Tagebuch
13. August 2025
Zu den Hitzetoten des Jahres 2025 wollten wir nicht gehören, weshalb wir die erfreuliche Reihe von sechs Tagen mit mehr als 10.000 Schritten in Folge unterbrachen, was morgen ohnehin geschehen wäre. Auch heute eine kleine Arbeit zu Thomas Mann ins Netz gestellt. Es werden bis Jahresende sicher noch zwei, im Idealfall sogar drei weitere folgen. „Stadtmitte umsteigen“ einen Tag vorzeitig begonnen, meine Berliner Knobloch-Führung am 12. Juni hatte dort einen ihrer Haltepunkte, wo das Lang-Feuilleton beginnt, um dann eine völlig andere Richtung zu nehmen. Regenbogenforellen zu Mittag. Vor zwanzig Jahren stellte ich mein Archiv für Zeitungsausschnitte endgültig um auf Sammeln in Klarsichtfolien, vorher klebte ich tatsächlich noch alles auf mit viel unnötiger Mühe. Die Folien haben zudem den Vorteil, wie Trennblätter im Ordner zu wirken. Die Stapel unsortierter Ausschnitte würden inzwischen zwei ABM-Kräfte beschäftigen, wenn es die noch gäbe: ein Alp.
12. August 2025
In der wahrlich nicht armseligen Bibliothek meiner Eltern war Thomas Mann nur spärlich vertreten. Die „Buddenbrooks“ gab es da und „Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“. Den dicken „Zauberberg“ musste ich mir aus der Bibliothek holen, den Band besitze ich heute noch, weil die Bibliothek nach einer großen Havarie ihn nicht wiederhaben wollte, er war als Verlust ausgetragen. Alles, was also heute bei mir Thomas Mann ist, anderthalb Regalmeter sind das knapp, war meine Anschaffung, auch die zehn Bände Tagebuch, auch die überarbeitete Thomas-Mann-Chronik und zuletzt sein Briefwechsel mit Robert Faesi, den ich eher wegen Faesi als wegen Mann kaufte. Der Bruder Heinrich Mann war in Gehren dagegen deutlich besser präsent. Meine Mutter mochte den Bruder eher, weshalb auch ich als Goethe-Schüler anno 1969 eine von meinem Unterricht nicht beauftragte Wandzeitung zu Heinrich Mann anfertigte, deren Reste irgendwo bei mir archiviert sind.
11. August 2025
Den ganzen Tag über mit „Mario und der Zauberer“ beschäftigt, vor allem mit Arthur Eloessers Sicht auf die Novelle. Thomas Mann war vom 17. August 1926 (Anreise) bis zum 13. September 1926 (Abreise) in Forte dei Marmi. Das lieferte den Stoff. Literatur wird daraus jedoch erst 1929 im Kurhaus Rauschen in Ostpreußen. Dort macht Mann Ferien vom 29. Juli bis 24. August. Ich war vom 13. bis 18. Oktober in Forte dei Marmi und suchte dort keine Spuren Thomas Manns. Ich sah Florenz, Siena, Lucca, Pisa, in Lucca Regen wie eine Sintflut für Touristen. 2018 sah ich Forte dei Marmi erneut, sehr kurz und wieder ohne Mann-Andacht. Gute Gelegenheit, alte DDR-Lesarten zu besichtigen, trauriges Vorherrschen von purer Ideologie. Immer erinnert mich das an Kunerts „Das Bild der Schlacht am Isonzo“. Knapper und prägnanter hat niemand den Kern je getroffen, der auf die DDR allein natürlich nicht abzuwälzen ist. Draußen Mäh-Bataillone mit ihren Rasentrimmern.
10. August 2025
Unmengen von Äpfeln hängen an allen frei herumstehenden Apfelbäumen. Nachdem es im vorigen Jahr fast keine gab, beugen sie nun die Äste. Freilich sind sie sehr klein, ein Besitzer würde sie beschneiden, damit weniger und größere Äpfel zu ernten wären. Ihr Schicksal aber verurteilt sie. Sie müssen zu Boden fallen, es sei denn, unsere Gäste aus den Hintergrundregionen entdecken sie rechtzeitig, denn man kann auch sehr kleine Äpfel gut essen oder zu Mus verarbeiten, man darf nur nicht verpassen, wann sie so reif sind, dass sie schmecken. Äpfel darf man wahrscheinlich sogar in Kriegsgebiete schicken, was mit Waffen nicht ganz so einfach ist. No Cops, No Nazis, stand auf einem Sticker, der mir heute auf- und in die Hände fiel. Dazu Antifa Area. Das klingt nach seltsam antinational befreiter Zone, man ahnt, woher diese Klebewürstchen ihre Ideen beziehen. Sie merken es nur nicht. Sie schreiben FCK AFD auf den Fußweg, denn nicht jeder Vokal lässt sich streichen.
