Michail Bulgakow: Hundeherz

Die Szenerie scheint irgendwie bekannt: Ein besessener Wissenschaftler „baut“ auf seinem Operationstisch einen Menschen, und es soll ein vollkommener Mensch sein wie immer seit Faust und Doktor Frankenstein. Wie immer ist die Frage der Materialbeschaffung eine problematische Frage, nicht jeder kann es aus LEHM wie JENER, der es eben konnte. Im vorliegenden Falle dient ein Straßenköter als materielle Basis, und Professor Preobrashenski nimmt von der frischen Leiche des Herrn Tschugunkin, was er braucht, um sein Meisterstück zu vollenden. Das Meisterstück verhält sich, wie könnte es anders sein, dann aber nicht so wie erwartet, insbesondere kann es seine Abneigung gegen Katzen nicht unterdrücken.

Es wählt sich selbst den Namen Polygraf Polygrafowitsch Bellow, es verbündet sich mit dem revolutionären Hauskomitee unter der Leitung des Genossen Schwonder, und es ergreift schließlich auch einen Beruf: „Leiter der Unterabteilung zur Säuberung der Stadt Moskau von streunenden Tieren (Katzen usw.) bei der Stadtreinigung der Moskauer Kommunalwirtschaft“! Die nicht nur katzenhaarsträubende Groteske hat Michail Bulgakow 1925 aufgeschrieben, immerhin 1987 ist sie in der Sowjetunion erstmals als Buch erschienen, und jetzt ist sie auch bei uns zu lesen, als Spektrum-Buch (zu kaufen natürlich nicht mehr). Bulgakow hat ein Feuerwerk abgebrannt von Ideen und Szenen, es gibt eine richtig zitierfähige humanistische Botschaft zum Arbeitsethos des kreativen Wissenschaftlers, es gibt den seligen Traum des Hundes Bello von rosa Hunden, die in einem Boot über die Wasser gleiten und Satire natürlich, Satire, Satire.

Lenin hätte, nachdem er seinen berühmten Aufsatz „Lieber weniger, aber besser“ geschrieben hatte, wahrscheinlich seine helle Freude an diesem Buch gehabt, denn es trifft sich auf glänzende Weise mit seinen eigenen Überlegungen. In Berlin gab es „Hundeherz“ übrigens schon auf der Bühne, und es gab verunsicherte Kritiker, alles Dank Bulgakow, o ja!
 Zuerst veröffentlicht in NEUE HOCHSCHULE, Nr. 16, Jahrgang 32, vom 29. September
 1989 unter der Überschrift: Ein altes neues Buch

„Lesen lernen hat überhaupt keinen Zweck, wenn Fleisch auch so eine Werst weit zu riechen ist.“ Das ist die Weisheit eines Hundes, der später auch diesen Gedanken entwickelt: „Was ist denn Freiheit? Nur Rauch, Trugbild, Fiktion. Eine Fieberphantasie dieser unglückseligen Demokraten...“. Dieser Hund ist das Geschöpf von Michail Bulgakow, ein Straßenköter, den ein Professor mit in seine Sieben-Zimmer-Wohnung lockt, in der er gefragte Verjüngungsoperationen durchführt. Ort der Handlung Moskau, Zeit: die frühen zwanziger Jahre. Bulgakow hat „Hundeherz“ 1925 geschrieben, gedruckt wurde es aber zuerst 1987.

Der Professor heißt Preobrashenski und er vollbringt ein medizinisches Wunder: er verpflanzt einige lebenswichtige Organe aus einer frischen Leiche in den Hund und der Hund Bello verwandelt sich Schritt für Schritt in den Menschen Polygraf Polygrafowitsch Bellow. Dieser zeigt dann, zur Überraschung seines „Schöpfers“, merkwürdige Gewohnheiten: Katzen zum Beispiel kann er überhaupt nicht leiden und jagt sie erbarmungslos. Dafür aber liest er den Briefwechsel zwischen Friedrich Engels und Karl Kautsky und bildet sich eine eigene Meinung: keiner von beiden habe Recht.

Es geht mehr als turbulent zu in dieser Geschichte, die Bulgakow (1891 – 1940) in einer bewegten Zeit schrieb. „Der ganze Kernpunkt besteht darin, das, was bei uns das welthistorische Verdienst der russischen Revolution ausmacht, sicher, klar und nüchtern von dem zu trennen, was wir im höchsten Grade schlecht ausführen...“ hatte Lenin am 27. März 1922 vor dem XI. Parteitag der Bolschewiki gesagt. „Hundeherz“ führt hin zu diesem Kernpunkt. Mit den Mitteln der Groteske stellt Michail Bulgakow die Frage nach den weiteren Wegen der Revolution. Seinen Professor führt er zu der einfachen Erkenntnis: „Wenn einer spricht, heißt das noch lange nicht, daß er ein Mensch ist.“ Bellow wird rückverwandelt in Bello am Ende und ein braver Hund. Ein satirisches Meisterwerk können wir lesen, nicht weniger, es erschien in der Reihe „Volk und Welt Spektrum“.
 Zuerst veröffentlicht in MÖBEL-EXPRESS Nr. 17, 5. Oktober 1989, Seite 7
 unter der Überschrift: Bellos Verwandlungen, nach dem Typoskript

