Sartre: Die schmutzigen Hände; Meininger Staatstheater

Das mit Abstand erfolgreichste, sprich: meistgespielte Stück Jean-Paul Sartres ist, manchen scheint das zu überraschen, immer noch „Die schmutzigen Hände“, uraufgeführt in Paris am 2. April 1948. Das Meininger Staatstheater legt mit seiner Premiere am Internationalen Frauentag also fast eine Punktlandung zum Jubiläum hin, irgendeinen Neuentdecker-Preis kann es sich deshalb trotzdem nicht in die Vitrinen stellen, „Die schmutzigen Hände“ sind, man kann es kaum anders sagen, derzeit regelrecht „in“. Premieren in Gießen und Bonn gab es schon in diesem Jahr, das Stuttgarter Theater der Altstadt folgt Anfang April nach. Nimmt man die medial präsentesten Regisseure/innen der zurückliegenden Jahre, die sich am Kammerspiel um Hugo, Hoederer, Olga, Jessica und andere versuchten, so versammelt man wuchtige Namen: Andreas Kriegenburg, Sebastian Baumgarten, Simon Solberg, Stefan Pucher, Martin Kusej, Nora Schlocker, Jette Steckel. Da ist Jasmina Hadziahmetovic, die es für Meiningen tat, noch der nachwachsenden Abteilung zuzuordnen. Sie vertraute dem Text und misstraute ihm zugleich. Geradezu verwirrt ist sie von der Figur der Olga.

Anders ist nicht zu erklären, dass sie glaubte, dieser Olga (Meret Engelhardt) eine ihren Charakter erklärende Vorgeschichte hinzudichten zu müssen, die es bei Sartre nicht gibt, die wir inzwischen aus unzähligen Film-Plots aber bestens kennen: der/die Traumatisierte, hier mit einem unpräzisen Gräuel-Erlebnis im Bewusstsein, das ihre Waffen-Affinität zu erklären hat. Das ist, tut mir leid, es sagen zu müssen, nicht mehr als gehobene Küchen-Psychologie. Zum Einsatz bringt Jasmina Hadziahmetovic in aller Unschuld, die gern auch als inszenierte Unschuld gedeutet werden darf, die guten alten Versatzstücke des epischen Theaters, Marke Brecht. Der Zuschauer, der die Meininger Kammerspiele betritt, hört schon eingelesenen Original-Marx (wir haben auch Marx-Jahr!!), er sieht, wie das Stück heißt, später, welches Bild ihm gerade gespielt wird, sieben gibt es insgesamt, und bekommt auf diesen Hinweistafeln sogar zeitliche Zusatz-Orientierungen. Zwischendurch wird mächtig gesungen, sogar der gute alte Louis Fürnberg mit seinem „Die Partei, die Partei, die hat immer recht“ erlebt ziemlich unfröhliche Urstände, nur Jüngere mag das ganz und gar kalt lassen.

Furcht vor der Brutto-Textmenge dürfte die Regisseurin nicht empfunden haben, sonst hätte sie ihre Streichungen nicht mit diversen Hinzufügungen kompensiert, über die man streiten kann, natürlich, aber nicht zwingend streiten muss. Ein Stück, in dem der/die Intellektuelle thematisiert ist, darf ein ur-intellektuelles Streben, das nach Originalität um fast jeden Preis, durchaus zur Schau stellen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass von der Energie, die auf das Erfinden eines originellen Einstiegs ins Spiel verwendet wurde, ein nicht geringer Teil besser auf das Erdenken einer durchgängigen Idee gerichtet gewesen wäre. Die Inszenierung hat eine ganze Menge Ideen, aber keinen erkennbaren Grundgedanken. Nachgeborenen, das will ich gern ausdrücklich betonen, soll Gnade oder Ungnade der späten Geburt nicht zum Negativ-Saldo gerechnet werden. Ein wenig Umgang mit der Geschichte des Stückes und, tut mir leid, mit der Geschichte selbst, vor deren Hintergrund Sartre seine sieben Bilder (nicht Akte, auch das liest man gelegentlich) platzierte, ist, tut mir leid, hilfreich. DDR und Ost-Block liebten „Die schmutzigen Hände“ nicht, die „Reaktion“ im Westen dafür sehr.

Es geht im Stück eben nicht um irgendwelche Parteien, nicht um irgendwelche Politiker, es geht nicht um DIE Politik, die von Hause schmutzig sei, dergleichen Billig-Thesen passen in die Eckkneipe, nicht aber in ein Theater mit Ambition. Es geht um eine kommunistische Partei, in der der politische Mord selbstverständlich ist, in der Misstrauen gegen jeden, Verlogenheit aller nach außen, selbstverleugnerische Unterwürfigkeit Alltag sind. Man muss, wenn man Sartres Stück nicht wie ein ausgegrabenes Artefakt betrachten will, schon wissen, dass es da einen Stalin gab, eine Kommunistische Internationale mit strengsten Befehlsstrukturen, dass es fügsamere und weniger fügsame Kommunistische Parteien gab, dass es eine Politik aus Moskau gegen Sozialdemokraten als „Sozialfaschisten“ und Hauptfeinde noch vor den wirklichen Faschisten gab, dann plötzlich eine Volksfrontpolitik. Man muss wissen, dass es in der DDR eine Einheitspartei gab, in der die ehemaligen Sozialdemokraten gern die misstrauisch Beäugten waren, dass antiintellektuelles Misstrauen zum proletarischen Selbstverständnis der Funktionäre gehörte und so weiter und so fort.