9. August 2025
In allen Briefkästen heute ein Blatt auf Hochglanzpapier: jemand will Garagen kaufen. In Ilmenau und Umgebung. Gute Barzahlung und faire Preise. Früher gingen die schwarzhaarigen jungen Männer mit ihren Rücksäcken voller Visitenkarten von Auto zu Auto. Wenig später lag die Straße voller entsorgter Karten. Ich sammelte unsere als Lesezeichen. Was will jemand mit Garagen? Im Plural? Spekuliert er auf kommende Bebauungen und Verkaufsgewinne? Will er illegale Warenlager oder illegale Werkstätten etablieren? Merkwürdigerweise steht für Barzahlung das Dollarzeichen. Sind es die Jungs mit den Dubai-Dollars, mit denen sie angeblich nicht zahlen können an unseren Tankstellen? Aber es ist eine Handy-Nummer angegeben. Das erweckt Anschein. An zwei, drei Garagen, die ich beim Spaziergang sehe, hängen schon länger einfachere Kaufgesuche. Warum habe ich nur keine Garage? Vielleicht könnte ich auf einfache Weise und am Finanzamt vorbei??
8. August 2025
Rüstung ist wieder in. Noch vor wenigen Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen seine Saure-Gurken-Zeit im Sommer mit fröhlichen Ingenieuren füllt, deren große Augen angesichts der Aufgabe leuchten, friedliche landwirtschaftliche Motoren tauglich fürs Militär zu machen. Nichts mit Schwertern zu Pflugscharen, umgekehrt wird ein Schuh daraus. Und nun müssen alle zittern: Was, wenn dieser Putin und dieser Trump wirklich Frieden schaffen? Ade, ihr schönen Konjunkturprogramme. Eigentlich war Rüstung immer verkannt. Das sind nette Kerle, die nichts als Frieden im Sinn haben. Ab und an müssen auch im Frieden Waffen ausgetauscht werden und wenn es da und dort mal einen Konflikt gibt, wir liefern nicht in Krisengebiete. Also nur über Zwischenhändler. „Berliner Fenster“ zu Ende gelesen. Alle Prag-Stellen sind markiert darin. Mein Kalender für 2026 zeigt inzwischen mehr Termine an, als ich werde bedienen können.
7. August 2025
PETA, eine lustige Organisation, in der Denken, insbesondere logisches Denken, verboten zu sein scheint, befasst sich neuerdings mit einem Ausstieg aus der Tierwirtschaft. Das würde uns, so die Geistesriesen, nicht nur Unmassen Megatonnen Co2-Ausstoß ersparen, sondern auch 750 Millionen Tieren ein Leben voller Ausbeutung. Den meisten würde es das Leben überhaupt ersparen, denn wozu sollten all diese Tiere da sein, wenn wir sie nicht essen. Ungegessen würden sie ihrerseits all unsere veganen Fressalien vertilgen und uns damit rasch in die Aussterbe-Phase transponieren. Wer je eine umzäunte Grünfläche sah, auf der sich Hühner frei bewegen, weiß, wie lange es dauert, bis auch nicht ein einziges Hälmchen mehr übrigbleibt. Wo würden all die freien Schweine, Rinder, Kaninchen, Gänse, Enten denn sein, wenn sie nicht mehr aufs Messer warten müssten? Wie viele Holländer müssten sich ins offene Meer stürzen, wo schon die toten Milch-Dänen treiben würden?
6. August 2025
43 Besucher zeigte das Zählwerk am Eingang des Schwimmbades Hammergrund, als wir ankamen, zwei Erwachsene, zwei Kinder mit Familienkarte. 95 Besucher zeigte das Zählwerk, als wir knapp vier Stunden später wieder gingen. Es waren nach uns also noch 52 Badegäste oder Begleiter da. Dennoch sah alles leer aus. Ich traf eine Bekannte aus alten Hochschulzeiten, die ich mich hüte, eine alte Bekannte zu nennen. Sie hat eben hauptsächlich dazu beigetragen, dass in Suhl ein alter Suhler ein wenig aus der Vergessenheit hervorgezogen wurde, Kurt Römhild sein Name. Ein in der DDR absichtlich übersehener Tscheche, übersehen, obwohl er ein Kommunist war, hat heute seinen 125. Geburtstag: Jiří Weil. Sein Roman „Moskau – Die Grenze“ erschien erst 1992 im Aufbau-Verlag, als der kein DDR-Verlag mehr war, sondern nur noch ein Verlag ohne Länderkennzeichen. Es war nicht sehr gesund, das stalinistische System belletristisch zu kritisieren, nicht immer tödlich.
