Tagebuch

19. Juli 2024

Laut Wikipedia ist heute der 650. Todestag von Francesco Petrarca, alle meine sonstigen Quellen nennen den 18. Juli 1374. Es sei, wie es ist. Ich besitze von ihm ein Poesiealbum 178, ein Insel-Buch 995, ein Reclambuch 387 und bin damit gut versorgt. Ich könnte die Sonette italienisch lesen, was ich natürlich nicht kann. Im Zimmer ein Anruf von der Rezeption, der sonntägliche Ausflug zum Kloster entfällt mangels Teilnahmewilliger, ich bekomme meine Kronen zurück. Die heutige Tour zum Schloss Königswart findet statt mit 13 Interessenten, die dann alle völlig begeistert sind von den Räumen des Fürsten Metternich. Wir sahen eine Schüssel, in der sich Napoleon auf Elba wusch und andere Wertstücke wie den Tisch, an dem die Dokumente des Wiener Kongresses 1815 unterzeichnet wurden. Mein Versuch, 3 Zehn-Franken-Scheine zu tauschen, scheiterte, der Wechsler wollte erst ab 20er Scheinen mitmachen. Schreck unterwegs: meine SD-Karte wird nicht erkannt.

18. Juli 2024

Heute ist der einzige Tag, da uns der Behandlungsplan zwingt, getrennt zu frühstücken. Sogar mit dem Kaffeeautomaten komme ich zurecht nach vorheriger Schulung: nur in Fernsehkrimis sind die Automaten störrisch und liefern ungenießbare Brühe. Man muss halt nur zwei verschiedene Knöpfe drücken, um die große Tasse anständig zu füllen, Kaffeesahne gibt es extra. Mein Termin fürs Mineralbad wird vorverlegt, was für den Nachmittag mehr Zeit bringt. Wir besuchen den Tesco, den wir bis dato nur aus England kennen, ich erweitere meine Biersammlung. Mit den heutigen vier Anwendungen bin ich 12 Uhr fertig, bleiben drei für morgen und damit ist dann schon wieder alles erledigt. Drei Runden Sauna gönne ich mir, wir sind die einzigen, die sie nutzen, die zweite Sauna für Textil-Schwitzer, die es nur hier zu geben scheint oder wo sonst Tschechen vorkommen, ist außer Betrieb. 2023 nutzten wir sie einmal versehentlich und erregten nichtöffentliches Ärgernis.

17. Juli 2024

Zehn Jahre ist es heute her, da ich „Rainer Kirsch: Kopie nach Original“ ins Netz stellte, damals war der 80. Geburtstag der Anlass. Jetzt bin ich ohne ihn in einem anderen Land, lese statt seiner Renate Krüger, auch Jahrgang 1934. „Nothing else matters“ hören wir heute bereits um 11 Uhr, um 15 Uhr noch die V. Symphonie von Beethoven. Die schaffen wir gerade noch, als wir aus dem Goethemuseum kommen, das ein Stadtmuseum ist. 2023 war es geschlossen, wir konnten uns nur die „Marienbader Elegie“ anhören: vor der Tür auf einer Bank sitzend. Hier gibt es immer nette Rabatte für Senioren. Auf dem Weg zum Hotel zwei einzelne Oblaten, das Geschäft hat offenbar keine Schließzeiten. Das Goethemuseum ist alles andere als überlaufen, außer uns zwei Paare, die aber vor allem die tschechischen Exponate beschauten. Ein halbwegs authentisches Gefühl nur in dem sehr kleinen Raum, in dem 1823 Goethes Diener Johann August Friedrich John übernachtete.

16. Juli 2024

Während einer Ratssitzung am 16. Juli 1664 starb der deutsche Dichter Andreas Gryphius. Wäre er ein Schauspieler gewesen, wäre er auf seiner Bühne gestorben. Schon um 8 Uhr muss ich heute bei der Ärztin vorsprechen, den Behandlungsplan stellt sie nach meinen Symptomen auf, die bisweilen durchaus heftig sind. 14 Anwendungen werden mir verordnet, müsste ich sie alle selbst bezahlen, würden 7670 Kronen fällig, was dem Kurs entsprechend 302,17 Euro wären. Es würde mich nicht umbringen, im Paket ist es inbegriffen. Um 13 Uhr hören wir am singenden Springbrunnen die Nummer E: „Nothing else matters“ von Metallica. Es gibt einen Plan, was wann gespielt wird, es gibt einen Run auf die Sitzplätze in Brunnennähe. Drei Saunagänge und Schwimmbad schließen sich an, es ist angenehm leer. Auffallend viele russisch sprechende Menschen im Haus und auf den Straßen. Einige packen ein nach Frühstück und Abendessen, was andere Hotels nie dulden würden.

