Tagebuch

24. August 2024

In Oberpörlitz ist heute Pferdetag. 10 Uhr geht es los und 14 Uhr beginnt ein Schauprogramm. Was zwischen dem Beginn und dem Beginn des Schauprogramms passiert, ist der Einladung leider nicht zu entnehmen. Als wir 14 Uhr kommen, gibt es kein Schauprogramm, weil sich alles verschoben hat. Es ist höllisch heiß und Ahnungslose wie wir haben keine Ahnung, nach welchen Kriterien bei der Vorstellung der Fohlen etwas entschieden wird. Immerhin, die Fohlen sind schön anzusehen und die Besitzer völlig begeistert, wenn sie eine Schleife verliehen bekommen. Wir entfernen uns dezent, weil Pferde Mädchensache sind, wie wir eigentlich schon wissen, hier aber noch einmal vor Augen geführt bekommen. Wir wechseln den Ortsteil, fahren zum Stausee Heyda, wo Bürger aus allen Landesteilen Thüringens mit und ohne Surfbrett angereist sind. Ein Bürger mit Fotoapparat wird kurz sichtbar, dessen Vorgesetzter ich einst war. Die Enkel baden fröhlich an der Staumauer.

23. August 2024

Das Schöne am Ilmenauer Freibad im Hammergrund ist, dass man Platz hat, wenn die Thüringer Kinder schon wieder in die Schule gehen müssen, während die Berliner Kinder noch Ferien haben. Man sieht dann wohl eine oder zwei Schulklassen bei verschiedenen Übungen unter Anleitung, eine andere Gruppe geht auch schon wieder, als wir uns auf unserer Bank eingerichtet haben. Der fette Knabe vom Dienstag, der mit seiner fetten Schwester, seiner fetten Mutter und fetten Großmutter und drei Fresseimern gekommen war, um nach je zwei Rutschpartien neue Nahrung in sich zu schieben, der fehlt heute. Das Wasser scheint kalt zu sein. Heute erleben wir die ersten Sprünge vom 5-Meter-Turm in unserer Familie. Ich sprang als Brillenträger nicht einmal in die Badewanne in meinen jungen Jahren. Vor 100 Jahren wurde Ephraim Kishon geboren, vor 75 Jahren starb Paul Wiegler, von dem ich kürzlich das Buch „Tageslauf der Unsterblichen“ las, durchaus mit Gewinn.

22. August 2024

In Goldisthal sorgt nicht nur Vattenfall für volle Gemeindekassen, es gibt auch ein „Haus der Natur“. Von außen sieht es aus wie ein Haus, das nicht auffallen will, weil es geschiefert ist, von innen und in der Außenanlage ist es eine Entdeckung für Kinder und Großeltern. Man kann dort sogar Goldsucher spielen, also Pyrit suchen. Mehr Freundlichkeit ist uns seit längerem in einem öffentlichen Tourismusziel nicht begegnet. Am Ende gab es Urkunden, die Kindern in aller Regel immer Freude bereiten, weil sie ihnen Fähigkeiten bescheinigen. Soweit Kinder noch Ehrgeiz entfalten. Kann sein, dass Ehrgeiz bald als diskriminierend gilt, weil er die laschen Säcke und Säckinnen diskriminiert, die nichts entfalten wollen außer Hunger auf Chips und zuckerhaltige Kaltgetränke. Vor 150 Jahren wurde Max Scheler geboren, von dem „Schriften zur Anthropologie“ bei mir stehen und ein Buch von Wolfhart Henckmann in der Beck'schen Reihe „Denker“ über ihn.

21. August 2024

Vor 25 Jahren ließen uns unsere Kinder allein von Gotland aus die nördlich sehr nahe Insel Fårö besuchen, ihr Bedarf nach immer neuen Kirchen im Zustand vor der Eroberung Gotlands durch Waldemar, den wilden Dänen, war komplett gedeckt, ich entfaltete Sammlerehrgeiz und wollte alle gesehen  haben, was mir natürlich nicht gelang. Auf Fårö starb knapp acht Jahre später Ingmar Bergman, der seit 1965 dort gewohnt hatte. Sein Grab sahen wir nicht, weil wir, rückblickend sehr ärgerlich, nicht danach suchten. Dafür sahen wir Raukare und Schafe. Die lieben Enkel heute in Erfurt unter den Fittichen von Großvater Nummer 2, wir am Vormittag in Pennewitz, wo wir die Füße, auf denen wir den aufrechten Gang pflegen, pflegen ließen. Ich las auf der Bank am Spielplatz, statt große Runden zu drehen. Stilles Lesen ist in Zeiten mit übervoller Wohnung nicht in der gewohnten Weise zu realisieren. Abends Rommé am Esstisch, kinderfreundlich mit Klopfen.

