Tagebuch

14. Februar 2024

12.16 Uhr, meldet der Lieferdienst ups mir per Mail, wurde mein Weinkarton bei mir abgeliefert. Nach meiner Uhr war es sogar eine Minute früher und es ist erst zwei Tage her, dass ich bestellte. Wohin soll das noch führen? Vom angeschriebenen Antiquariat die frohe Kunde: mein Buch kommt noch, Krankheit verhinderte die Bearbeitung der Bestellung. Da kann ich, der gestern nach zwanzig langen Tagen Pause erstmals wieder die 10.000 Schritte erreichte, nur Verständnis haben und warten. Tatsächlich liefen wir gestern unsere so genannte Winterrunde mit leichter Verlängerung, heute die Glaswerksrunde ohne Verlängerung. Meine Vorleistung tagsüber ist wieder wie in guten Zeiten. Heute ist Arthur Eloessers Todestag, mein Text zu ihm und Hofmannsthal sollte im Netz stehen, ist aber nicht so weit fertig, dass ich es verantworten kann. Das vorgeschriebene Material umfasst 14 Druckseiten, sollte morgen zu schaffen sein. Der Blick geht schon zum nächsten Namen.

13. Februar 2024

Am 13. Februar vor 50 Jahren hatte mein Leben plötzlich einen Bezug zu Ungarn, den es zuvor nie gehabt hatte. In Leipzig wurde Max Walther Schulz zurück aus Ungarn erwartet, er wäre zuständig für meine möglicherweise völlig überraschende Aufnahme ans Leipziger Literaturinstitut. Die Chance ergab sich, nachdem mein Vater am 5. Februar 1974 in Berlin im Ministerium ein gutes Gespräch mit einer verständnisvollen Frau gehabt hatte. Es ging sogar um eine rückwirkende Immatrikulation zum September 1973, schon im März könnte ich beginnen. Im Gedächtnis ist mir nichts mehr davon geblieben, ich blieb bis Sommer 1975 in der Bibliothek. Ich fragte bei einem säumigen Antiquariat nach, ob denn meine für den 6. Februar angekündigte Lieferung noch zu erwarten sei. Zuletzt hatte ich zweimal Stornierungen, in einem Fall schon die zweite für einen offenbar immer rarer werdenden Titel von Dr. Heinrich Stümcke, den angeblich niemand kennt.

12. Februar 2024

Rosenmontag ist Weinbestelltag und ich mache Erfahrungen, die mich fröhlich stimmen. Es gibt sie noch: die kundenfreundlichen privaten Unternehmen. Weil ich mich in der Abwicklung verhedderte, die zur Zahlung führen sollte, rufe ich an, Minuten später habe ich alles erledigt, höre die frohe Botschaft, morgen gehe alles schon raus. Ich schaffe Liegeplatz im Keller. Eine freundliche Mail von gestern, einen alten Text von mir lobend, den ich hier nicht nennen will, sonst läse ihn vielleicht noch jemand, der ihn sonst keinesfalls gelesen hätte, beantworte ich ebenfalls freundlich. Denn aus meiner aktiven Zeitungszeit in der Zeit vor der Zeitenwende weiß ich: Leserbriefe schicken in 99,7 Prozent aller Fälle nur die Meckerköppe, nie die Zufriedenen. Insofern bin ich Woche für Woche neu begeistert, wie viele begeisterte Leser der Spiegel hat, der ausdauernd jedes Titelblatt-Lob für die Nachwelt dokumentiert. An der Luft ging es mir heute besser als zuletzt: ich huste, ich hoffe.

11. Februar 2024

Mein Beitrag über Freumbichler ist fast 2000 Wörter lang geworden, ich bin leidlich zufrieden. Stieg gestern eigens dafür spät noch einmal in den Keller, eine acht Jahre alte Buchbesprechung zu finden. Den Verfasser traf ich einmal bei einem Rundgang auf Harald Gerlachs Spuren in Erfurt, wenn ich mich recht erinnere, kann aber auch ein anderer Anlass gewesen sein, jedenfalls Erfurt. Im Terminkalender für morgen steht der Name Julio Cortazar, den ich übergehen muss, weil mir der Aschermittwoch noch eine Pflichtaufgabe abnötigt. Auch eine kleine Ergänzung zu meinem nun neun Jahre alten Beitrag zu Otto Erich Hartlebens „Rosenmontag“ hätte ich gern geschrieben, zumal Otto Erich zu den engsten Freunden Arthur Eloessers gehörte, auch das muss warten. In Berlin ist der bei einem Spaziergang mit Wärtern geflüchtete Vergewaltiger wieder eingefangen worden, hatte Sicherheitsverwahrung: In diesem Lande leben wir wie Fremdlinge im eigenen Land.

