Shakespeare: Hamlet; DNT Weimar

In Meiningen kamen mit Fortinbras irgendwie die blühenden Landschaften, und Ophelia war ein wenig Katharina Witt. In Weimar hat „Hamlet“ einen eigenen Twitter-Account mit crazyOphelia und derdäne. Dieser twittert „Dänemark first. derdäne“. Mann, war das lustig. Die b-prominente Reichswasserleiche Ophelia wurde zum lustigen Finale gleich dreimal ins Grab befördert per Gabelstapler, einmal liegend, einmal kniend, einmal stehend, fast wie bei den olympischen Schießwettbewerben. Vier Stunden mit Pause, hieß es noch am Pressestand, es könne aber kürzer werden. Es wurde. Fünfzehn Minuten kürzer und die Pause war 30 Minuten lang. Nach der Pause gab es O-Mensch-Pathos in einer Replik auf Erwin Piscator, nur ohne O, ohne Mensch und ohne Pathos. Hamlet im postpathetischen Zeitalter? Hamlet? Von Shakespeare? Irgendwie muss da irgendwer was durcheinander gebracht haben. Robert Schuster (Regie) und Sascha Groß (Bühne und Kostüme) hatten eine Masse Einfälle. Aber keine Idee. Offenbar keine Idee. Faust war auch dabei, diesmal mit nacktem Hintern und hieß „Geist von Hamlets Vater“, also, es war natürlich nicht Faust, sondern Lutz Salzmann. Vielleicht ist es nicht gut, wenn Regisseure zu viel Erfahrung mit Projekten und verbühnten Romanen und zu wenig mit richtigen Stücken haben. Und dann war da noch der Wink mit dem Heiner-Müller-Zaunpfahl. Wow. Hamlet-Maschine. Wow, wow, wow!

Robert Schuster, geboren 1970 in Meißen, das ist eine schöne Gegend mit gutem überteuertem Wein und gelegentlichem Hochwasser, hat einen zweifelsfrei in ihm waltenden pamphletistischen Drang nicht gänzlich unter Kontrolle bekommen. Deshalb ließ er mit Mikrofon und immer zu laut und direkt ins Publikum eine Tirade aus der Kiste Generationenkonflikt hersagen. Dergleichen macht mir mit Gernot Hassknecht im Fernsehen durchaus Spaß, im Parkett mag ich ungern belöffelt werden. Außerdem kenne ich leider die letzten vier Generationskonflikte der europäisch-deutschen Literaturgeschichte und weiß: ehe man sich umdreht, um die Krümel von der Theaterpausen-Brezel von den Fingerspitzen zu wischen, sind die jungen Revolten-Fuzzies die alten Säcke, die sich zur Wiederwahl stellen und von Zeugs reden, das nun wirklich niemanden mehr interessiert, der Zeitung liest und die Brennpunkte der ARD mitschneidet. Wieso mimt einer mit 46/47 den Sprecher jener von 30? Im Burgtheater gab es früher Diven, die mit 70 noch Luise Millerin sein wollten, berichtet die Fama, warum also in Weimar nicht das. In der Hauptsache wurde es langatmig, war es statisch, es dominierten die Farben Schwarz-Weiß-Rot. Kam mir irgendwie bekannt vor. Schade, dass dieser Shakespeare so wenig vom Theater verstand. Immer muss ihm aufgeholfen werden.

Irgendwie war da was mit einem ermordeten Vater und mit einer Mutter, die den Bruder des ermordeten Vaters, respektive ihren Schwager, rasch ehelichte, um mit ihm legal in die Kiste hüpfen zu können. Sohn Hamlet wird, wer weiß, was sonst geworden wäre, von diesem nacktärschigen Geist an der Doppelleine aufgeziegelt, Rache zu üben. In der Antike gab es für solche Zwecke eigens Göttinnen, die Erinnyen, da wäre dann die Nacktärschigkeit gleich wieder unter Sexismus-Verdacht geraten. So aber erzählt der Geist die wahre Geschichte, ein Whistleblower des elisabethanischen Theaters und später coacht er den Rächer. Der aus unerfindlichen Gründen auf die Idee gekommen ist, den Irren zu spielen, den Deppen, wobei, das muss man freilich immer noch eingestehen, und selbst die dreihundertsechsundvierzigste neue Übersetzung schafft es nicht, das unhörbar zu machen, seine irren Sätze so tief sind, dass eine wirklich originelle Regie vielleicht nach jedem dritten Satz einmal „Pause“ befehlen sollte und „Zeit zum Nachdenken!“ einblenden. Apropos Einblendungen. Der Twitter-Account erheiterte die des Englischen mächtigen Premieren-Gäste mehr als die anderen, in den nächsten Aufführungen wird sich die Zahl der Verstehenden weiter ausdünnen. Dann waren da Massenszenen. Was war das? Was sollte das? War da wer Volk?

Auch in Weimar ist der Rest Schweigen. Am Ende liegen die Leichen umher wie anschließend zu Hause bei ZDFneo in „Kill Bill 1“, einem empfehlenswerten Gemetzel ohne Gott und nicht von Yasmina Reza. Es gesellte sich der Sprachebenen-Mischmasch zum Kostüm-Mischmasch. Die Idee, Zeitlosigkeit sei durch ein Nebeneinander von Hellebarde, Pistole und Drohne augenfällig zu machen oder durch verwandte Kostüm-Anachronismen, ist alt, wird aber, anders als Wein, dadurch nicht besser. Denn immer suggeriert sie: Ihr Zuschauer seid sicher zu blöde, selbst was zu merken. Wirklich symbolisch fand ich, dass von der Bühne herab Brot- und Semmelkrümel in die erste Reihe geworfen wurden. Brösel vom kahlen Tisch der Herren. Koketterie mit Arroganz? Aber es gab ja auch einen Anfang. Also da sprachen die noch unkenntlichen Mimen durch Gasmasken, die man neuerdings zivil Atemschutzgerät nennen sollte, um jeden Militarismusverdacht von sich zu lenken. Dies Sprechen hatte den Vorteil, dass man wenig verstand. Und schon war es unfreiwillig komisch, als sich Nora Quest von ihrer Maske befreite und dabei so sicht- und hörbar durchatmete, dass sie schon Mitgefühl erregte, ehe sie in ihre eigentliche Rolle schlüpfen konnte als Ophelia. Das graue Fetzchen, das sie dann tragen musste, musste das sein? Es zipfelte grässlich.       www.nationaltheater-weimar.de

Die vollständige Kritik ist seit 15. März 2018 nur noch in Buchform zu lesen: Eckhard Ullrich: Wie es mir gefällt. 33 Shakespeare-Kritiken
dictum verlag Ilmenau, ISBN 978-3-95618-138-2, Preis 19,50 Euro.

 


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