Klaus Mann: Revue zu Vieren

Wer sich aufmacht, das zweite Bühnenwerk Klaus Manns zu lesen, das am 21. April 1927 erstmals gespielt wurde und zwar in Leipzig, der muss sich eine sehr bewusste Willensentscheidung antun: die, einen Text ernst zu nehmen, den man nach menschlichem Ermessen nur schwer ernst nehmen kann. Die Form des Kommentars könnte verwendbar sein, heißt es doch von ihr, dass sie die Klassizität ihres Gegenstandes still voraussetzt, ohne ihn ausdrücklich zu prüfen. Aber vielleicht ist ja schon eine solche Vorüberlegung zu viel der Ehre für eine „Revue zu Vieren“, die eigentlich nie irgendjemand gelobt hat, nicht einmal der junge Autor selbst konnte sich zu mehr als späteren Rechtfertigungen aufschwingen, die ohnehin eine seiner zahlreichen seltsamen Passionen waren und also wiederum mit Vorsicht zu genießen. Immerhin, Schelme der Literaturgeschichtsschreibung verweisen darauf, dass Klaus Mann, der Sohn, Thomas Mann, den Vater, nur auf einem einzigen Felde schlagen konnte zeit seines am 21. Mai 1949 freiwillig und absichtlich beendeten Lebens: auf der Bühne war er erfolgreicher. Thomas Manns einziges Stück „Fiorenza“, am 11. Mai 1907 im Frankfurter Schauspielhaus uraufgeführt, war ein genuiner Misserfolg mit Langzeitwirkung.

Sohn Klaus dagegen, fürwitzig im Jahr 1925, also noch vor seinem zwanzigsten Geburtstag 1926, mit gleich drei gedruckten Büchern an die Öffentlichkeit getreten, fühlte sich vermutlich derart beflügelt, dass er vielleicht nicht gleich meinte, alles zu können, wohl aber, alles versuchen zu müssen. „Vermutlich“ steht hier voller Absicht. Denn „Revue zu Vieren“ weist dem Neugierigen hinsichtlich Selbstaussagen ihre Autors eine ziemlich kalte Schulter. In den Briefen dauert es, bis der Titel überhaupt einmal genannt wird, im Tagebuch findet sich nichts, weil Klaus Mann erst später mit dem regelmäßigen Schreiben eines Tagebuchs begann. Auch die erste Autobiographie „Kind dieser Zeit“ ist nicht hilfreich, sie schließt vor der Zeit ab, in die das Drama fiel. Und die zweite, die maßgebliche Autobiographie, „Turning Point“ und „Der Wendepunkt“ betitelt in ihren beiden keineswegs identischen Fassungen, hat späten Rückblick. Man weiß mindestens seit Goethe, was das bedeutet, wenigstens bedeuten kann. Die einzige halbwegs ausführliche Selbstaussage zur „Revue zu Vieren“ findet sich in einem für die „Literarische Welt“ von Willy Haas geschriebenen Aufsatz mit dem Titel „Rückblick auf unsere Tournee“. Da war das Desaster komplett und vorbei.

Man könnte das Stück in drei Akten mit acht Bildern ein rasantes nennen. Beginnt es doch im Laden einer 21 Jahre alten Hutmacherin namens Renate, die einen 21 Jahre alten Michael, nun ja, aushält, der mit dem Abfassen eines weltstürzenden Buches befasst ist, wie es einst bei Gerhart Hauptmann in „Einsame Menschen“ der etwas ältere Johannes Vockerat tat. Wie der endete, wissen wir, wie Klaus Mann endete, wissen wir auch, dieser Michael aber ist am Ende der „Revue zu Vieren“ einer von vier Hochstaplern, die keineswegs nur vor Hotelgästen Komödie spielen, sondern eben auch vor dem Hoteldirektor, der dumm genug ist. Den Hutladen besuchen eine 23 Jahre alte Dame mit dem Namen Ursula Pia, den sich Klaus Mann direkt aus seinem jugendlichen Bekanntenkreis auslieh, und ein 23 Jahre alter junger Mann namens Allan. Mehr an Namen gibt es für die vier in diesem Stück nicht, auch keine, oder so gut wie keine Vergangenheit. Nun ist, älteren Überlieferungen zufolge, Dramaturgie etwas, wie auf eine Bühne Wirkungen aus Ursachen wachsen, Vergangenheiten Gegenwart motivieren, so verrückte Sachen eben. Bei Klaus Mann ist in dieser Hinsicht die Fehlanzeige der Hauptakteur in der Bilderfolge, die er, nun ja, knüpft.