Ob Michail Bulgakow im März 1923 die „Prawda“ gelesen hat, weiß ich nicht. Ob ihm also in der Nummer 49 vom 4. März 1923 die Überschrift „Lieber weniger, aber besser“ oder die Unterschrift „N. Lenin“ den Anstoß gab, einen erstaunlichen Satz zu lesen – die Bulgakow-Philologen mögen darauf antworten. Der erstaunliche Satz jedenfalls lautete: „Für den Anfang sollte uns eine wirkliche bürgerliche Kultur genügen, für den Anfang sollte es uns genügen, wenn wir ohne die besonders ausgeprägten Typen der vorbürgerlichen Kultur auskommen...“. Zwei Jahre später schrieb Bulgakow „Hundeherz“ und 1987 erschien die sowjetische Erstausgabe dieser Groteske. Thomas Reschke hat sie für uns ins Deutsche übertragen, was allein schon Grund genug wäre, sich ihr zuzuwenden und der Verlag Volk und Welt hat ein bißchen Zeit verstreichen lassen zwischen der Vorankündigung zur Frühjahrsmesse 1988 und dem Erscheinen im Sommer 1989.

Ganz Ungeduldige konnten sich einen Vorgeschmack holen bei einem Moskauer Gastspiel zu den Berliner Festtagen vor einem Jahr und dann auch an der Berliner Volksbühne, wo Regisseur Horst Hawemann die Bühnenfassung inszenierte. Das Buch aber, jetzt, wo es da ist, ist immer noch ein Ereignis. Ich habe eine Weile gebraucht, um meine Begeisterung abklingen zu lassen, so weit, bis ich mich in der Lage fühlte, mich deutlicher zu artikulieren als mit „Ah!“ und „Oh!“ und nochmals „Ah!“. Ich habe der Versuchung widerstanden, in erster Linie auf eine Geschichte vom Wissenschaftsethos zu schauen, die heutige weltweit geführte Debatten bedient. Auch das ist „Hundeherz“, und es ist das mit kompakter humaner Substanz. Der Professor Preobrashenski, der einem streunenden Straßenköter die Hypophyse und die Hoden eines versoffenen Rumtreibers namens Tschugunkin einpflanzt und nach den Erfahrungen mit dem „Homunkulus“ Polygraf Polygrafowitsch Bellow seine rein medizinisch gesehen sensationelle wissenschaftliche Leistung zurücknimmt, liefert natürlich Stoff für diese Diskussion.

Doch Bulgakows Aussage dazu ist eindeutig, sie ist unbezweifelbar, sie bestätigt „nur“, wozu wir uns alle bekennen. Erregend ist für mich Bulgakows Text da, wo er Lenins oben zitierte Bilanz nach fünf Jahren Revolution aufgreift (vielleicht ohne die ausdrückliche Absicht dazu). Die Auseinandersetzung zwischen dem Professor und dem neu gewählten Hauskomitee, die bedrohliche Phraseologie dieses übereifrigen Trios und die bisweilen rührend-komischen und dabei doch tief ernsten Berufungen des Wissenschaftlers auf Kultur, auf Humanismus, gegen Zerrüttung, Auflösung, Chaos – diese Elemente in Bulgakows Groteske haben Brisanz, frappierende Aktualität auch. Und keineswegs nebenbei ist das Ganze natürlich ein schlichtweg herrliches Stück Literatur, gespickt mit den Perlen köstlichster Einfälle.

Ich nenne nur einfach: die Reflexionen des Hundes Bello, sein Traum von rosa Hunden in einem Boot, bevor ihm die Operationsnarkose endgültig die Sinne vernebelt. Die umwerfende Idee, den zu selbstbewußtem Dasein erwachten Bellow als Katzenfänger bei der Moskauer Stadtverwaltung mit einem kolossal gewichtigen Titel zu machen, die Turbulenzen in der Sieben-Zimmer-Wohnung des Professors. „Ich bin für Arbeitsteilung. Im Bolschoi-Theater sollen sie singen, und ich operiere. Dann ist es gut. Dann gibt es keine Zerrüttung.“ Sagt der Professor und der Witz ist – er hat ebenso recht wie unrecht. Deshalb trage ich diese Eule gern nach Athen: Michail Bulgakow ist ein Glücksfall für uns, immer wieder.
 Zuerst veröffentlicht in TRIBÜNE Nr. 207, Seite 13 am 20. Oktober 1989, unter der
 Überschrift: Hundeherz bleibt Hundeherz, nach dem Typoskript


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