Tagebuch
26. Februar 2018
Sitzt ein Mann im Dampfbad, schnobert wie eine rossige Stute und beginnt plötzlich, sich mit dem Schlauch, den konventionelle Dampfbadbesucher nutzen, um die Sitzflächen zu spülen, selbst von oben bis unten zu kühlen. Das hat interessante Effekte: die Temperatur im Raum sinkt deutlich ab, die Sitzfläche wird so kalt, dass man sich nicht mehr hinsetzen mag. Kommt ein Mann in Badehose ins Dampfbad. Ich sage, hier sitze man nicht mit Badehose. Was soll ich nun machen, fragt der Mann. Ausziehen, sage ich, das hat sich bewährt. Irgendwann zieht er sie tatsächlich aus und legt sie sich aufs Knie. Ich verabschiede mich mit all meiner angeborenen Menschenfreundlichkeit. Sagt er, er kenne sich aus, wollte aber eigentlich in die trockene Sauna. Wir erwerben für den heutigen Vorabend einen 2015er Randersackerer Ewig Leben und für den morgigen Hauptabend eine 2015er Escherndorfer Domina. Hoch Hartmut macht es so kalt, dass wir auf frische Saale-Luft verzichten.
25. Februar 2018
Auf die Minute pünktliche Züge heute, die halbe Strecke las ich den TAGESSPIEGEL, hörte einen Mann mindestens dreimal in Folge fast wortgleich von einem Vortrag berichten, den offenbar eine Frau störte, die empörenderweise gar nicht ordentlich zugehört hatte. Der Mann wollte außerdem bis Augsburg noch zwei Artikel zu Ende schreiben und etwas mit dem Herder-Verlag abstimmen. Hätte er das alles nicht bis Halle fast pausenlos jemandem angekündigt, wäre er wohl längst fertig gewesen, ehe wir in Erfurt sein Geräuschfeld verließen. Der Briefkasten zu Hause quoll nicht über, den Briefkasten im Netz ignoriere ich noch bis zum späteren Abend. Meine Zeitungen warteten brav an der Tankstelle. Nun heißt es nur noch zweimal schlafen, dann ist das Rentenalter erreicht, die Rente lässt noch sieben Bonus-Monate auf sich warten. Zwei Geburtstagskarten stehen schon vor der Durchreiche, die nächsten sehe ich erst am Donnerstag, wenn ich wieder zu Hause bin.
24. Februar 2018
Nach nur drei Stunden Schlaf und einer anstrengenden Nachtschicht an der neuen Software die Kurztour gen Berlin, Check-In in der Wielandstraße, Eilmarsch in die Schillerstraße, Dienstbier in die Goethestraße und dann der Ausflug zum Teufelsberg. Der ist ein Trümmerberg wie der andere im Friedrichshain, den ich aus den berühmten alten Zeiten kenne. Bis zum einstigen Spionage-Areal der Amerikaner sind wir mit Buggy nicht mehr vorgedrungen. Das wird ein separater Ausflug. Der gestörte S-Bahn-Verkehr – Polizei- und Notarzteinsatz – zwang uns rückwärts zum Bus ab S-Bahn Heerstraße. Vom Teufelsberg aus sieht man den Funkturm und den Fernsehturm je nach Standort fast in einer Fluchtlinie und hat auch sonst ein eindrucksvolles Stadtpanorama. Der eisige Wind trieb uns freilich bald vom kahlen Plateau. Vor der Abreise gen Hauptstadt im allerletzten Moment den korrigierten Buchblock zur Druckerei geschickt, die „Nathan“-Kritik muss bis morgen warten.
23. Februar 2018
Der nächste etwas rundlichere Geburtstag von Erich Kästner lässt noch ein volles Jahr auf sich warten, deshalb heute nur ein winzig kleines Zitat aus dem Jahr 1945, Juni: „Das Gewissen ist um 180 Grad drehbar. Doch man muss ihm etwas Zeit lassen.“ Es grassierte, wie er auch schrieb, in jenen Tagen die Unschuld. Der 23. Februar ist auch mit einer Dame verbunden, der ein sehr treuer Fan sintemalen das Kompliment machte, sie sei die schönste Moderatorin von Dresden Fernsehen. Die schönste ist sie immer noch, nur halt nicht mehr Moderatorin. Es geht das Gerücht, sie reise, wenn sie mit dem ihr seit vielen Jahren angetrauten Gatten in Länder reise, deren Weinproduktion zu wünschen übrig lässt, mit eigenen Weinschläuchen an, die auf dem Rücktrip dann leer sind. In Russland begehen sie heute einen von Lenin 1918 eingeführten Feiertag, damals wurden die ersten Rekruten zur Roten Armee eingezogen. Da muss man Russe sein, um so etwas feiern zu können?!