20. August 2024

Vor dreißig Jahren brachen wir, ich nur auf dem Beifahrersitz, auf der Rückbank fünfzig Prozent unserer Kinder, erstmals gen Dänemark auf. Das Ziel hieß Bork Havn. Es war für die Fahrerin sehr anstrengend, weil hinter der deutsch-dänischen Grenze noch eine erstaunliche Menge Dänemark kam, ehe der Ferienhaus uns alle aufnahm. Uns war in diesem Falle eine weitere dreiköpfige Familie aus dem Kreis der Brüder und Schwestern aus Gera. Heute brachen wir, ich auf dem Beifahrersitz, gen Hammergrund auf, auf der Rückbank hundert Prozent unserer männlichen Enkel. Weibliche Enkel fallen nicht in unseren Besitz. Die männlichen Enkel sind im Besitz von in Ilmenau erworbenen Urkunden über ihre Schwimmfähigkeiten, denn in Ilmenau sind Freibad und Hallenbad, wie soll ich es sagen, noch keine gefährdeten Zonen wie etwa in der Hauptstadt, in der Nancy Faeser immer viel will und nie etwas tut. Familienkarte in Ilmenau läppische 14 Euro nur.

19. August 2024

Schon Heinz Knobloch wusste, dass Sehenswürdigkeiten eine Sache für Gäste sind. Die Be- bzw. Anwohner der Sehenswürdigkeiten gehen nie bis selten hin. Fragen Sie einen Ilmenauer, wann er zuletzt im GoetheStadtMuseum war, er wird je nach Frager eine gewisse Verlegenheit vorspielen oder in einem Anfall von Ehrlichkeit sagen: Nie. Auch ich war im GoetheStadtMuseum immer nur, wenn ich dort einen Vortrag hielt, aber die Goethefreunde hatten irgendwann von meinen Goethe-Vorträgen so die Nase voll, dass sie lieber Leute einluden, die ihnen erzählten, was sie alle schon wussten. Früher nannte man das Parteilehrjahr. Wir jedenfalls wanderten heute vom Parkplatz zu Füßen des Kickelhahnes, der jetzt gebührenpflichtig und markiert ist, zur Bobhütte, die leer steht, zum Aussichtsturm, von dem aus man sehr viel sieht, zum Ilmenauer Balkon, von dem aus man nichts mehr sieht. Und zurück. Unterwegs so viel Pfandflaschen, dass die Parkgebühr zurückkehrte.

18. August 2024

Die Putenoberkeulen mussten sich nicht verstecken, die Teilnehmer des Gastmahles im Esszimmer des Hauses, das wir nur selten Speisezimmer nennen, auch wenn das deutlich nobler klingt, gaben ihrer Befriedigung in lobenden Worten beredten Ausdruck, die jüngsten Gäste nickten nur auf die Frage, ob es geschmeckt habe, was die Hausfrau mit Freude und Genugtuung registrierte. Die Stiftung Warentest hätte bemängelt, dass die Oberkeulen im Rohzustand gegenüber den Oberkeulen im gebratenen Zustand zu viel Gewichtsverlust erlitten hätten, was auf überhöhten Wasseranteil hindeutet. Das wiederum hätte der Stiftung Putenwohl Genugtuung ins Hirn getrieben, denn nur wasserarme Putenkeulen kommen in den Himmel oder so ähnlich. Es beginnt nun eine Woche des Kindes, aus unserer bescheidenen Rentner-Perspektive die Woche des Enkels im Plural, also der Enkel. Die zweiköpfige Plankommission hat sich auf Wetterabhängigkeit geeinigt: von Tag zu Tag.

17. August 2024

Dies ist das Tag, an dem wir unsere Stimmen einwarfen. Wurfstimmen also. Und das Rathaus Ilmenau hat den Schlitz in der Rathaustür, durch den die Stimmen geworfen werden müssen, so überaus auffällig markiert, dass auch die Mitglieder des Blinden- und Sehschwachenverbandes, soweit sie nicht vollends im Dunklen tappen, treffsicher sein können. Außerdem, na ja, es gibt ja Hilfsangebote. Mich bewegt die Frage, wie es das Wahlergebnis beeinflusst, wenn ich mit einem SPD-Kugelschreiber die CDU ankreuze oder umgekehrt. Was macht ein sächsischer Kugelschreiber mit mir in Thüringen? Ohne Wahlkämpfe wäre die gesamtdeutsche Kugelschreiber-Industrie wohl schon bei den Dax-Verlierern. Was natürlich nicht stimmt, denn auch andere Institutionen und Institute verteilen welche, legen welche bei und so wird dem freien Kugelschreiber-Handel das Handwerk gelegt. Wann kaufte ich zuletzt eine echte Parker-Mine? Vor dem 30jährigen Frieden?