Was befähigt etwa diesen Michael, der, wie man sich belehren lassen kann, eine von Klaus Manns Selbstspiegelungen ist, dazu, ein solches Buch in Angriff zu nehmen, vor dem bei leidlicher Vernunft ein jeglicher zurückschrecken würde? Hat er studiert, wenn ja, was und wo? Fragen, die sich nur Krümelkacker stellen in jugendfeindlichen Welten?! Die Hutmacherin Renate hat vor Hüten auch anderes gemacht, Größenwahn ist ihr Geschäft nicht, wohl aber etwas, das ältere Menschen ohne Sprachskrupel vielleicht Liebe nennen würden. Nun kommen also diese beiden und man könnte, wenn man sich erinnert, wie bei Fallada der Johannes Pinneberg im Laden gequält wird, freilich erst ein paar Jahre später, schon etwas Angst haben um diese Renate vor den beiden jungen Monokel-Snobs. Doch Überraschung: Allan und Ursula Pia wollen Renate und Michael für den alsbaldigen Vollzug der Weltrevolution in Europa, also genau genommen freilich nur als Mitwirkende ihrer Revue gewinnen. Das machen sie leidlich geschickt. Was freilich zwei junge Menschen ohne einschlägiges Vorleben auf die krude Idee bringt, ein verstiegener Buchautor und eine Modistin könnten im Schnellverfahren Bühnenstars werden, steht in Klaus Manns Sternen.

Im Stücktext taucht weiter hinten mehrfach das Wort „diesmal“ auf, bezogen auf das aktuelle Revue-Projekt, worin der einzige Hinweis verborgen steckt, dass die beiden so etwas Ähnliches, irgendetwas Vergleichbares, schon einmal, vielleicht gar mehrfach, versucht haben. Was es war: der Autor schweigt sich aus. Jene Autoren, die der „Revue zu Vieren“ dramaturgische Schwächen oder sogar erhebliche dramaturgische Schwächen bescheinigen, hätten sich keineswegs die Finger schmutzig gemacht, die eine oder andere dieser Schwächen zu benennen. Selbst bei einem Fußballer, der hartnäckig übers Tor schießt, will man ja gern hören, dass er als Linksfuß von links schwächer ist als von rechts oder umgekehrt oder wie auch immer. Hier aber: Man erfährt nicht, warum die vier Hauptfiguren und die wenigen Nebenfiguren das tun, was sie tun. Dafür hört man ihnen bei Dialogen zu, dass einem Tränen in die Augen steigen: haben je junge Leute untereinander und ohne Zeugen so geredet? Gestelzt, las ich, sei das. Ich nenne es einfach nur Geschwafel, intellektuelles, möchtegern-intellektuelles Geschwafel, Arroganz, Ignoranz, Ahnungslosigkeit, dummdreistes Verallgemeinern von Privatestem. Nur eine fällt aus dem Rahmen: Modistin Renate.

