten sollen muss. Auch das angelandete Zwillingspaar Viola (Yohanna Schwertfeger) und Sebastian (Christian Clauß) entkommt der roten Uniform nicht, was dazu führt, dass beide sich nur über diesen Umweg ähneln, nicht von sich aus, was üblicherweise ja mangels darstellenden Zwillingspaaren an deutschen Bühnen eben durch das gleiche Kostüm sichtbar gemacht wird. Da neben dem Regelverstoß auch die Irritation des Zuschauers Kulturgut geworden ist, hat letzterer phasenweise ein heftigeres Orientierungsproblem.

Die Inszenierung ist nicht so angelegt, dass einem eventuell das Lachen, erst einmal ausufernd provoziert, dann bald im Halse stecken bleibt. Dieser Effekt wäre bei all seiner erprobten Wirksamkeit wohl doch schon wieder zu ausgelutscht für die Ambition, die sich sichtbar macht. Es wird im Parkett und auf den Rängen viel weniger gelacht, lange Strecken gar nicht, obwohl man geradezu in jeder Situation merkt, wie saulustig vieles, fast alles eigentlich, sein soll. Nicht einmal die nun wahrlich nur schwer dröge zu inszenierende Malvolio-Stelle setzt dem Dauerhöhepunkt einen immerhin denkbaren Überhöhepunkt auf. Am ehesten feixte ich noch leise vor mich hin bei den ballettartigen Einlagen des Orsino-Personals mit Luftinstrumenten-Spiel und natürlich bei dem Agieren des Narren Feste, die in Dresden eine Närrin ist (Nele Rosetz). Sie hat sich eigenem Bekennen nach die Zunge verbrannt, als sie an heißem Eisen leckte, was allein durch das so begründete Sprechen mit Hemmung fast kontinuierlich Komik erzeugt. Sehr respektabel.  www.staatsschauspiel-dresden.de

Die vollständige Kritik ist seit 15. März 2018 nur noch in Buchform zu lesen: Eckhard Ullrich: Wie es mir gefällt. 33 Shakespeare-Kritiken
dictum verlag Ilmenau, ISBN 978-3-95618-138-2, Preis 19,50 Euro.

 


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