16. August 2024

Bisweilen arbeiten bei Wikipedia auch vollkommen ahnungslose Vollidioten mit. Einer beantwortet die Frage „Wie hieß der Rotwein in der DDR?“ mit: „Viele Leute bevorzugten „Cotnari“, „Muskat Otonel“, „Murfatlar“, alles liebliche, teilweise Dessertweine. Wir nannten diese Weine auf dem Tanzboden „Büchsenöffner“. Der einzige wirklich gute Rotwein war ein „Pinot noir“.“ Die ersten drei Weine, jeder, der sich die Hosen nicht mit vier Kneifzangen hochzieht, weiß es, waren weiß, also gelb, aber niemals rot. Wir nannten diese Weine „Schlüpferstürmer“, an Tanzböden in der DDR kann ich mich nicht erinnern. Wohl aber an schwerste Brummschädel wegen Restzuckervergärung in den inneren Trakten. Bisweilen arbeiten auch beim MDR Menschen mittlerer Fähigkeiten, die dürfen dann „Fakt“ moderieren und in jedem zweiten Satz sagen: Sie haben aber jetzt meine Frage nicht beantwortet. Als hätten Politiker je Journalistenfragen beantwortet. Ach Freunde, tiefe Trauer.

15. August 2024

Wie meine Daten nach Hamburg zu einer bundesweiten Initiative Hörgesundheit gelangt sind, die mir in gewissen Abständen Einladungen nach Arnstadt zukommen lässt, damit ich dort einen Hörtest absolviere, weiß ich nicht. Ich bin zwar in Arnstadt geboren, habe in Arnstadt eine Reihe von Jahren gearbeitet, kannte dort den Chef von Hals/Nase/Ohr nebst Gattin sehr gut, der dort in der zweiten Etage wirkte, wo ich in der ersten das Licht der Wollmarkt-Welt erblickte, aber sonst? Mein Lebensmittelpunkt, wo ich mit der mir angetrauten Gattin 100 Quadratmeter bewohne und dem Bücherstaub anheimgebe, liegt andernorts. Die genannte Gattin überraschte mich gestern mit einer Zahl, die mich einschüchterte: Ich setzte seit Eröffnung meiner Internet-Seite 2011 sage und schreibe 1196 Texte ins Netz, nur die der Rubrik „Alte Sachen“ entstanden früher. Wenn man mich einen fleißigen Menschen nennen täte-würde, täte-würde ich nicht dementieren beim Presserat.

14. August 2024

Der Medienkritiker Goethe schrieb einst, an die Öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gerichtet, dies: „Es ist ein eigner, grillenhafter Zug, / Daß wir durch Schweigen das Geschehene / Für uns und andre zu vernichten glauben.“ Warum mir das in die Finger fällt, als ich lese, dass die ukrainischen Attentäter an Nordsstream 2 ihrer Verhaftung entgingen, als sei es selbstverständlich, dass sie welche waren, also Ukrainer, unbekannt, welchen Auftraggebers, da ging mir der Hut hoch. Denn ich erinnere mich der frühen Mutmaßungen, die auf der flachen Hand lagen wie Salamischeiben auf der Pizza, die sich verbanden mit der Aussage, es könne verheerend sein für unsere Waffenliefer-Mentalität, wüssten wir offiziell, was wir inoffiziell nach dem Altprinzip Cui Bono? ahnten. Also während unsere Freunde im Land der ehemaligen Untermenschen Geiselnahmen betreiben für künftige Tauschgeschäfte, etwas späte Wahrheit? Vor 30 Jahren starb Elias Canetti unbeeindruckt.

13. August 2024

Man kann am 13. August natürlich an die Mauer denken, die inzwischen länger weg ist, als sie da war. Man kann auch an Johann Elias Schlegel denken, der vor 275 Jahren starb und ein Klassiker vor den Klassikern war. Ich denke, dank einer sehr freundlichen Zusendung aus Berlin, an den 13. August 1937, der auf einen Freitag fiel. Mit Wirkung dieses Freitags erteilte am 27. August 1937 die Geheime Staatspolizei Darmstadt dem Schriftsteller und Kunsthistoriker Dr. Arthur Eloesser Auftrittsverbot als Redner. Das im Bundesarchiv Lichterfelde bewahrte Schreiben begründet das Verbot mit einer Rede Eloessers in der Steinthal-Loge in Hamburg am 25. Februar 1937. Ein halbes Jahr benötigte die Gestapo also für ihre Entscheidung, was kaum tröstet. Die 1909 gegründete Loge war eine von drei jüdischen Logen in der Hansestadt. Eloessers Redethema ist nicht überliefert. Für mich zwei bis dato unbekannte Lebensdaten. Jeder neue Fund ist und bleibt willkommen: logisch.


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