10. Februar 2024

2023 beendete ich das zehnte Buch des Jahres am 24. April, es war der Briefwechsel von Brigitte Reimann und Christa Wolf. In diesem Jahr liege ich besser, Nummer 10 ist heute ein Buch über Johannes Freumbichler, den Großvater von Thomas Bernhard. Las ich von Ende September 2022 bis Mitte Februar 2023 gar nichts zu Ende, oft überhaupt nichts, so bin ich jetzt wieder weitgehend in Normalform. Die Erinnerung an die Höllenschmerzen über viele Wochen und alle Nächte ist noch nicht ganz verblasst. Kleine Rundfahrt durch Ilmenau heute zu drei Postanschriften aus reiner Neugier, ob die auffindbar sind. Ich hätte vielleicht auch ins Archiv gehen müssen, war nach wenig erfreulichen Erlebnissen zuletzt dazu nicht aufgelegt. Traf unsere Bürgermeisterin am Zechenhaus, kurzer Schwatz, wir kennen uns nun fast 35 Jahre. Ich bereitete sie auf eine Anfrage meinerseits vor und werde schauen, wie ich das löse. In der Post ein Buch über Goethes Mutter aus dem Jahr 1932.

9. Februar 2024

Im Amtsblatt der Stadt Ilmenau finde ich eine Einwohnerstatistik der Ilmenauer Ortsteile zum 31. Dezember 2023. Aktueller geht kaum, wenn ich mit manchen Zahlen vergleiche, die sonst da und dort kursieren. Aber ich will nicht über das krasse Auseinanderfallen der Demonstranten-Zahlen bei Polizei und Veranstaltern reden. Die professionellen Zähler liegen immer falsch, die Wunschdenker immer richtig, wir haben uns daran gewöhnt. Man nennt es ausgewogenen Journalismus. Gehren, wo ich herstamme, nachdem ich in Arnstadt als Risiko-Geburt das Licht des Wollmarktes erblickte, steht bei 2992 Einwohnern, Langewiesen bei 2977. Ich kenne noch uralte Zahlen aus dem Kreis Ilmenau, ehe das IGI (Industriegelände Ilmenau) und Henneberg errichtet wurden: Langewiesen, Gehren und Großbreitenbach pendelten um die 5000, bisweilen sogar darüber. Danach der Exodus in die Ilmenauer Neubauwohnungen. Und Oberpörlitz liegt jetzt vor Manebach: reiner Wahnsinn.

8. Februar 2024

Wer als gut erzogener Philosophie-Student alter Schule vorm großen Schubkasten-Schrank stand, konnte auf die Existenz eines Kastens vertrauen, auf dem „Junghegelianismus“ stand . Im Falle innerer alphabetischer Sortierung erschien David Friedrich Strauß im hinteren Bereich, ein Reiter sogar auf „Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet“, denn dies war, aus späterer Sicht, der Hammer, der Spaltpilz. An ihm schieden sich die alten von den jungen Hegelianern, unter den jungen noch im Puppenstadium ein gewisser Karl Marx, der später seinen unmittelbaren Vorgängern emsig und ausdauernd verbal aufs Haupt schlug. Gestorben ist der Ludwigsburger Strauß in Ludwigsburg am 8. Februar 1874. Das Buch „Junghegelianische Geschichtsphilosophie und Kunsttheorie“ von Ingrid Pepperle las ich als Doktorand bis zur Seite 178. Dort steckt bis heute mein Lesezeichen als Ausdruck des Wunsches nach dem Rest. Am 8. Februar 1944 starb Alfons Paquet: vor 80 Jahren.

7. Februar 2024

Tatsachen haben es schwer im Leben. Immer wieder werden sie gezwungen, nackt für sich zu sprechen, niemand hält ihnen anstandshalber ein Handtuch vor. In der Kunst ist es besonders krass, dort verfallen in gewissen regelmäßigen Abständen ausübende Bürger auf den Gedanken, es sei an der Zeit, auf Kunst zu verzichten und stattdessen, genau, die nackten Tatsachen sprechen zu lassen. Was schon voraussetzt, dass die Tatsachen der Sprache überhaupt mächtig sind und nicht etwa die des Landes gar nicht verstehen. Wenn die Tatsachen gesprochen haben, dürfen sie in die Garderobe gehen und sich anziehen. Denn Tatsachen mit Gänsehaut sehen auch nackt nicht mehr übertrieben schön aus. Letztlich ist alles ohnehin pur sexistisch, denn männliche Tatsachen sind, etwa als der Tatsach im Unterschied zu die Tatsache, nicht vorgesehen im Sprachschöpfungsplan. Womit ich beim Schnee wäre, der heute einfach so vor sich hinfällt, nachdem der Wind zu wehen aufhörte.