Im Westen sind „Die schmutzigen Hände“ zunächst gern als antikommunistisches Paradestück gelesen und gesehen worden, später schwafelte man chorisch von „Fundis“ und „Realos“, wenn man auf diesen Sartre kam. Nein, das war es nicht, solchen Dürftigkeiten schenkte Jean-Paul Sartre seine großen Energien nicht. Wohl aber darf man an Jean Anouilh erinnern, der vor allem mit seiner „Antigone“ und ähnlichen Figuren in anderen Stücken die „Reinheit“ schon Jahre vor Sartres Hugo mit seiner abstrakten und lebensfremden Moral thematisiert hatte und ganze Debatten polarisierte bis dahin, dass die üblichen linken Verdächtigen Anouilh unter Faschismus-Verdacht stellten. Sartre, das sollte man nun auch noch wissen, wenn man halbwegs informiert an „Die schmutzigen Hände“ herangehen will, hat seine Entscheidung, ob das Stück gespielt werden darf, für einige Jahre vom Votum derjenigen Kommunistischen Partei abhängig gemacht, in deren Land gespielt werden sollte. Die Aufführungsgeschichte ist eine von Verbotsversuchen, von improvisierten Pressekonferenzen, von doch noch erteilten Genehmigungen und ärgerlichen Selbst-Interpretationen des Dramatikers.

Die Meininger Inszenierung will ihren Zuschauern allzu viel Rätselraten ersparen. Es gibt eine per Video gezeigte improvisierte Europa-Karte (auf einem Billard-Tisch mit Kugeln und Fähnchen), die auf eine Leinwand projiziert wird, das fiktive Balkan-Land Illyrien soll so verortet werden. So fiktiv ist das übrigens gar nicht, es gab Mitte des 19. Jahrhunderts (1814 – 1849) sogar ein vollkommen echtes Königreich Illyrien und der Kaiser in Wien führte in seinem umfänglichen Titel den dieses Königreiches noch bis 1918. Theaterbesucher wissen zudem, dass der gute alte Shakespeare in seiner wunderbaren Komödie „Was ihr wollt“ ein Illyrien hat. Theaterbesucher wissen auch, dass der Balkan nicht nur in diversen Operetten, sondern auch im Schauspiel (George Bernard Shaw: „Helden“) als komische Kulisse zu dienen hatte. Vielleicht deshalb in Meiningen die alberne, für mich nicht zu rechtfertigende Idee, die beiden Leibwächter Slick (Matthias Herold) und Georg (Björn Boresch) mit Kunst-Akzent reden zu lassen als agierten sie tatsächlich in einer Operette, in der jeden Moment ein Kosaken-Chor mit angeklebten Bärten und Tiefst-Bässen zu singen droht.

Nun muss es langsam heraus: Ich habe in Meiningen, das steht in keinem Widerspruch zum bisher Gesagten, eine fesselnde Aufführung gesehen, die eines konnte: Einen auf ziemlich hoher Denk- und Sprachebene angesiedelten Dialog lebendig und interessant zu machen, ihn sparsam, aber nicht zu sparsam zu dynamisieren. Die Figuren wurden so eben nicht, wovon sie womöglich am stärksten bedroht sind, zu Sprachröhren eines inneren Dialoges in Jean-Paul Sartre selbst. Denn, nimmt man alles in allem, was er so von sich gab, wenn man ihn zu „Die schmutzigen Hände“ befragte, dann leugnete er nicht, den Hugo und den Hoederer, wenngleich nicht stets zeitgleich und gleich stark, in der eigenen Brust getragen zu haben. Jetzt die Darsteller: Philipp Henry Brehl als Hugo überraschte mich: so sah ich ihn noch nicht, was wenig bedeuten will, so aber, was mehr bedeuten soll, kann eine Interpretation der Rolle, glaube ich, kaum überzeugender gestaltet werden. Ich hatte das nicht nur reine Glück, in der ersten Reihe zu sitzen, kein angestammter Kritiker-Platz üblicherweise, und sah, was ich sonst nicht so deutlich sehe: Spiel bis in kleinste Nuancen des Gesichts, der Hände.