Vielleicht ist ja dieses ihr Aus-dem-Rahmen-Fallen der eigentliche Grund für jene aggressive und blinde Eifersucht, die plötzlich und vollkommen unmotiviert so heftig Besitz von Ursula Pia ergreift, dass sie, ich nannte das oben rasant, aus der Schmeichlerin von eben in eine Anstifterin einer gefährlichen Körperverletzung wird. Sie organisiert unter Ausnutzung eines Herrn mit dem seltsamen Namen Bum, einen Bühnenunfall, den Renate zu Beginn des zweiten Teils der Revue erleidet. Dieser Sturz von der Revuetreppe beendet, ich nannte das oben rasant, sofort und final das gesamte Unternehmen, es gibt einen aus nicht bekannten Wurzeln wachsenden Volksaufstand, der sich vorerst als Publikumsaufstand maskiert, es gibt einen Aufruhr, einen Auflauf, Drohungen, Reaktionen in den Medien, die rein sachlich gar nicht in der Zeit denkbar sind, wie sie Klaus Mann auf der Bühne glauben machen möchte. Rein sachlich muss zwischen dem ersten und den späteren Bildern ein erheblicher Zeitraum liegen, nichts davon merklich im Text. Rein sachlich sind im Text behauptete Protestkollektive gar nicht über Nacht organisierbar. Wir lernen: Wahrscheinlichkeiten interessierten den Dramatiker kaum. Sein schnelles Schreiben allein erklärt dies nicht hinreichend.

Was auch immer Ursula Pia und Allan vor ihrem Eintritt ins Bühnengeschehen taten: sie konnten, weil sie ja angeblich einer Idee folgen, deren Inhalt freilich nie, aber auch wirklich nie in allen acht Bildern, die geringste Kontur annimmt, allenfalls einen Vorabdruck auf Michaels Wunderbuch gelesen haben. Der wiederum muss sie so extrem überzeugt haben, dass sie wider allen Instinkt meinten, das sei der richtige Mann für sie. Offen bleibt, dramaturgische Schwäche, völlig die Frage, ob deshalb Renate sozusagen nur als Beifang im Netz zappeln muss oder ob die beiden oder einer von beiden tatsächlich glaubten, eine Modistin habe von sich aus ein Revue-Gen. Tatsächlich erfährt der Leser aber zeitig, dass der arme Michael allen Ernstes zu Beginn der Revue eine Rede hielt, womöglich gar aus seinem Buch vortrug, denn was sonst hätte er beitragen können, und im Publikum Unruhe aufkam. Das versteht jeder, der jemals eine Seniorenweihnachtsfeier ertragen musste, bei der der Kaffee längst kalt war in allen Tassen, ehe alle Reden und alle Predigten gehalten waren. Eine Revue beginnt mit einer Rede??? Eine Revue, für die laut Text sage und schreibe fünfzig Boxer verpflichtet wurden? Können wir uns einen solchen Irrsinn vorstellen?

Nein, wir müssen uns Klaus Mann nicht als einen glücklichen Menschen vorstellen. Er war nicht Sisyphus. Er war schwul und angeblich machte ihm sein französischer Freund René Crevel in genau der Zeit, als Mann „Revue zu Vieren“ schrieb, so viel Wirbel, dass Konzentration ein glatter Ausnahmezustand gewesen wäre. In diese Richtung lenkt jedenfalls Nicole Schaenzler, 1963 geborene Autorin der 1999 umfangreichsten Klaus-Mann-Biographie, unser geneigtes Interesse. Sie belegt leider diese wie manche andere Aussage ihres lesenswerten Buches mit keinerlei Hinweisen auf ihre Quellen. Insbesondere fehlen mir bei ihr (wie bei allen anderen auch, die ich zu Rate zog) tatsächliche Kritiker-Stimmen, die die merkwürdige Tournee mit ihren Stationen Leipzig, Cottbus, Magdeburg, Braunschweig, Dresden, Breslau und Hamburg, Berlin, München, Wien, Prag, Budapest und schließlich Kopenhagen begleiteten. Traugott Krischke etwa hat solche Arbeit auf sich genommen für Ödön von Horvath. Der aber war, das könnte als Entschuldigungsgrund eingereicht werden, dann doch ein eminent bedeutenderer Dramatiker als Klaus Mann. Wie auch immer: Herbert Ihering wird immer zitiert, oft Erich Mühsam, Kurt Pinthus mit einem halben Satz.