6. Februar 2024

Wenn Politiker etwas, das sie eben noch vertraten, nun nicht mehr vertreten, heißt es gern: sie rudern zurück. Rudern scheint folglich ein beliebter Sport unter ihnen und ihninnen. Komisch nur, dass nie jemand vorwärts rudert. Würden sie den Rückwärtsgang einlegen, müssten sie zusätzlich  immer noch kuppeln und Gas geben, was mit der Ideologie des E-Autos nicht unter einen Helm zu bringen wäre. Mittlerweile sind auch die öffentlich-rechtlichen Hauptnachrichten nicht mehr frei von saudummen Fehlleistungen: bei Dunja Hayali gestern hieß es „seinen“ statt „ihren“, was meine Mutter als Grundschullehrerin mit sehr viel Rot am Seitenrand markiert hätte, früher, als die Welt noch in Unordnung war. Vermutlich sitzen auch in den Redaktionen mittlerweile Seiteneinsteiger und Fachkräfte aus dem Ausland, denen natürlich niemand die komplizierte Reflexiv-Grammatik zumuten kann, mit der sich bekanntlich auch Bio-Germanen plagen wie Sisyphos am Steilhang.

5. Februar 2024

Das schöne an Paketdiensten ist ihre Mitteilsamkeit: Sie bekommen ihr Paket mit Sendungsnummer Soundso am Montag, 5. Februar 2024, zwischen 10. 30 und 14. 30 Uhr. Was eine solide Spanne ist, während der es nicht ratsam ist, einkaufen zu gehen, zum Glascontainer zu laufen. Wenn das Paket 18. 30 Uhr immer noch nicht da ist, meldet die Sendungsverfolgung eine Verzögerung, was nicht ganz überraschend ist. Der Mann von bofrost kommt ausgleichend zehn Minuten früher, was kein Problem darstellt, weil man ja auf das Paket wartet, das nicht kommt. Immerhin schloss ich mich der Bewegung „Gesicht zeigen“ an: ich schaute etwa vierzehnmal zwischen 11 Uhr und 19 Uhr aus dem Speisezimmerfenster, beobachtete einen Nachbarn gleich dreimal beim schlechten Einparken, ehe ich mein Gesicht wieder vor der Öffentlichkeit verbarg. Morgen werde ich es wieder zeigen. Ansonsten lobe ich heute einmal die Philosophin Maria-Sibylla Lotter, eine hochschlaue Bübin.

4. Februar 2024

Medienkunst ist es zu lügen, ohne die Unwahrheit zu sagen. Man reißt einen Satz, woher auch sonst, aus dem Zusammenhang, in dem er steht, um ihn als Aufputschmittel zu verwenden. Im Tierreich (Triggerwarnung: Tiervergleich!) gibt es Spezies, deren Nachwuchs pure Nahrung nicht aufnehmen kann, weshalb die Eltern es vorverdauen, dann hoch- und rauswürgen, was uns als Ekelbrei erscheinen würde. In der alten schlechten DDR (Triggerwarnung DDR-Vergleich!) zitierte Neues Deutschland 1976 mit dem Satz „Ich bin zu jeder Schandtat bereit“ den schlimmen Wolf Biermann, was den Leitartikler zu Triumphgeheul anregte. Haben wir es nicht immer gesagt? Und jetzt also wollen die ganz Schlimmen, die Oberbösen, den „Parteienstaat“ abschaffen. Was ja nun wirklich das letzte wäre, was uns zahlreichen Parteimitgliedern aller Farben, aller Verlogenheiten recht wäre. Die Vorverdauer kennen die Sätze davor, aber sie teilen sie uns vorsorglich nicht mit.

3. Februar 2024

Auch Richard Vallentin hat heute seinen 150. Geburtstag, geboren in Berlin, gestorben im damals noch nicht eingemeindeten Wilmersdorf am 14. Januar 1908. An Krebs. Über seine Zeit in Wien schrieb 1907 Willi Handl in der „Schaubühne“ (ich besitze den vollständigen Nachdruck aller Ausgaben und bin darüber immer wieder froh: immer, wenn ich sie brauche, oft, wenn ich einfach nur blättere, weil ich neugierig bin). Nachrufe gab es von Alfred Kerr, von Julius Bab, von Fritz Engel, alle gehören zu meinem häufigen Umgang in Theaterdingen. Zuletzt stieß ich auf Vallentin, weil er der Regisseur von Maxim Gorkis „Nachtasyl“ war, 516 Vorstellungen im Kleinen Theater errreichte seine Inszenierung und war so der größte Erfolg in seinem kurzen Leben. Julius Bab erlebte ihn bei Proben und schrieb: „... ohne sie wüsste ich nicht, was Regie ist – oder doch sein kann.“ Sohn Maxim Vallentin war später viele Jahre Intendant des Maxim-Gorki-Theaters Berlin.


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