15. Juli 2024

Von Dresden nach Marienbad ist es fast identisch weit wie von uns aus, wir fahren halt eine andere Strecke. Wir sind fast auf die Minute 14 Uhr vor unserem Hotel, bekommen Zimmer 222. 2023 war es 224, wir sahen in den Innenhof, jetzt auf die Straße an der Seite mit einem eingerüsteten Haus, hier wird offenbar ein alter Prachtbau saniert. Besuch bei der Schwester, die uns für morgen einen sehr frühen Arzttermin gibt. Einkauf im Kaufland. Dort gibt es einen Riesling von der Sandgrube 13 in Krems, den wir noch nirgends sahen. Das Zimmer hat einen Kühlschrank, für Wein und Bier ideal, es hat sehr gute Gläser. Aus dem Ausflugsprogramm buchen wir Schloss Königswart und Kloster Tepla. Den Geldautomaten im Foyer gibt es nicht mehr, wir müssen zur Bank, die sich aber ganz nahe findet, ich zahle mit Kronen. Und hoffe, meine letzten 30 Schweizer Franken tauschen zu können bei einem der vietnamesischen Geldwechsler. 150. Geburtstag von Wilhelm von Scholz.

14. Juli 2024

Das Endspiel in Dresden in großer Runde auf der Terrasse, Spanien gewinnt und damit die beste Mannschaft des Turniers, was uns immerhin damit tröstet, als wir in einem vorgezogenen Endspiel, wie wir uns einbilden dürfen, just gegen den späteren Europameister verloren. Kleiner Ausflug zum Schloss Hermsdorf, wo man heiraten kann und sonst nicht viel, die Spuren einer Hochzeit lagen und hingen noch umher. Eis gibt es erst ab 15 Uhr, die Kombination von Eis und Mittagessen stellt die Crew vermutlich vor zu hohe Herausforderungen. Kurze Abkühlung im Pool dann doch noch, obwohl wir eigentlich nicht wollten. Die Bratwürste aus Unterpörlitz fanden rundum Beifall, sie waren die Rettung, nachdem zwei Fleischer ausfielen, einer vermutlich für immer, einer erst einmal nur mit seiner Filiale in Ilmenau. Unsere Auswahl ist immer noch groß und es gibt ständig neue heiße Tipps, wo die besten Würste zu kaufen sind. Heute ist 120. Geburtstag von Isaac B. Singer.

13. Juli 2024

Kurt David war einer jener Autoren meiner Kindheit, deren Bücher mich faszinierten. „Im Land der Bogenschützen“, „Der singende Pfeil“, „Der schwarze Wolf“, „Tenggeri“ - das las ich gefesselt von den spannenden Geschichten und den fernen Schauplätzen. Heute wäre sein 100. Geburtstag. 70 Jahre alt ist heute Chaim Noll, der früher einfach Hans Noll war und Sohn von Dieter Noll, dem nach dem ersten Band von „Werner Holt“ nichts mehr gelang, dessen „Kippenberg“ verlogenem Jubel begegnete. „Der Abschied. Journal meiner Ausreise aus der DDR“ heißt das einzige Buch von Hans Noll, das ich je kaufte, es hebt zwei Tage vor meinem 31. Geburtstag an und endet mit dem 3. Mai 1984. Es ging schnell für ihn, schneller als für meinen Freund Uwe, der warten musste. Den sehe ich heute auf dem Weg nach Marienbad, wo ich mich voraussichtlich nicht in eine 17jährige verlieben werde, obwohl ich das vorbildliche Alter dazu erreiche. Hier erst einmal eine Sendepause.

12. Juli 2024

Warum in die Ferne schweifen? Sieh, der Gute liegt so nah: auf dem Hauptfriedhof Eisenach ist sein Grab zu besichtigen, sind am heutigen 150. Todestag Blümlein abzulegen oder dergleichen. Fritz Reuter, der Niederdeutsche, der auch ein Hochdeutscher war, starb zu Füßen der Wartburg, wie man sagt, obwohl die Wartburg keinerlei Füße hat, schon gar nicht zwei. Bis in meine nun wirklich nicht armselige Bibliothek hat es Reuter nicht geschafft, auf einer Analytiker-Couch würde ich vermutlich kaum vernünftige Gründe dafür ausplaudern können. Immerhin hat ihn auch Georg Lukacs in seinem lange kanonischen Buch „Deutsche Realisten des 19. Jahrhunderts“ dezent außen vor gelassen. Ich erinnere mich aber sehr gut, dass mein alter Freund IM Fischer des öfteren seine Neigung zu Fritz Reuter kundgab, als ich noch nicht wusste, dass Manne IM Fischer war. Ach ja, die schlechten alten Zeiten. Heute in den guten gießt es, blitzt es und donnert, Rechtsstaat eben.