Natürlich kann man auch Spaß haben an der „Revue zu Vieren“. Ich habe mir etwa vorzustellen versucht, was ein „schwarzer, etwas bolschewistischer Sweater“ sein könnte, den Michael bei seinem ersten Auftritt trägt. Der dann von seinem Buch sagt: „Die großen Abschnitte führen die Titel: Erotik, Politik, Religion und Kunst.“ Sein Ziel ist bescheiden: „Ich habe mir vorgenommen, in einem philosophischen Werk die geistige Situation des heutigen jungen Europa vollständig darzustellen und zu erklären.“ Von der Erotik her, verrät er, erklärt sich alles. Das ist sachlich reiner Blödsinn, für Klaus Mann aber eine hier nicht zu erörternde tiefste Wahrheit. Er sah die Welt in einem homoerotischen Koordinatensystem, wie es, vermute ich als Ahnungsloser, Heterosexuelle nie könnten. Vielleicht täusche ich mich, und es ist genau so. Keinesfalls täusche ich mich, wenn ich auf die seltsamen Superlative hindeute, auf die ständigen dramatisierenden Adjektive, die schon vor mehr als fünfzig Jahren Marcel Reich-Ranicki störten, der sich freilich nie ernstlich um das dramatische Werk von Klaus Mann kümmerte, aber im Roman „Mephisto“ fand, was bereits die „Revue zu Vieren“ ärgerlich machte: Melodramatik und Pathos in komisch-wilder Mischung.

Weil ich den noch nirgends zitiert fand, wenn es um Klaus Mann ging, zitiere ich Siegfried Kracauer: „Man muss mehrere Hüllen abstreifen, ehe man ihn wirklich antrifft: seine hochtrabende Neigung, immer gleich im Namen einer europäische Jugend zu sprechen, von der nicht eben viel zu merken ist, und die versierte, schmiegsame Sprache, in die er hineinschlüpft wie in einen Pullover. … Heraus kommt schließlich ein zweifellos talentierter junger Mann, der sich Gedanken macht, wenn auch nicht unbedingt seine eigenen.“ Einer wie Kracauer kann das: etwas auf einen Punkt bringen in schwer schlagbarer Prägnanz. Tatsächlich gründen die Revue-Beteiligten, genauere Angaben hierzu verschweigt Klaus Mann wohlweislich, er müsste in die Niederungen der Praxis steigen, was 1926/27 einfach noch nicht seine Sache war, auch eine Zeitschrift mit dem Titel „Europäische Jugend“. Diese Zeitschrift verfügt über eine Redaktion mit mehreren Räumen, aber keine im eigentlichen Sinne redaktionellen Mitarbeiter, jedenfalls treten keine auf oder in Erscheinung. Diese Zeitschrift wird, weil Renate von der Treppe fiel, verboten und beschlagnahmt.

Klaus Mann bemüht quasi im Botenbericht Führer extremer Bewegungen, Elternverbindungen, Demonstranten vor der Redaktion, all das in groteskem Kontrast zu dem, was tatsächlich geschehen ist. Er lässt das bösartige Komplott verläppern, in dem sich nach der geplatzten Premiere alle mehr oder minder intensiv Asche aufs Haupt streuen, alle sehen alles ein, einer gesteht gar, einen Mordplan gehabt zu haben aus Liebe, und innerhalb des Quartetts werden die Plätze getauscht: Renate mit Allan und Ursula Pia mit Michael. Völlig offen bleibt während des gesamten Acht-Bilder-Spiels die Frage des Geldes. Woher kommen die beträchtlichen Summen für eine Arena, für ein riesiges Revue-Personal auf der Bühne, von dem hinter der Bühne zu schweigen? Woher das Geld für eine internationale Zeitschrift? Und dann macht sich das Projekt von einem Fotografen, von einem Journalisten abhängig? Dramaturgische Schwäche, wohin man schaut, nichts stimmt, nichts passt. Und immer wieder, wenn nicht gerade Renate lichte Momente haben darf, nahe dem wirklichen Leben, die grässlichsten Phrasen. Sagt etwa Allan zu Renate: „Ihre Seele wartet darauf, ergriffen zu werden für ein größeres Ziel. Sie sind unschlüssig, wie unsere ganze Generation.“