5. August 2025
Lang ist es her, dass ich Novellen von Maupassant reihenweise las, mir die sechsbändige DDR-Ausgabe zulegte, obwohl ich die dreibändige bestens kannte. Christel Gersch war die Übersetzerin. Meine Aufzeichnungen sind teilweise noch handschriftlich. Wer feiert heute 175 Jahre Maupassant? Nur auf den Briefwechsel Flauberts mit Maupassant und auf „Die Liebe zu dritt“ musste ich warten, bis die Freiheit über mich hereinbrach und mich jählings von meiner Tätigkeit als freiberuflicher Literaturkritiker trennte. Gestern hätte ich an Andersen denken müssen, den Hans Christian, von dem ich mir zu DDR-Zeiten neben zwei Bänden „Sämtliche Märchen“ noch eine fünfbändige Ausgabe zulegte. Auch hier verhalf die Freiheit zur Sammlungsergänzung. Meine Aufzeichnungen schon nicht mehr handschriftlich. Dauerregen bis zum Nachmittag. Die überraschende Erkenntnis, dass ich am 12. September 2023 vor einem Gedenkstein stand, der Heinz Knobloch gehört bis 2050.
4. August 2025
„Sehenswürdig in Schmalkalden ist die Volksbuchhandlung.“ Schrieb vor mehr als 50 Jahren der Zweitrundgänger Heinz Knobloch. Solch ein Satz würde alle zutiefst beleidigen, die 2024 tagelang ihr Jubiläum 1150 Jahre Schmalkalden feierten und sich entsprechend darauf vorbereitet hatten, unterstützt durch eine mir nicht bekannte Summe von Fördermitteln. Die Zeiten, da mittels NAW (Nationales Aufbauwerk) haarscharf am Plan vorbei Objekte wie Schwimmbäder gebaut wurden, sind auch in Schmalkalden längst vorbei. Heute sieht die Stadt einfach schön aus, hat außerdem noch eine Wilhelmsburg, die wir sahen, als das Corona-Vernichtungswerk noch nicht begonnen war. Und VIBA, die Erfolgsgeschichte. Für uns der zweite Rundgang, mal kurz auch in der Sparkasse, etwas Bares nachfassen. Ich setzte mich zwischen Luther und Melanchthon in Sichtnähe zur guten alten Elisabeth. Und posierte beschildert für eine Nougat-Werbung ohne Kind mit Kindeskind.
3. August 2025
Kurz mal in Ohrdruf. Hätte Lothar Kusche geschrieben, wenn er mal in Ohrdruf gewesen wäre. Mal kurz in Ohrdruf, hätte Heinz Knobloch geschrieben in vergleichbarer Lage. Hat er aber nicht, haben beide nicht. Was nicht heißen muss, dass sie nie da waren. Wir aber waren da. Sind durch Regen gefahren, ohne Regen angekommen, haben den Parkplatz auf der Wiese gefunden, sind eingewiesen worden, wie wir es aus guten Zeiten auf dem Theatervorplatz in Coburg kennen. Dann sahen wir kräftigen und sehr kräftigen Männern zu, wie sie Gewichte, die wie ein Baumstamm aussahen, in die Höhe stemmten. Einer scheiterte mehrfach an 120 kg, ein anderer war der beste mit 165 kg. Nebenan trieben extrem gut ausgebildete und folgsame Hunde eine kleine Schar von Laufenten über einen Rasenparcours, sehr sehenswert. Zum Schluss alle in eine Box. Ich kenne sogar den Bürgermeister. Von Schloss Ehrenstein hatte ich keine Ahnung und sogar der junge Bach war da.
2. August 2025
Weil ich gerade aus verschiedenen Gründen in verschiedenen Büchern von und über Thomas Mann umher schnüffle, mache ich eine kleine Entdeckung. In der Thomas-Mann-Biografie von Eike Middell (Reclam Leipzig, RUB 268) findet sich auf Seite 128 ein Foto mit fünf Männern drauf. Im Vordergrund der Kultusminister Grimme, der Adolf Berthold Ludwig Grimme hieß und der letzte Kultusminister Preußens in einer demokratisch gewählten Regierung war. Grimme verdeckt darauf einen fast völlig, der mir bekannt vorkommt, mir fällt nur kein Name zu ihm ein. Nur wenig aber verdeckt der Minister Arthur Eloesser und gar nicht Heinrich und Thomas Mann. Alle sind in Frack und Fliege. Da das Foto ins Jahr 1931 datiert ist, muss es die offizielle Feier zum 60. Geburtstag von Heinrich Mann gewesen sein. Eloessers Name fehlt im Bildtext des Buches, für das der 30. Juni 1965 Redaktionsschluss war. Er war Festredner damals. Sechs Seiten später noch ein Bild als Hörer.