11. Juli 2024

Kaum ist meine Hausärztin im Urlaub, muss ich eine ihrer Vertretungen aufsuchen, weil wie immer meine Tabletten nicht alle bis zum nächsten Termin reichen. Diesmal geht nur eine von Fünfen zu Ende, aber ein Rezept brauche ich auf alle Fälle. Und siehe, nachdem ich meine Wartezeit auf der Treppe leidlich gut verbracht habe, erhalte ich das erste elektronische Rezept meiner späten Patientenlaufbahn. Ich muss nur ein Viertelstündchen oder zwanzig Minuten warten, was vor der Tür der Apotheke nur mäßig interessant ist. Um die Papierersparnis mit dem Rezept auszugleichen, muss ich zwei Formulare in Überweisungsgröße unterschreiben, damit das Rezept auch ordentlich als Urlaubsvertretungsrezept geführt werden kann im Bundesamt für Rezeptüberwachung. Das ist Deutschland. So erwähne ich nur eben noch den guten alten Pär Lagerkvist, der anno 1951 den Nobelpreis für Literatur erhielt, vor 50 Jahren starb und der 4. Schwede war, dem noch 4 folgten.

10. Juli 2024

Erich Mühsam starb heute vor 90 Jahren seinen elenden KZ-Tod. Seine Tagebücher füllen in der Ausgabe des Verbrecher Verlags 15 Bände. Ich gebe mich ausdauernd mit den drei dicken DDR-Bänden des Verlags Volk und Welt zufrieden, kaufte vor Jahren noch die Streitschrift nach, die den schlichten Titel „Die Homosexualität“ trägt, eingeführt von Walter Fähnders, den ich wiederum aus Studienzeiten kenne, als Peter Ludewig ständig seinen Namen und den von Martin Rector im Munde führte. Es ging um das zweibändige Werk beider: „Linksradikalismus und Literatur“. Ich war so lange angesteckt, dass ich noch gegen Ende der DDR mit Aussicht auf Erfolg versuchte, eine Oskar-Kanehl-Ausgabe in einem wichtigen Berliner Verlag unterzubingen. Das Hinscheiden der DDR machte den Plan überflüssig, zwei Materialmappen aus Greifswald lagen noch jahrelang bei mir herum. Auf dem Rückweg aus Pennewitz heute Friedhof in Gehren. Viel auffällig umgestaltet.

9. Juli 2024

Kafkas „Brief an den Vater“ las ich vor 20 Jahren zu Ende und vertiefte mich anschließend in seine „Briefe an die Eltern aus den Jahren 1922 – 1924“. Zu später Stunde vollzog ich den Zerfall der Sowjetunion innerhalb meines Archivs verspätet nach, sortierte die nun selbständigen Republiken aus in diverse andere Ordner. Aitmatow war zwar immer ein Kirgise gewesen und Bykau ein Weißrusse, bis zum 9. Juli 2004 aber standen sie friedlich vereint in den grünen Centra-Ordnern, einzig vom Alphabet an ihren Platz diktiert. Wachstum kommt ohnehin viel spärlicher als früher, meine Neugier auf früher verbotene oder unerwünschte Literatur aus Kasachstan oder dem Kaukasus glimmt allenfalls. Das heute einer von nur vier „weißen“ Tagen im Terminkalender für Juli ist, halte ich fest, zwei kommen noch und da befinde ich mich außer Landes ohne dringliche Schreibverpflichtung. Meine Fühmann-Bestände umsortiert, die Rostocker Werkausgabe nach vorn.

8. Juli 2024

„Vor 40 Jahren starb Franz Fühmann“ ist mein bereits neunter Text über ihn, den ich seit Januar 2012 ins Netz stellte. Will sagen: ich komme immer wieder auf ihn zurück, weil ich gern auf ihn zurückkomme. Dennoch ärgere ich mich auch regelmäßig, weil andere Namen, die mir wichtig waren und sind, bei mir scheinbar nicht oder nicht ausreichend repräsentativ vorkommen. Eine gebremst freundliche Dame in Rudolstadt fragte mich einst, warum ich keine Rubrik „Mein Schiller“ hätte, nur „Mein Goethe“. Die Antwort wäre gewesen: ich habe mehr zu Schiller und Kleist gemacht als zu fast allen anderen. Aber die großen Jubiläen, die Anlass und Gelegenheit boten, lagen eben 2005, 2009 und 2011, als ich meine Website noch nicht betrieb. Meine Vorträge hielt und halte ich in aller Regel frei, da gibt es keine Skripte. Kann sein, dass der Anteil DDR wächst, je länger sie hinüber ist. Weil ich wissen will wie das war, in dem ich wuchs und wurde.


Joomla 2.5 Templates von SiteGround