Vielleicht ist kein Begriff im Munde Klaus Manns je so unreflektiert gewesen wie der der Generation. Gescheite Leute ziehen längst die Tragfähigkeit dieses Begriffs ganz generell in Zweifel, ich halte mich bei ihnen. Mann aber legt seinem Allan in den Mund: „Von Büchern kommen die Entscheidungen längst nicht mehr. Man verbringt nicht seine Jugend damit, von einer Dame ausgehalten, Philosophie zu treiben, wenn man dazu berufen ist, seiner Generation weiterzuhelfen in wichtigen Dingen.“ Als ob jemals von Büchern irgendwelche Entscheidungen gekommen wären, wer hat je als 21-jähriger oder 23-jähriger seiner Generation geholfen? Was überhaupt sollte das sein: Hilfe für eine Generation. Das Zitieren und Kommentieren könnte fort und fort gehen. So etwa, wieder aus dem Mundes von Allan: „Über ein Buch lässt sich stets diskutieren, und ein Buch kann durch ein neues Buch widerlegt werden. Das Schauspiel aber, das ich schaffen will, soll nicht mehr widerlegbar sein.“ Widerlegbare Schauspiele? Welt, ist uns da etwas entgangen? Man darf das durchaus Größenwahn nennen, kann es ergänzend oder altersmilde jugendlichen Größenwahn nennen und so tun, als wäre ein solcher per Definition schon verzeihlich.

Es gibt auch verräterische Stellen mitten im blubbernden Wahn. Kaum hat Allan gesagt: „Ein riesenhaftes religiöses Fest, das dröhnendste Fest des zwanzigsten Jahrhunderts“, sei sein Plan, geht er weiter: „Gleichzeitig begründe ich eine Zeitschrift, die unter dem Titel „Europäische Jugend“ erscheint. Große Filme sollen bald folgen, ein Klub wird gegründet, Restaurants, Bibliotheken, es entsteht ein Konzern“. Ein Konzern? Im Gefolge eines dröhnenden Festes, das schon des Jahrhunderts größtes werden muss, obwohl vom Jahrhundert ja noch drei Viertel ausstehen? Der Schweizer Gottfried Keller hat einmal vergleichbare Fest-Visionen gehabt siebzig Jahre früher, gebracht hat es natürlich nichts. „Wir müssten lächerlich werden, wenn wir nicht endlich etwas Neues, etwas wirklich Neues schafften.“ Niemand widerspricht diesem Herrn im Stück und das Auftauchen des Wortes „lächerlich“ könnte stutzig machen: keine Furcht scheint größer zu sein in diesem Quartett (Renate eigentlich immer ausgeklammert), als die lächerlich zu sein. Man ist also auf alle Fälle extrem abhängig vom Urteil einer Welt, die im Stück keine Kontur bekommt. Die Angst vor Lächerlichkeit produziert Lächerlichkeit, war keineswegs als Paradoxon zu sehen ist.