Brehl, da natürlich ganz unbrechtisch, scheint sich extrem mit seiner Rolle identifiziert zu haben. Er spielte nicht nur so den Konflikt, er schien in vielen, in erstaunlich vielen, Momenten ihn vibrierend zu leben. Von Hans-Joachim Rodewald erwarte ich, was ich sah. Das aber wäre kein Grund, sein Agieren als Hoederer einfach auf der Haben-Seite abzuhaken. Hoederer ist auch bei Sartre keineswegs ein machiavellistischer Zyniker der Macht, es wird höchste Zeit, dass wir das Wort Pragmatiker seiner stupiden Negativ-Besetzung entziehen. Hoederer ist ein geradezu vorbildlicher Politiker, er ist ohne jeden Abstrich die positive Figur des Spiels. Er hat es aber als solche, das ist nun Hausgesetz des Theaters, schwer, weil er ist, wie er ist. Er hat keine, wie auch immer geartete, Entwicklung, er ist ein statischer Charakter. Dagegen eben dieser junge Hugo, sein Mörder, der nicht grundlos mit Hamlet verglichen worden ist bei passender und unpassender Gelegenheit, der ist dynamisch, der wankt und schwankt, der explodiert und fällt in sich zusammen. Der redet unsäglichen Blödsinn, wenn es um sein Bild der Partei geht, und ist fast ein Kind, das Nähe braucht.

Im Sartre-Text fehlt Hugo wie auch Olga Hintergrund, doch während Jasmina Hadziahmetovic der Olga eine Vorgeschichte erfand, belässt sie ihrem Hugo den dürftigen Text mit dem Lebertran und den Löffelchen für Mama und Tante. Das ist in der Konsequenz inkonsequent, falls dieser Kalauer erlaubt ist. Gestrichen ist, für mich, ich kann es nicht beschönigen, unverzeihlich, die Rolle des dritten Gesprächspartners im Dialog um die künftige Macht. In Meiningen gibt es Karsky, der, schon wieder tut es mir leid, dämlich an Iwan Rebroff erinnert, den Fernsehkosaken von der Insel Mallorca (auch er von Matthias Herold gespielt), aber es gibt nicht den Prinzen, der bei Sartre zwischen Karsky und Hoederer aktiv und klug vermittelt. So hängt das Zusammentreffen, das der politische Mord eigentlich verhindern sollte, in Meiningen an dünnsten Fäden in der Luft. Warum eigentlich laufen diese Kommunisten, die sich ja wohl im Untergrund befinden auch in Meiningen, alle in ziemlich vollständigen Uniformen herum? Wenn sie denn so verfolgt sind, wie behauptet, machen sie sich ja damit zur Zielscheibe, das ist eine Frage ans Kostüm (Christian R. Müller).

Es könnte natürlich sein, dass solcherart innere Konsistenz der Inszenierung gar nicht gewollt ist. Als gewollt sehe ich dagegen die tatsächlich faszinierende Steigerung von Mira Elisa Goeres als Jessica. Sie wurde stärker und stärker, ohne etwa schwach begonnen zu haben. Denkbar, dass sie sich Nervennahrung bei Simone Beauvoir holte, bei Sartres Lebensgefährtin, die übrigens auch eine Deutung von „Die schmutzigen Hände“ gegeben hat in ihrer Autobiographie. Diese Jessica ist deutlich mehr als sie scheint und niemand sollte vergessen, dass sie im Stück erst 19 Jahre alt ist, Hugo übrigens nur zwei Jahre älter: in der Binnenhandlung 21, im ersten und siebenten Bild 23. Sie, das ist im Stück und wohl auch in Meiningen offengehalten, hat ihrem Hugo zum Mord wohl mehr geholfen, als er sich hätte vorstellen können. Er stirbt am Ende, weil er das Spiel der Linien der Partei nicht spielen mag, das tödliche Ende muss sich der Theaterbesucher allerdings denken, denn auch am Finale sind feine Striche vorgenommen worden. Hans-Joachim Rodewald darf als getroffener Hoederer nicht wie bei Sartre den Mordanschlag als private Eifersuchtstat darstellen.

Der lebensfremde Idealismus und Moralismus des jungen Hugo gipfelt im Stück in der fast verzweifelten Wunsch-These „Jemand wie Hoederer stirbt nicht aus Zufall“. Doch, das kommt vor. Wir kennen aus dem Rollenvorrat unserer eigenen Klassiker jenen Konflikt, den kein Geringerer als Schiller mit seinen drei Schlüssen zur „Verschwörung des Fiesco zu Genua“ auszutragen versuchte. Schiller hat den Zufall zugelassen, wenn auch nur als eine Möglichkeit. Sartre erlaubt seinem Hugo innerhalb seines Denkhorizontes diesen Zufall nicht. Er ordnet allerdings mit einer sehr klaren Aussage ein, was er zulässt: „Die beste Arbeit ist nicht die, die dich am meisten Opfer kostet; das ist die, die dir am besten gelingt.“ Falls mich mein Gedächtnis nicht täuscht, ist dieser Satz Hoederers in Meiningen gestrichen. Man kann, denke ich, gerade aus kleinen und kleinsten Streichungen ein Psychogramm von Regie und Dramaturgie erstellen, ich würde das allerdings kaum als Aufgabe von Kritik sehen. Uneingeschränkten Respekt zolle ich der Spielplangestaltung für 2017/2018 in diesem speziellen Fall. Mir sind „Die schmutzigen Hände“ auf längere Sicht interessant genug.
www.meininger-staatstheater.de


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