22. Februar 2018
Das Wort Arbeiterschriftsteller hatte, aus DDR-offiziellem Munde gesprochen oder aufgeschrieben, eine abschreckende Wirkung. Wohl kannte ich aus den Bücherregalen meiner Eltern Karl Grünberg und Hans Marchwitza, vor allem natürlich Willi Bredel, aber die Produktion der frühen 50er Jahre fand sich bald selbst in den Literatur-Lehrbüchern des Landes als schematisch, als konfliktscheu gekennzeichnet. Ich ignorierte sie. Dass ich dem „Arbeiterschriftsteller“ Theo Harych mit meiner Ignoranz unrecht tat, ist mir erst jetzt wirklich aufgegangen. „In der Nacht zum 22. Februar 1958 nahm er sich das Leben, erhängte sich in seiner Wohnung.“ Lese ich bei Jürgen Serke in dessen wichtigem Buch „Zu Hause im Exil. Dichter, die eigenmächtig blieben in der DDR“. Harych hätte ich, ahnungslos wie ich war, in einem solchen Zusammenhang nicht vermutet. Noch 1988 schwieg sich eine namhafte DDR-Tageszeitung zu seinem Tod und seinen Konflikten im Land schlicht aus.
21. Februar 2018
Aus dem Nachmittag ist Nacht geworden, bis die Druckerei endlich die Lieferbarkeit des Titels bestätigte: nun also erwarte ich die Lieferung selbst. Das Warten hatte einen positiven Nebeneffekt, ich entmistete meine Outlook-Ordner, führte uralte Korrekturen aus an längst im Netz stehenden Texten. Und nun schreite ich leicht beschwingt dem Monatsende entgegen, das in diesem Jahr leider keinen 29. Februar vorrätig hält, an dem ich einen Blick zu Herbert Ihering hätte werfen können, von dem ich gerade drei Bücher gleichzeitig lese. Mal sehen. Heute gibt es die Hamburger ZEIT genau 72 Jahre, die ich zuerst noch als Kulturbündler in der „Alten Försterei“ im Gratis-Abo lesen durfte. Später ging ich dazu über, sie mir Donnerstag für Donnerstag selbst zu holen. Die Briefe des Chefredakteurs befreie ich jeweils aus dem Umschlag, ehe ich sie in den Papiermüll werfe, ich finde die Fragen meist unbeantwortbar, die ich beantworten soll und brauche auch keine Präsente.
20. Februar 2018
Meine Abwesenheit am Jubiliergeburtstag erfordert Absprachen mit allen, die einen unabweislichen Drang haben, mir dennoch zu gratulieren. Es gibt liebe Menschen, die mir sogar aus Thailand Fotos von dortigen Bieren senden, damit ich wählen kann, welche ich noch nicht kenne. Der Verlag, den die mir angetraute Gattin vor reichlich anderthalb Jahren in ihr ungeteiltes Eigentum brachte, steht unmittelbar vor der Edition des ersten eigenen Titels in ihrer Regie, mir wurde signalisiert, ich könne am heutigen Nachmittag das erste Probeexemplar bestellen. Wenn das den Beifall des Hauses findet, kann in der Woche, in der sich der Februar verabschiedet, der Weltmarkt sich voll Schwung darauf stürzen. Vermutlich muss er erst Anlauf nehmen, wie ich den Weltmarkt kenne. Den Autor des Buches kenne ich recht gut, auch wenn ich manchmal nicht in seiner Haut stecken möchte. Es ist, weiß ich, eine ziemlich ehrliche Haut mit akuter Neigung zur Selbstausbeutung, also wie ich.
19. Februar 2018
Noch immer warte ich, dass aus meinen gesendeten Dateien das Ergebnis wird, das es werden soll. Man kann telefonieren, man kann auf Mails warten, die nicht kommen. Zwischenzeitlich vergeht ein Kindergeburtstag, den wir schon am Wochenende nachfeiern. Die rote Farbe an entscheidender Stelle bleibt rot, ich aber brauche grün. Immerhin kenne ich den einen Fehler, den ich ahnungslos machte, weil ich den dritten Schritt für nötig hielt, der nicht mehr nötig ist mit der neuen Software. Wer das alles nicht versteht, ist in meiner Situation. Ich verstehe es auch nicht. Dafür weiß ich nun, wie man Farben generiert aus Zahlencodes, ich weiß, wie man auf andere Bildschirme kommt, auf denen man mit der eigenen Maus fuhrwerken kann, dass es eine Freude ist. Nebenbei schaffe ich, so verrückt es ist, sogar noch ein paar Seiten Lektüre, ein paar Seiten Rohmanuskript. Nur für mich ist es verrückt. Denn ich kenne den Plan. Den nächsten Arzttermin kenne ich auch: er fällt in den Mai.