Herbert Ihering, gern Entdecker, gern neugierig auf neue und junge Talente, ist der einzige Kritiker, von dem ich weiß, der beide frühen Stücke Klaus Manns auf der Bühne sah: „Anja und Esther“ zuerst, danach dann auch „Revue zu Vieren“. Das Tourneeensemble spielte, von der Station Kopenhagen ist es belegt, bei Bedarf auch noch den Erstling, der das Medien-Etikett von den „Dichter-Kindern“ in die Print-Welt brachte. Wobei nur drei der vier Hauptakteure tatsächlich Dichter-Kinder waren: Klaus und Erika Mann und Pamela Wedekind. Der vierte im Bunde, der bald schon zum Superstar deutscher Schauspielkunst avancierte: Gustaf Gründgens. Es ist heute ein pures Kuriosum, dass gerade er bisweilen nicht einmal erwähnt wurde in den Kritiken, dass er sogar aus dem Titelbild für eine große Illustrierte wegretuschiert wurde wegen der drei Dichter-Kinder. Selbst Ihering hatte zunächst nur einen trockenen Halbsatz für ihn übrig: „Gustav Gründgens ist ein grober, undifferenzierter Schauspieler.“ Wenige Jahre später, 1932 in einem Gründgens-Porträt, korrigierte sich der Kritiker und nahm dabei sogar noch einmal Bezug auf die „Revue zu Vieren“.

Und das liest sich dann so: „Gustav Gründgens wurde in Berlin als Schauspieler und als Regisseur gleichzeitig bekannt. Er gastierte in den Kammerspielen mit den Geschwistern Erika und Klaus Mann in der „Revue zu Vieren“. Eine blasierte Angelegenheit, kein künstlerischer Erfolg. Bald aber zeigte sich, dass dieser Snobismus nur die Zugabe zu einer geistigen Begabung ist, dass Gründgens Nerven, Geschmack und musische Talente hat.“ Bei Ihering findet sich auch der Hinweis auf eine andere Revue des Jahres 1927, die die „Revue zu Vieren“ und insbesondere Klaus Mann auf der Bühne verspottete. Langweilig war es nicht im Berliner Theaterleben. Im Stück sagt gegen Ende Renate zu Michael, was damit eben auch Klaus Mann zu sich selbst sagt: „Du bist doch das dümmste Kind, und du bist der von uns, der niemals klug werden wird.“ Niemals wirklich erwachsen – das liest man öfter über ihn bis in unsere heutige Zeit hinein. Ursula Pia spricht aus, was im wirklichen Leben nach der erfolglosen Tournee tatsächlich geschah: „Man war eine Zeitlang zusammen gewesen und man trennt sich nach verschiedenen Richtungen. Man geht auseinander , keiner ist grausam und keiner bleibt singend zurück.“ Klaus Mann durchschaute doch, was geschah.

Selbst wenn Klaus Mann ausgerechnet Ursula Pia Worte in den Mund legt, die ihrem eigenen Tun im Stück hohnvoll widersprechen, darf das für ein Korn gehalten werden, das ein blindes Huhn eben auch einmal findet. „Wir haben, in unserer Situation, Wichtigeres zu tun, als auf unsere Gefühle füreinander zu achten. Wir haben miteinander diese Zeit zu bestehen, damit ist uns Größeres, ja, das schwerste aufgegeben.“ Das sagt die junge Dame, die über ihrem eigenen Hass, ihrer eigenen Eifersucht ein ganzes Groß-Projekt zum Scheitern brachte. Genau das aber belegt, dass hier nicht nur Versagen vorliegt. Es gibt Momente, da man meinen sollte, Klaus Mann hätte auf der Bühne nicht nur versagt. Den klarsten Beweis dafür liefert mir das achte und abschließende Bild im dritten Akt. Vier Gescheiterte als Hochstapler im Foyer eines Nobel-Hotels (jenseits der Grenze, las ich, wovon mir im Text nichts auffiel), dazu zwei Tratschtanten, wie durch ein Lorgnon die Neuankömmlinge fixierend, taxierend und ihre Vermutungen anstellend. Das wäre jederzeit spielbar, hat eine nahezu zeitlose Komik und kommt ohne jene sprachlichen Fehltritte aus, die das Stück wie ein blasser Faden durchziehen. Die „Revue zu Vieren“ insgesamt: nicht mehr spielbar.


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