18. Februar 2018
Wie nennt man solch einen Tag, der dummerweise auch noch ein Familien-Sonntag ist? Desaster, Katastrophe, Tiefschlag? Einfache Dinge, die wahrscheinlich mittlerweile Milliarden Leute an einem Bildschirm beherrschen, leisten mir Widerstand. Hilfsprogramme helfen nicht, Anleitungen sind unverständlich, weil mir selbst in der deutschen Fassung jedes zweite Wort vollkommen fremd bleibt. Ich weiß nicht, sind meine hochgeladenden Dateien wirklich dort, wo sie hin sollen, wo sind sie, wenn sie nicht dort ankamen, außer bei mir auf der Festplatte? Mein Geburtstagsgeschenk ist akut gefährdet, dazu kommt eine andere Termindrückerei, die mir ohne Not, wenngleich juristisch natürlich sauber zuungunsten des Bürgers, der ich auch bin, den Spaß am Leben nimmt. Manche salbadern über wohltuende Wirkungen von Stress. Das sage einer den Blutzuckerwerten. Und morgen in aller Frühe nüchtern zum Arzt, reine Routine alles, reine Routine. Ich fahre mit dem Bus.
17. Februar 2018
Dienst am Kind, das kommt bisweilen auch außer der Reihe vor. Das Kind ist zehn Jahre alt und weckt Erinnerungen. Auf geradem Weg ins Rentenalter steigen Bilder auf: 1963 gab es für mich keine Playmobil-Figuren, wohl aber Indianer und Cowboys, ein Fort mit Türmen, die Indianer beritten und zu Fuß mit Gewehren und Speeren. Heute ein SEK- Hubschrauber, die kleinen Polizisten mit Schuss-Westen, mit Helmen, vier können einsteigen. Am Großen Teich Blesshühner in Scharen am Ufer, Eis wie aufgefaltet. Enten haben keine kalten Füße, sagt man, aber sie rutschen aus, wenn sie landen. Auf meinem Desktop liegt vorerst ein verworfenes Buchcover: Die nötigen Korrekturen sind geringfügiger Natur, das Verlagslogo muss noch verschoben werden. Neben mir ein großformatiges Buch mit vielen Fotos: Dieter Kranz führte ein Gespräch mit Wolfgang Heinz, ein sehr junger Dieter Mann spielte den Tempelherren, Christine Schorn ganz in Weiß die Recha.
16. Februar 2018
Eben lese ich in einem hübschen kleinen Aufsatz über Provinztheater mit Schwerpunkt Thüringen über einen Mann außerhalb Thüringens einen überlieferten Ausruf aus der Zeit, da der erste Tonfilm den einen oder anderen Theatermann dann doch heftig verunsicherte: „Ich lasse jeden aufschreiben, der ins Kino geht, damit er nie wieder ein Abonnement an meinem Theater bekommt!“ Das soll sich in Oldenburg zugetragen habe, der Ausrufer hieß Helmut Goetze. Jetzt lese ich in den Schlagzeilen des Portals „Nachtkritik“, dass sich eine Landesbühne an einen Filmklassiker wagt. Mal abgesehen davon, was Nachtkritiker für seltsame Vorstellungen von Filmklassikern haben können: ist das nicht herrlich: Filme auf Theaterbühnen, man muss nicht mehr ins Kino oder in die Mediathek, wenn man einen alten Streifen sehen will, man wartet einfach auf eine mutige Bühne. Wann werden die Talkrunden Wundertiere vorführen, die frech wagen, als Stücke geschriebene Stücke aufzuführen?
15. Februar 2018
Der Todestag Lessings erinnert mich daran, dass ich im vorigen Jahr schwungvoll einen Text zu seiner „Hamburgischen Dramaturgie“ ins Netz stellte, versehen mit dem Hinweis, es handle sich um den Beginn einer Folge. Dem ersten Teil folgte aber bis heute nichts nach, auch wenn ich noch eine Weile tatsächlich dem Ausgangskonzept anhing. Jetzt bin ich immer noch nicht an dem Punkt der guten Vorsätze, sehe in der kommenden Woche aber wenigstens wieder einmal einen „Lessing auf der Bühne“. Das Buch gleichnamigen Titels von Gerhard Stadelmeier liegt schon mit Lesezeichen auf dem Stapel neben meinem Monitor. Nebenher frage ich mich, ob man sich noch einfach und reinen Herzens wundern darf über einen israelischen Ministerpräsidenten, den nichts anficht oder ob das schon als Antisemitismus gelten muss. Kann ein rassisch verfolgter Jude selbst Rassist sein, indem er von Negern oder gar Niggern schreibt mit Wulstlippen und deren seltsamem Brauchtum?